Lindmaier, Hannah

„A skilful teacher“: Madame Sidney Pratten

Impulse aus der Unterrichtspraxis einer Gitarrenpädagogin des 19. Jahrhunderts

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 4/2017 , Seite 22

Das Bild von Instrumentalpädago­gInnen war lange ­geprägt von einer Altlast des 19. Jahrhunderts: Galt Instru­mentalunterricht doch als unprofessionelle, nicht als Beruf anerkannte und dem Stand der DienstbotInnen ­vergleichbare Tätigkeit. Der Blick auf Madame Sidney Pratten jedoch – der berühmtesten Gitarrenpädagogin Englands im 19. Jahrhundert – offenbart Erstaun­liches: eine modern anmutende Berufsauffassung, gepaart mit methodischem Geschick.

Wenn von Patchwork- und Portfolio-Karrieren junger MusikerInnen und MusikpädagogInnen die Rede ist und eine der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts lautet, die Karriere auf mehrere Standbeine zu verteilen, so erscheint dies als spezifische Entwicklung der heutigen Zeit: Wo es nicht mehr die Sicherheit fester Stellen gibt, sind InstrumentalpädagogInnen aufgefordert, ihren Beruf immer wieder neu zu denken und neu zu erfinden.3
Das Beispiel von Madame Sidney Pratten lässt erkennen, dass das Modell Portfolio-Karriere so neu nicht ist. Die Spuren, die ihre vielseitige Berufstätigkeit in der Geschichte hinterlassen haben, zeugen von kreativem und innovativem unternehmerischen Geist. Das unternehmerische Geschick aber wusste Pratten mit einer pädagogischen Grund­haltung und methodischem Know-how zu verbinden, die auf eine nicht nur erfolgreiche, sondern künstlerisch wie pädagogisch sinn­erfüllte Karriere schließen lassen. In diesem Sinne kann sie auch heute noch zu einem positiven Bild eines selbstbestimmten Unterrichtens und eigenverantwortlichen Gestaltens des Berufs beitragen.4

Portfolio-Karriere par excellence

Aus einer Musikerfamilie stammend war es selbstverständlich, dass Catharina Pelzer (wie Madame Sidney Pratten unverheiratet hieß) bereits als Kind des Öfteren auf der Bühne stand.5 1824 in Mülheim am Rhein (dem heutigen Kölner Stadtteil Mülheim) geboren, wuchs Pelzer vornehmlich in London auf, wo ihr Vater in der lebendigen Gitarrenszene der Zeit aktiv war. Auch wenn ihre vermeintliche Wunderkind-Karriere möglicherweise etwas geschönt und übertrieben dargestellt wurde,6 diente sie neben der musikalischen Ausbildung, die sie durch Privatlehrer und den Vater genoss, als Grundlage für Prattens beruf­lichen Lebensweg. Die eigene Vita in möglichst positivem Licht erscheinen zu lassen, scheint bereits damals eine gängige Selbstvermarktungsstrategie gewesen zu sein.
Als junge Frau etablierte sie sich als Gitarrenlehrerin in Exeter, bis sie 1854 den Flötisten Robert Sidney Pratten heiratete und sich endgültig in London niederließ. Paradoxerweise begann gerade in der Zeit ihrer Ehe eine Phase intensiver Arbeitstätigkeit und der beruflichen Ausdifferenzierung – paradox deshalb, weil für Frauen im 19. Jahrhundert das Ideal der Berufslosigkeit galt, spätestens mit Eintritt in die Ehe. Madame Sidney Pratten – wie sie sich von nun an nannte – stützte in den nun folgenden Jahren ihre Berufstätigkeit im Wesentlichen auf drei Säulen: den privat erteilten Instrumentalunterricht, ihre Kompositionstätigkeit sowie das Konzertieren. Ihre drei Haupttätigkeitsfelder waren eng verwoben. So komponierte sie aus ihrer pädagogischen Tätigkeit heraus vornehmlich Stücke für ihre SchülerInnen, die sie wahlweise im Eigenverlag oder z. B. bei Boosey & Sons verlegte. Darüber hinaus verfasste sie mehrere Gitarrenschulen. In ihren Konzerten, die meist in der damals verbreiteten Form der Benefizkonzerte mit vielen beteiligten MusikerInnen organisiert wurden, spielte sie häufig eigene Kompositionen, die sie wiede­rum über diese Plattform vermarkten konnte. All dies geschah in enger Zusammenarbeit mit ihrem Ehemann, mit dem sie unter anderem gemeinsame Zeitungsannoncen für Unterricht, neue Kompositionen oder Konzerte schaltete.
Doch endeten die unternehmerischen Tätigkeiten des Ehepaars hier noch lange nicht. Nachdem Robert Sidney Pratten mit der Firma Boosey & Sons eine neuartige Flöte entworfen und patentiert hatte, entwickel­te Madame Sidney Pratten mit dem gleichen Kooperationspartner eine Gitarre, für deren Qualität sie mit ihrem Namen einstand. Diese Gitarre war in verschiedenen Ausführungen lieferbar, die eigens auf die Bedürfnisse spezifischer Zielgruppen zugeschnitten waren – etwa für Reisende in die Kolonien mit speziell behandeltem Holz, das dem tropischen Klima standhalten sollte.

So entsteht der Eindruck, dass Pratten ein Modell vielseitiger und unermüdlicher Berufstätigkeit praktizierte, wie es heute ­vielfach wieder gelebt wird bzw. werden muss, seitdem Festanstellungen an Musikschulen oder Orchestern rar werden.

Ihre Unterrichtstätigkeit beschränkte Pratten nicht ausschließlich auf die Gitarre, sondern bediente im Lauf der Jahrzehnte auch zwei weitere Instrumente – die Konzertina und die Gigelira. Dabei handelte es sich um Mode­instrumente, für die zeitweise die Nachfrage hoch war, da wenig qualifizierte LehrerInnen auf dem Markt präsent waren. Aus Verkaufsverzeichnissen eines Konzertina-Herstellers ist ersichtlich, dass sie Instrumente an SchülerInnen weitervermittelte, somit vermutlich auch im Instrumentenhandel tätig war.

1 vgl. hierzu den historischen Überblick in: Martin D. ­Loritz: Berufsbild und Berufsbewußtsein der hauptamtlichen Musikschullehrer in Bayern, Augsburg 1998, und Michael Roske: „Der private Musiklehrer. Zur Geschichte eines musikpädagogischen Problemberufes“, in: üben & musizieren, 6/1984, S. 371-373.
2 vgl. etwa Harvey Turnbull: The Guitar from the Renaissance to the Present Day, ­London 31978, S. 70.
3 vgl. Rineke Smilde: „Wie ein Chamäleon! Musikerinnen und Musiker müssen sich heute flexibel den unterschiedlichsten Herausforderungen stellen“, in: üben & musizieren, 2/2017, S. 6-10.
4 Die im Folgenden beschriebenen historischen Fakten beziehen sich zu großen Teilen auf und sind belegt in: Hannah Lindmaier: „Handlungsmöglichkeiten von Gitarristinnen des 19. Jahrhunderts vor dem Spiegel der Geschichtsschreibung. Ein Fallbeispiel“, in: Arnold Jacobshagen (Hg.): Perspektiven musikalischer Interpretation, Würzburg 2016, S. 103-140.
5 Einen guten Überblick über die Vita Catharina Prattens bietet der Eintrag im Online-Instrumentalistinnenlexikon des Sophie-Drinker-Instituts von Jannis Wichmann, www.sophie-drinker-institut.de/cms/index.php/pelzer-catharina-josepha (Stand: 12.6.2017).
6 vgl. etwa Frank Mott Harrison: Reminiscences of Madame Sidney Pratten: Guitariste and Composer, Bournemouth 1899, S. 18 f.

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