Behrendt, Maria (Hg.)
Abendklänge – Nachtgesänge
Ausgewählte Lieder von Komponistinnen des 19. Jahrhunderts für Singstimme und Klavier
Schaut man sich Statistiken aus dem Bereich des klassischen Konzerts an, so begegnen einem Komponistinnen immer noch eher in „Spezialkonzerten“, in Konzerten „für Kenner“, haben ihren Platz im Nachtprogramm der Sendeanstalten, nehmen immer noch keinen gleichberechtigten Platz im Konzertwesen ein, sondern werden in Sondersendungen vorgestellt.
Die Musikgeschichte zeigt uns, dass musizierende, komponierende Frauen das unbarmherzige Schicksal erlitten, kaum oder nur unter großen Entbehrungen wahrgenommen zu werden. Natürlich kennen wir einzelne große Namen, die wegen ihrer hervorgehobenen Position (z. B. Hildegard von Bingen, Wilhelmine von Bayreuth) einen größeren Wirkgrad hatten. Aber die weißen Flecken in der kompositorischen Landkarte sind deutlich!
Umso wichtiger nimmt sich vorliegender Band eines mit Expertise ausgewählten Liedschaffens von Komponistinnen des 19. Jahrhunderts aus: Herausgeberin Maria Behrendt stellt in der Urtextausgabe 15 Komponistinnen vor, deren Schaffen in großer Bandbreite vom schlichteren, volksliedhaften Gestus bis zum fein gesponnenen romantischen Farbpinsel einen beeindruckenden Impuls liefern zum Weiterrecherchieren und Aufführen.
Einzelne Namen sind bekannt: Über Fanny Hensel und Clara Schumann weiß man schon viel. Auch gibt es immer mehr Forschung und Austausch über die weibliche Seite der Musikgeschichte. Dennoch scheinen Musikerinnen wie z. B. Isidore von Bülow oder Marie von Kehler bisher gar nicht oder erst seit Kurzem auf, werden „entdeckt“ und mit Staunen aus dem Dämmerschlaf des musikgeschichtlichen Vergessens geweckt.
Die Lieder des vorliegenden Bandes eint neben ihrer musikalischen Schönheit nicht nur die Abend-/Nachtverknüpfung der Texte, sondern sie sind kompositorisch für beide Parts gut gesetzt, sind eher kürzer und damit sehr gut für vielfältige Vortragsprogramme geeignet. Die eigenwilligen Persönlichkeiten der Komponistinnen erahnt man in diesen Kleinodien und wünscht sich mehr: Maria Behrendt regt durch ihr sehr fundiertes Vorwort und die angefügten Verweise zum eigenen Recherchieren an und gibt kleine „Werkeinführungen“ zu einzelnen Kompositionen.
Es ist mehr als an der Zeit, dass Komponistinnen und Musikerinnen aller Jahrhunderte den ihnen gebührenden Platz einnehmen. Vielleicht sind Spezialprogramme und Ausgaben wie diese noch notwendig, um den Blick zu lenken; aber nachdem hoffentlich diese Lieder im Konzert immer mehr gesungen, weitere entdeckt und zum Erklingen gebracht werden, erfreuen wir uns an wunderbarer Musik von Menschen für Menschen.
Christina Humenberger