Bossen, Anja

Abstreiten, abwiegeln, abschaffen: Wie die Senatsverwaltung die Berliner Musikschulen zerstört

Kommentar

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 5/2013 , musikschule )) DIREKT, Seite 01

Berlin hat zum 1. Juni 2013 die Zahl seiner Musikschulen von zwölf auf ca. 1600 erhöht. Wie das gehen kann? Ganz einfach: Die Senatsverwaltung für Bildung hat neue Ausführungsvorschriften erlassen, um die von der Deutschen Rentenversicherung festgestellten Indizien für eine vorliegende Scheinselbstständigkeit der Berliner Musikschullehrer abzuschaffen. Statt die Lehrkräfte fest anzustellen, macht die Senatsverwaltung in Absprache (!) mit der Rentenversicherung nunmehr jeden Einzelnen der 1600 Berliner Musikschullehrer zum Unternehmer.

Die Freude der Musikschullehrer über so viel unternehmerische Freiheit ist jedoch äußerst gedämpft. Stattdessen fordern sie seit über einem Jahr mit immer neuen Aktionen eine ausreichende soziale Absicherung. Die meisten Lehrkräfte haben dennoch inzwischen die neuen Honorarverträge unterschrieben. Aber: Unterschreiben heißt nicht zustimmen. Viele haben schlichtweg keine Wahl, da sie sich bzw. eine Familie ernähren müssen.

Die Vorgänge in Berlin lassen die Frage aufkommen, wie es eigentlich rechtens sein kann, dass die Deutsche Rentenversicherung in einem Deal mit einer Landesbehörde den Tatbestand der Scheinselbstständigkeit aushebelt, freiwillig auf Einnahmen verzichtet und damit auch gegen die Interessen der übrigen Beitragszahler verstößt – und das auch noch mit Unterstützung der Bildungssenatorin Sandra Scheeres und des Staatssekretärs Mark Rackles, die beide der SPD angehören.

Vielleicht sollten die beiden mal mit dem kulturpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Siegmund Ehrmann, ein Bier trinken gehen, um sich auf den neuesten Stand der sozialdemokratischen kultur- und bildungspolitischen Absichten zu bringen. Ehrmann hat nämlich auf die Frage der Zeitschrift Musik­forum, was die SPD nach der Bundestagswahl gegen das fortschreitende Prekariat in künstlerischen und pädagogischen Berufsfeldern tun wolle, geantwortet: „Wir wollen, dass alle Menschen, nicht nur in künstlerischen und pädagogischen Berufsfeldern, von ihrer Arbeit gut leben können.“

Der Staatsskretär Mark Rackles hingegen beruft sich darauf, dass Verschlechterungen bei den Musikschullehrern trotz Einspardrucks vermieden wurden und die Musikschullehrer gegenüber anderen freiberuflich Tätigen im Land Berlin deutlich besser gestellt seien. Liebe protestierende Musikschullehrer, was wollt ihr eigentlich: Anderen geht es noch schlechter als euch!