Salb, Michael

Ain Anfänger Der Gitarre Hat Aifer?

Plädoyer für akustisch korrekte Merksprüche

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 4/2017 , Seite 11

Ein Merkspruch ist eine Mnemo­technik, also eine Gedächtnishilfe zum Einprägen von Informationen. Merksprüche sind sehr hilfreich und daher aus gutem Grund weit ver­breitet. Wir finden sie in allen Wissens­gebieten, natürlich auch für musi­kalische Sachverhalte.

In der Gitarrenmethodik sind Merksprüche für die Bezeichnung der Gitarrensaiten die bekanntesten. Eine Gitarre hat üblicherweise sechs Saiten in der Stimmung E-A-D-G-H-E. Die gängigsten Merksprüche hierzu lauten:

Eine Alte Dame Geht Heringe Essen
Ein Anfänger Der Gitarre Hat Eifer
Eine Alte Dame Geht Heute Einkaufen
Eine Alte Dumme Gans Heißt Eva

An diesen Sprüchen möchte ich beispielhaft darlegen, was ich unter „akustisch korrekten Merksprüchen“ verstehe.
Musik ist im Wesentlichen eine Kunst der Wahrnehmung über das Ohr. Das Hören ist Grundlage musikalischen Ausdrucks und Genießens von Musik. Das Spielen von Musik­instrumenten dient diesem Ausdruck und Höreindruck. Dem werde ich als Musiker und Lehrer in aller Konsequenz gerecht, wenn ich das Hören auch im Kleinsten besonders achte, also dem Hören und dem, was für das Hören zum Ausdruck gebracht und durch das Hören bewirkt wird, vorrangig meine Aufmerksamkeit schenke.
Keiner der mir bekannten Merksprüche für die Gitarrensaiten nimmt auf das Hören Rücksicht. Das war bei deren Entstehung niemandem bewusst und offensichtlich nicht von Bedeutung. Spreche ich die Tonnamen, nach welchen die Gitarrensaiten benannt sind, so höre ich E-A-De-Ge-Ha-E, wobei alle Vokale gedehnt, in reinem und ursprünglichem Vokalklang ertönen. Höre ich auf die Anfangsklänge der für die Merksprüche verwendeten Worte, so erklingt z. B. „A“ bzw. „Ai“ für die E-Saite, „Da/Du“ für die D-Saite, „Gi“ oder „Ga“ für die G-Saite usw., was vor allem beim jüngsten Gitarrennachwuchs, dem eine korrekte Rechtschreibung oder auch die Nennung der einzelnen Vokale noch nicht geläufig ist, Irritationen auslöst.
Jedes „Ein“ wird im Deutschen als „Ain“ gesprochen und der Saitenname „E“ ist damit nur über das Auge bzw. Lesen und die Kenntnis der korrekten Schreibweise des Wortes „Ein“ zu erschließen und nicht über das Ohr bzw. Hören und den wahrzunehmenden Klang. Letzteres sind aber die musikalischen Organe und Aktionsfelder. Im Übrigen: An vielen Grundschulen werden die Buchstaben bzw. der Erwerb der Schriftsprache mit Hilfe der sogenannten Anlautmethode vermittelt, die eben diese Übereinstimmung von Laut und Zeichen berücksichtigt.
Zusätzlich könnte man noch berücksichtigen, dass Gitarrensaiten auch mit Ziffern benannt werden. Es gibt eine 1., 2., 3. Saite und es ist üblich, Zahlen in dieser Reihenfolge zu nennen und nicht rückwärts als „6-5-4-3-2-1“. ­Alle traditionellen Merksprüche jedoch nennen die Gitarrensaiten rückwärts. Warum nicht einen Merkspruch verwenden, der den Namen der 1. Saite als erstes nennt, mit der Nennung der 6. Saite endet und bei jedem verwendeten Wort hörbar der Anfangsklang identisch ist mit dem Klang des Buchstabens, der die Saite benennt? (Oder wenigstens nahezu identisch ist; das Tolerieren der Lautverschiebung eines „E“ zum kurzen „Ä“, eröffnet mehr Möglichkeiten.)
Emil Half Gestern Dem Alten Esel, wäre – wohl wissend, dass je nach Dialekt statt „gestern“ ein „gästern“ erklingt –, eine mögliche Lösung. Zusätzlich könnte bei diesem Beispiel die offene Frage, was Emil dem Esel geholfen hat, Anlass für kleine Klanggeschichten sein, welche die Kinder unter Verwendung der leeren Saiten erzählen. Ergänzende Informationen, weiterführende Darstellungen und anbindende emotionale Komponenten im Umfeld des Themenbereichs eines Merkspruchs fördern dessen Funktion als Gedächtnisstütze enorm und geben Möglichkeit der Verknüpfung mit einer direkten praktischen Anwendung.
Auch ein zusätzliches Wort oder eine ergänzende Aussage eröffnen hierzu vielfältige Gelegenheiten. Die folgenden Beispiele sind von den Vokalklängen den Namen der Gitarrensaiten am nächsten:

Elke Hat Gegen Den Alten Esel… (nichts). Nach der 6. Saite kommt „nichts“ mehr. Für Klanggeschichten kann man überlegen, was Elke denn gegen den Esel haben könnte.
Erikas Hamster Geht Den Armen Esel… (besuchen, füttern, streicheln, striegeln, waschen…)
Egons Hase Geht Dem Alten Esel… (aus dem Weg, hinterher, auf den Wecker, auf den Leim, die Ohren lang ziehen…)

Oder wie wäre es mit Adam und Eva?

Evas Hase Geht Dem Adam Entgegen
Eva Hat Gegen Den Apfel Enorme (Bedenken)
Evas Hase Geht Den Apfel Essen
Eva Hat Geheiratet! Den Adam? Ehrlich?

Letztgenannter Spruch unterteilt die Saiten in kleine Gruppen. Die Melodiesaiten gehören zur Aussage, die Basssaiten gehören zu den zwei Fragen. Diese Gliederung ist für den Merkvorgang durchaus von Vorteil.
Ganz besonders für die jüngsten unter den GitarrenanfängerInnen lohnt es sich, die Wortanfänge von Merksprüchen akustisch korrekt dem Namen der Saiten anzugleichen und somit den Einstieg in die Welt der notwendigen Musiktheorie für das Gitarrenspiel zu erleichtern. Ältere Kinder und Erwachsene können zwar lesen, aber schaden wird auch ihnen ein akustisch korrekter Merkspruch wohl kaum.

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