Scharwenka, Xaver
Album für die Jugend op. 62
für Klavier
Robert Schumanns Album für die Jugend op. 68 war Vorbild für viele ähnlich konzipierte Werke, angefangen von Peter Tschaikowsky und Theodor Kirchner über Cornelius Gurlitt bis hin zu Aram Chatschaturjan und Sofia Gubaidulina. Auch das Album für die Jugend op. 62 von Xaver Scharwenka (1850-1924) steht in dieser Tradition.
Scharwenka war eine sehr vielseitige Künstlerpersönlichkeit, gleichermaßen erfolgreich als Komponist, Pianist und Musikpädagoge. Er schrieb über 130 Werke, darunter eine Oper, vier Klavierkonzerte, Sinfonien und Kammermusik in verschiedenen Besetzungen. Als Pianist trat er in ganz Europa und Nordamerika auf. 1881 gründete er in Berlin zusammen mit seinem Bruder Philipp das Scharwenka-Konservatorium, das später mit der Klavierschule von Karl Klindworth fusionierte und als Klindworth-Scharwenka-Konservatorium bis 1960 bestand.
In seinem 1885 komponierten Jugendalbum verzichtet Scharwenka, anders als Schumann und viele andere Komponisten, auf bildhafte Titel. Die zwölf Stücke tragen Überschriften wie „Marsch“, „Im Volkston“, „Erzählung“, „Barcarolle“ usw. So wird bereits beim Blick auf das Inhaltsverzeichnis deutlich, dass Scharwenka nicht nur Übungsmaterial zur Entwicklung der Spieltechnik und der Ausdrucksfähigkeit anbietet, sondern zugleich einen Überblick über die damals gebräuchlichen Ausprägungen des lyrischen Klavierstücks geben will. Es sind durchweg sehr sorgfältig komponierte, klangschöne und ausdrucksstarke Stücke. Besonders gelungen sind „Barcarolle“ und „Tarantelle“. In der Tonsprache geht Scharwenka nicht über Schumann und Mendelssohn hinaus, vielleicht ein Grund dafür, dass sein Album für die Jugend heute weitgehend vergessen ist.
Doch handelt es sich um sehr lohnende Unterrichtsliteratur, und so ist es erfreulich, dass der 2014 gegründete Canticus-Verlag das Werk in einer sorgfältig edierten Neuausgabe wieder zugänglich macht. In seinem ausführlichen, sehr informativen Vorwort stellt Jürgen Trinkewitz das Werk in seinem historischen Kontext dar und beschreibt Leben und Wirken des Komponisten. In seinen Bemerkungen zur Edition gibt er Aufschluss über die Quellenlage und begründet seine Entscheidung, auf Fingersätze zu verzichten. Gerade bei der sich noch entwickelnden Kinderhand müssten diese ohnehin individuell gefunden werden. Angesichts notorisch knapper Unterrichtszeit wären vermutlich viele LehrerInnen dennoch für den einen oder anderen Vorschlag dankbar.
Insgesamt eine sehr schöne Ausgabe, die durch ihr klares und ästhetisch ansprechendes Notenbild, das gute Papier und die vielen Hintergrundinformationen überzeugt.
Sigrid Naumann