Wachter, Cornel (Hg.)

… als Paul McCartney mich anrief

Mein erstes Musikerlebnis

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Seemann, Leipzig 2014
erschienen in: üben & musizieren 3/2014 , Seite 51

Frühe Musikerlebnisse sind etwas Besonderes: jene Momente, in denen die Welt der Töne und Klänge zu etwas Begreiflichem wird, das vor allem in die Seele dringt. Diese Momente hat Cornel Wachter gesammelt und in einem Band zusammengestellt. Herausgekommen ist ein Lesebuch nicht nur für Musikkenner, sondern für jeden, der Musik liebt, ein unterhaltsamer Streifzug durch die musikalischen Erinnerungen von Prominenten und weniger Prominenten, von Musikern und Nicht-Musikern.
Allerdings geht es in vielen Beiträgen nicht unbedingt um das erste Musikerlebnis, denn daran können sich die meisten gar nicht mehr erinnern. Stattdessen erzählen sie von ihren eindrücklichsten Musikerlebnissen. So berichtet etwa Schauspieler Jürgen Albrecht, wie er von Prinz Eisenherz zu Cindy und Bert kam, der Musiker Eroc gibt zu, dass er beim Film Cleopatra weinen musste.
Jürgen von der Lippe beklagt, dass die Musik seine Liebe nicht recht erwidern will. Jorge Gonzales denkt an seine Kindheit in Kuba zurück und Julia Biedermann bekennt sich zu ihrer Liebe zu Tschai­kows­kys Nussknacker. Ein Kriminalbiologe erinnert sich an „Dauergedudel“, ein Kindertherapeut muss feststellen, dass er nicht zum Musiker geboren ist und Florian Silbereisen wurde schon im Mutterleib musikalisch beglückt. Mitunter haben die Texte auch einen politischen Aspekt, wenn etwa der Berater von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas von der Flucht seiner Familie erzählt und davon, wie seine Mutter die Kinder mit Liedern zu beruhigen suchte.
Es ist eine bunte Mischung, die Cornel Wachter zusammengestellt hat, und jede Geschichte hat ihren Reiz. Manche ähneln einer Kurzgeschichte wie jene von Roger Willemsen, andere umfassen gerade mal ein paar Zeilen, einige präsentieren sich lyrisch wie die Erinnerungen des Dirigenten Omer Meir Wellber, wieder andere knapp und direkt wie jene von Anna Netrebko. Vieles reizt zum Lachen, wenn et­wa der Komponist Hans Tutschku erzählt, dass er schon auf dem Nachttopf die Geige in der Hand hielt, oder wenn der Musikproduzent Reinhard Schaub sich ­daran erinnert, wie er als Kind glaubte, dass alle Sängerinnen Pelzkappen tragen müssten.
Und auch Cornel Wachter selbst hat etwas zu berichten: nämlich, dass er auch Paul McCartney nach seinem ersten Musikerlebnis befragen wollte – und dass Sir Paul zwar keine Geschichte beisteuerte, aber dafür persönlich anrief, um sich für die Absage zu entschuldigen.
So entsteht ein großes Mosaik aus Erinnerungen und Erfahrungen, die alle irgendwie mit Musik zu tun haben, ein Mosaik, das den LeserInnen die Gelegenheit gibt, an ihr eigenes erstes oder nachhaltigstes Musikerlebnis zurückzudenken. Für viele sind diese Erlebnisse noch Jahrzehnte später prägend, so z. B. für Jürgen Albrecht: „Die Tür zum Zimmer meiner ersten Hörerlebnisse bleibt immer einen Spaltbreit auf.“
Irene Binal