Löbbert, Aischa-Lina

Angemessene Gage

Die Wertschätzung der Künstlerinnen und Künstler muss gestärkt werden

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 2/2016 , musikschule )) DIREKT, Seite 02

Viele Künstler würden auch umsonst arbeiten, um „ihre Kunst“ machen zu können. Aber Kunst ist unsere Arbeit. Eine schöne Arbeit, ja, aber eine, die viel Arbeit macht und deshalb nicht umsonst zu haben ist. Ohne realistisch kalkulierte Honorare und Gagen laufen viele selbstständige Künstlerinnen und Künstler Gefahr, sich selbst zu unterschätzen.

Immer wieder ist in der Kulturpolitik und in Gruppen, die sich mit Fairness auf dem Kunstmarkt befassen, von „angemessenen Gagen“ die Rede. Hier wage ich den Versuch aufzuschlüsseln, was „angemessen“ in Zahlen tatsächlich bedeuten kann. ­Obacht: Die folgenden Stundensätze stellen keine tarifliche Absprache oder Verpflichtung dar; sie dienen der Orientierung und Vergleichbarkeit, und jeder Posten ist individuell und selbstständig zu verhandeln. Sie orientieren sich an einem anzunehmenden Normwert, aber es sind keine utopischen Werte. Um dies zu untermauern, zwei Beispiele vorweg:
– „Der BFFS [Bundesverband Schauspiel] hat folgende Mindestgage für Drehtage gefestigt: Für den Zeitraum zwischen dem 1. Januar und dem 30. Juni 2015 beläuft sich diese Gage auf einen Wert von 750 Euro. Im Zeitraum zwischen dem 1. Juli 2015 und dem 30. Dezember 2016 erhöhen sich die Beiträge jeweils um 25 Euro. Dies gilt für Schauspielerinnen und Schau­spieler, die ihre Ausbildung abgeschlossen haben und mindestens 18 Jahre sind.“ (Quelle: Bundesverband Schauspiel. Bühne/ Film/Fernsehen/Sprache – BFFS)
– „Alternativ zu einzelnen Layouts kann eine pauschale Session Fee gebucht werden. Im Vorfeld buchbar steht die Sprecherin/ der Sprecher dem Studio, den Kreativen und den Kunden eine Stunde für die gestalterische Arbeit an Text und Spots zur Verfügung. In dieser Zeit kann an verschiedenen Textvarianten, auch für verschiedene Spots eines Kunden und einer Marke gearbeitet werden. Auch Texte zur internen Nutzung (z. B. Casefilme, Making­Ofs, Vorstandspräsentationen etc.) können in diesem Rahmen mit aufgenommen werden. Ein Überschreiten der 60 Minuten wird nach den Maßstäben der Kulanz und Arbeitsatmosphäre gehandhabt, sonst in Halb-Stunden-Schritten weitergezählt. Unabhängig von der Anzahl der gesprochenen Varianten: 600 Euro“ (Quelle: Gagenliste deutscher Sprecher – GDS)

Brutto-Stundenlohn für Selbstständige

Jetzt aber Tacheles: Der durchschnittliche deutsche Brutto-Monatsverdienst lag im Jahr 2014 bei 3527 Euro brutto (Quelle: Statistisches Bundesamt) – wer es genau wissen will: Männer 3728 Euro, Frauen 3075 Euro. Warum der Durchschnitt? Wie der „Durchschnittsdeutsche“ haben die meisten Künstlerinnen und Künstler ein etwa vierjähriges Studium oder eine etwa vierjährige Ausbildung hinter sich. Sie haben eine durchschnittliche Weltanschauung und haben durchschnittlich viele Kinder und Scheidungen. Auch wenn Künstler in der Regel aufschreien, wenn man sie mit dem Durchschnitt vergleicht, orientiere ich mich jetzt an einem greifbaren und verständlichen Mittelwert, um einfach eine Rechengrundlage zu haben.
Gehen wir von einem ledigen Angestellten aus, auf dessen Girokonto nach Abzug von Lohnsteuer und Sozialversicherungsab­gaben von den 3527 Euro (brutto) etwa 2398 Euro (netto) gezahlt werden (Quelle: Finanzamt), ergibt sich aufs Jahr gerechnet, bei einer durchschnittlichen 38-Stunden-Woche, umgelegt auf die Zahl der Arbeitstage ein Verdienst von umgerechnet ca. 28776 Euro Jahresgehalt, 14,56 Euro Stundenlohn (netto).
Klingt wenig, ist auch so. Die entsprechende Berechnung aus Sicht eines Selbstständigen sieht nämlich so aus: Den abhängig Beschäftigten stehen üblicherweise 13 Monatsgehälter pro Jahr zu, und wir wollen ja auf die gleichen Brutto-Einnahmen wie der angestellte, „durchschnittsdeutsche“ Kollege kommen. Deshalb müssen wir den Brutto-Wert nehmen und einen weiteren Monat dazurechnen, dies ergibt ein Jahresgehalt von 13 x 3527 Euro = 45851 Euro, 23 Euro Stundenlohn.
Eigentlich sollte dazu auch noch der Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung von rund 20 Prozent des Bruttoverdienstes hinzugerechnet werden; schließlich sind Freiberufler und Unternehmer gezwungen, die vollständige Sozialversicherung selbst zu erwirtschaften. Da die meisten Künstler vergleichbar einem Arbeitnehmer bei der Künstlersozialkasse pflichtversichert sind und einen Teil des Beitrags (ebenfalls rund 20 Prozent) zur gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung aufbringen müssen, nicht aber auf Arbeitslosigkeit versichert werden, ist es schwer, den Arbeitgeberanteil aufzuschlüsseln.
Fakt ist aber, dass sich die Lohnnebenkosten oder auch Personalkosten in Deutschland für den Arbeitgeber auf rund ein Drittel, also 33 Prozent belaufen. Um also die in der Rechnung noch nicht enthaltenen Kosten für z. B. freiwillige Arbeitslosenversicherung, vermögenswirksame Leistungen, Verpflegungs- und Fahrtkostenzuschüsse, Betriebsrenten, Beiträge zu Berufsgenossenschaften, Zuschläge für Mehrarbeit, Nachtarbeit oder Sonn- und Feiertagsarbeit oder gar Treueprämien, sonstige Prämien zu berücksichtigen, addieren wir 13 Prozent = 51812 Euro Jahresgehalt, 26 Euro Stundenlohn.
Es gilt noch, das Jahr aufzuschlüsseln: Ausgehend von 365 Kalendertagen abzüglich Wochenenden (104 Tage), Feiertagen (8 Tage) und dem üblichen Tarifurlaub des Angestellten (30 Tage), bleiben gerade einmal 223 produktive Tage, vorausgesetzt, man ist nie krank. Dann verteilen sich die gewünschten Brutto-Einnahmen folgendermaßen auf den einzelnen Arbeitstag: 51812 Euro Jahresgehalt, geteilt durch 223 Tage = 232 Euro Tagessatz, 31 Euro Stundenlohn.

Was sonst noch ­so dazukommt

Auch bei uns Künstlerinnen und Künstlern ist nicht jede Stunde „fakturierbar“, also dem Kunden in Rechnung zu stellen. Neue Aufträge an Land ziehen, Anträge, Angebote oder Rechnungen schreiben, vorsprechen, netzwerken oder einfach mal „über die Kunst nachdenken“ – und last but not least die Buchführung sind effek­tive Arbeitszeiten. Und diese müssen wir uns auch anrechnen. Selbst wenn wir viel gebucht werden und längere Erwerbslosigkeiten (als Künstler ist man ja nie arbeitslos, nur erwerbslos) im Laufe des Jahres ausbleiben, ist eine Auslastung von zwei Dritteln gewiss nicht zu gering geschätzt. Und mal ganz ehrlich: Zwölfeinhalb Stunden pro Woche braucht doch jeder von uns für die Selbstvermarktung. Und das hebt den zu erwirtschaftenden Stundensatz schon auf 35 Euro.
Außer der eigenen Arbeitskraft setzen Selbstständige weitere, oft kostenintensive Mittel ein: So gilt es, die Kosten für Räume, Büroausstattung, Verbrauchs- und Trainingsmaterial, Transportkosten, eventuelle Fremdhonorare, zusätzliche Versicherungen, Telekommunikation, Weiterbildung, Reisen und so weiter zu erwirtschaften. Betriebsausgaben werden im Schnitt mit 15 Prozent kalkuliert, und so kommen wir auf einen Stundensatz von 40 Euro.
Verkauft man als Selbstständiger Dienstleistungen, ist man ab einem Jahresgewinn von 17500 Euro verpflichtet, Umsatzsteuer abzuführen: Auf diese Weise ergibt sich unterm Strich ein Stundensatz von über 48 Euro.
Zusammengefasst: Um auch nur auf das Gehalt zu kommen, das laut Statistischem Bundesamt Deutsche im Durchschnitt verdienen, muss ein selbstständiger Dienst­leister, also auch wir Künstler, sehr zurückhaltend kalkuliert rund 48 Euro Stundenlohn, 365 Euro Tagessatz oder für sechs Wochen Proben oder eine sechswöchige Residenz eine Gage bzw. ein Honorar von 10944 Euro in Rechnung stellen.

Wer soll das bezahlen?

Aber: Was hilft es uns, den an sich angemessenen Stundensatz zu kennen, wenn wir ihn bei unseren Geschäftspartnern nicht durchsetzen können? Eine ganze Menge:
– Wer seine berufsbedingten Ausgaben und Einnahmen und den tatsächlichen Zeitaufwand für seine Arbeit übers Jahr betrachtet, weiß den Wert der eigenen Leistungen zu schätzen.
– Wer vergleicht und seinen Wert versteht, tritt seinen Geschäftspartnern selbstbewusster gegenüber, drückt nicht die Preise oder lässt sich bei Vereinbarungen über den Tisch ziehen.
– Und wer sich selbst nicht unter Wert verkauft und seinen Wert darstellen und entschlüsseln kann, kann realistische, würdige Preisangebote machen und wird damit in vielerlei Hinsicht glücklicher als mit den in der Branche üblichen Dumpingpreisen.
Das Angebot bestimmt die Nachfrage, und der Preis ist nicht das einzige Kriterium für die Auftragsvergabe. Wenn wir Künstlerinnen und Künstler unseren Wert verstehen und weitertragen und dadurch die Politik begreift, was die Arbeit der Künstler wert ist, gibt es Hoffnung darauf, dass unsere Auftraggeber irgendwann in die Lage versetzt werden, diese Preise auch zahlen zu können. Bis dahin spricht nichts dagegen, am Ende von Verhandlungen notfalls preisliche Zugeständnisse zu machen; denn wenn beiden Parteien klar ist, was die Arbeit der Künstler eigentlich kostet, wird sich das Nicht-Gezahlte sicherlich in Wertschätzung aufwiegen.