© Frauke Hohberger

Hohberger, Frauke

APPgemixt!

Musikapps für freies Improvisieren, selbstbestimmtes Komponieren und gemeinsames Musizieren

Rubrik: Digital
erschienen in: üben & musizieren 2/2020 , Seite 44

Mit Tablets, einer Auswahl professioneller Musikapps und den vier Ks für zeit­gemäße Bildung im Fokus – Kreativität, Kritisches Denken, Kommunikation, Kollaboration – mache ich mich auf den Weg in ganz unterschiedliche Musik­vermittlungsprojekte. In diesem Beitrag beschreibe ich den Besuch in einer Kita und einem Demenzkompetenzzentrum.

Musikapps bereichern die Musikvermittlung um ein Vielfaches. Sie erweitern musikalische Erlebnisräume und bieten vor ­allem eines: Teilhabe. Ganz neue musikalische Erfahrungen und Denkansätze werden möglich. Jeder kann spielend lernen und lernend spielen und ganz eigenen musikalischen Wegen folgen. Durch die Mobilität ist musikalisches Gestalten nahezu überall möglich. Das Einstellen von Tonart, Skala und Temposynchronisation ermöglicht ein harmonisches Musizieren und fördert die Lust am Spiel.
Unter den 50000 Musikapps in den Stores befindet sich ein großes Feld hochwertiger Apps, mit denen aktiv musiziert und produziert werden kann. Immer häufiger erscheinen vollständig auf dem Tablet entstandene Produktionen auf dem Musikmarkt. Gute Musikapps zeichnen sich durch einen guten Klang, Stabilität und eine übersichtliche Anwendung aus. Und genau diese Apps sind für die Musikvermittlung auszuwählen. Gerade Kinder möchten „Erwachsenen-Material“ und nicht eine extra bunte Version mit sparsamem Klang.
Aber nur das Potenzial einer App allein bewegt noch nicht viel. Um Empowerment zu ermöglichen, ist die Haltung, mit der wir uns begegnen, entscheidend. Als Coach und Lernbegleiterin stelle ich Räume bereit: Spielräume und Freiräume. Durch ein individuelles wertschätzendes Feedback, bei dem die Teilnehmenden im Mittelpunkt stehen, entwickelt sich Vertrauen sowie ein sicherer Raum, in dem nicht belehrt, sondern unterstützt wird und in dem ein lebendiger selbstbestimmter Prozess wichtiger als das Ergebnis ist. Die Musikeinheiten haben immer Werkstattcharakter. Es wird gehört, probiert, gefeilt, verworfen, das Werkzeug gewechselt, neu zugeschnitten, in kleinen Teams gearbeitet.

Kuckuck, Esel und Indianer

Zum wiederholten Mal werde ich in das Projekt „Welt der Töne, Rhythmen und Bewegungen – mit kultureller Bildung von der Kita in die Schule“ in eine Kita in Hannover eingeladen. Lange habe ich mit dem Einsatz von Tablets in der Kita gezögert. Das Tablet in eine Erlebniswelt zu bringen, in der jeder Tausendfüßler ein Abenteuer, jedes In-die-Pfütze-Springen ein Glücksmoment und jede Berührung eines Raupenfells ein maximal sinnliches Erlebnis ist, schien mir kontraproduktiv. Gelernt habe ich, dass in musikalischen Zusammenhängen das Gegenteil der Fall ist: Das Tablet ist kreativ, produktiv und bereichernd. Es bietet gerade für diese Altersgruppe eine Fülle an klanglichen Abenteuern und sinnlichen Hörerlebnissen.
In zwei Gruppen studieren täglich jeweils zehn bis zwölf Kinder während 45 Minuten unterschiedliche Musikstücke ein. Die Hauptarbeit besteht in jeder Gruppe im gemeinsamen Arrangieren des jeweiligen Songs. Unter Einbezug der Ideen, Wünsche, Fähigkeiten und Vorlieben der Kinder lernen wir Liedtexte, Rhythmen und Bewegungen und gestalten gemeinsam die Abläufe. Es wird probiert, verändert und entschieden. Es gibt maximalen Freiraum und Spielraum, um sich selbst einzubringen, und wir bewegen uns auf Augenhöhe.
Gruppe 1 hat sich für das traditionelle Lied Der Kuckuck und der Esel entschieden. Ein Kind beginnt in der App Gestrument Pro mit Klavierklängen und Birdsounds, sodass eine sphärische „Waldatmosphäre“ entsteht. „Das klingt ja wie der Meister“, bemerkt Leo (5 Jahre) und führt seine Hände zu einem buddhistischen Gruß zusammen. Als unser „Waldmeister“ ist er jetzt für die Atmosphäre des Intros zuständig, eine Aufgabe, die ihm besonders gut tut, denn mit dieser Musik scheint er vertraut, während trommeln und insbesondere einen Rhythmus halten für ihn eher schwierig ist. Es gelingt ihm sehr gut, über die App musikalische Spannung zu erzeugen. Er kann aus einem Instrumentenpool klassische Instrumente dazu- bzw. wegschalten. Im Raum herrscht aufmerksame Stille. Alle Kinder sind in den Bann gezogen und lauschen diesem orchestralen Soundscape.
Dann spiele ich den Kindern Originalaufnahmen der Stimmen von Kuckuck und Esel vor. Zur Nachahmung probieren wir verschiedene Sounds in den Apps Oval Synth und GeoShred aus. Der Kuckucksound ist in Oval Synth schnell gefunden. Mit meinen schrägen Eselklang-Vorschlägen in GeoShred können die Kinder nicht viel anfangen. „Ich kann einen viel besseren Esel!“, versichert Florand (6 Jahre) und steht auch schon am Mikrofon, um uns seine Stimmimitation hören zu lassen. Melina (5 Jahre) sitzt neben ihm. In der Rolle des Kuckucks spielt sie kleine Terzen in C-Dur. Ein Zwiegespräch zwischen Kuckuck und Esel füllt jetzt den Raum und ergänzt das Soundscape von Leo. Die Musik wird vielschichtiger, voller, intensiver.
Gruppe 2 beschäftigt sich mit Indianern: Kuate leno leno mahote, in einer Version aus meinem Buch Weltrhythmus und Klangzauber (Ökotopia 2012). Hier beginnt Sascha (6 Jahre), mit der App pianoscaper sphärische Klänge zu produzieren. So schafft er klanglich Raum und Weite und auch hier eine Atmosphäre, welche die Kinder in den Bann zieht. Ein zweites Kind setzt mit der „Flöte“ aus der App ThumbJam ein und improvisiert ein freies Solo. Ein aus meiner Sicht hoffnungsvolles Tool, um möglichst früh Spaß am freien Improvisieren zu erleben. Die Kinder lernen, sich auszudrücken und intuitiv auf ein Musikstück einzulassen. Alle Kinder sind sehr aufmerksam und konzentriert.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2020.