Gaertner, Max
Apps im Instrumentalunterricht
Gedanken zu einer allgemeinen Methodik der Verwendung Neuer Medien
Computer und Smartphones sind aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken und werden auch im Bildungsbereich immer häufiger eingesetzt. Es existieren unzählige Apps – Kurzform für Applikation = Programme, die man herunterladen und auf (mobilen) Endgeräten installieren kann – mit Inhalten für alle Interessen und Fachbereiche. Grund genug, den Bereich der Musik-Apps und ihre Anwendung im Instrumentalunterricht einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.
Moderne Technik hat den Bereich der Musikproduktion in den vergangenen Jahrzehnten in vielerlei Hinsicht revolutioniert. Ursprünglich waren die berühmten Studios für Elektronische Musik nur großen Rundfunkanstalten vorbehalten und die sperrigen Geräte nahmen ganze Räume ein. Mit der Zeit schrumpften Synthesizer & Co. immer weiter und waren somit auch für Privatpersonen zugänglich. Die jüngsten Entwicklungen führten dazu, dass nahezu alle erdenklichen Instrumente, Effekte und Klänge elektronisch simuliert werden können und als Applikation für Computer, Smartphones und Tablets erhältlich sind. Das digitale Tonstudio passt heute auf jede Festplatte und ist für jeden zugänglich, unabhängig von externem Input und sozialem Background.
Viele der Angebote sind kostenfrei erhältlich oder für geringe Beträge zu erwerben. Das macht den Bereich der Musik-Apps zu einem spannenden Feld für InstrumentalpädagogInnen und bietet viele interessante Einsatzmöglichkeiten. Wie man die neuen technischen Möglichkeiten in den Instrumentalunterricht integrieren kann und welche Methoden zur Anwendung kommen können, soll Inhalt dieses Artikels sein.
Aus der Corona-Pandemie kann man einige wichtige Schlüsse ziehen, die auch den Bereich der Neuen Medien betreffen:
1. Musikunterricht, der traditionell von Angesicht zu Angesicht stattfindet, ist durch nichts zu ersetzen. Menschen brauchen persönlichen Kontakt und auch der Instrumentalunterricht profitiert im höchsten Maß davon.
2. Egal wie technikaffin man grundsätzlich ist – ein gewisses technisches Grundwissen ist auch für InstrumentalpädagogInnen essenziell und kann in manchen Situationen von großer Wichtigkeit sein.
3. Neue Medien bieten ein enormes Potenzial, sei es für den direkten Austausch im Onlineunterricht, für die Übersendung von Video-Anleitungen oder im Rahmen von musikalischen Einzelübungen und Experimenten.
MusikpädagogInnen müssen also angesichts des technischen Angebots nicht um ihre Existenz fürchten, sondern sollten Neue Medien als willkommene Ergänzung des Instrumentalunterrichts betrachten, von der sowohl die Lehrkräfte als auch die Schülerinnen und Schüler profitieren können. Häufig werden in Artikeln rund um das Thema Neue Medien konkrete Apps und deren Funktionen im Detail vorgestellt. Im schnelllebigen digitalen Zeitalter werden jedoch nahezu täglich neue Inhalte produziert und das App-Angebot verändert sich ständig. Sinnvoller (und zeitloser) erscheint daher, zunächst eine allgemeine Methodik der Verwendung Neuer Medien zu entwerfen, die dann im Einzelfall auf das jeweilige App-Angebot angewendet werden kann.
Technische Voraussetzung
Die Arbeit mit Apps im Instrumentalunterricht erfordert grundsätzlich keine besonderen Investitionen. Notwendig ist lediglich, dass ein Smartphone oder Tablet mit Internetzugang zur Verfügung steht. Der Zugang zum Internet ist hier jedoch nur kurzzeitig notwendig, während die gewünschte App heruntergeladen wird. Im Idealfall haben sowohl Lehrkraft als auch Schüler oder Schülerin ein mobiles Endgerät zur Verfügung, damit technische sowie musikalische Prozesse parallel stattfinden können und der Schüler oder die Schülerin, wie im klassischen Instrumentalunterricht auch, von Erläuterungen, Beobachtungen oder Imitation profitieren kann.
Da es bei der Arbeit mit Musik-Apps nicht nur um das Abspielen, sondern auch um das Aufnehmen von Klängen geht, muss der Blick neben der Wiedergabe- auch auf die Aufnahmequalität gerichtet werden. Grundsätzlich gilt: Die Qualität der Mikrofone und Lautsprecher moderner Smartphones und Tablets ist beachtlich und erste Schritte können daher bedenkenlos ohne weiteres Equipment erfolgen. Möchte man die Klangqualität schrittweise verbessern, kann man ein externes Mikrofon und Lautsprecher bzw. Kopfhörer einsetzen.
Im Gruppenunterricht oder beim gemeinsamen Spielen von Lehrkraft und Schüler können Mischpulte eingesetzt werden, um einen Audio-Mix aller verwendeten Geräte zu erzeugen.
Häufig entstehen Konzepte zum Einsatz von Musik-Apps im Instrumentalunterricht durch Gespräche mit KollegInnen oder wenn in Fachmagazinen auf bestimmte Programme und deren Funktionen aufmerksam gemacht wird. Entsprechende Strategien können jedoch auch ganz intuitiv entworfen werden, denn nahezu jedes musikpädagogische Konzept kann mithilfe Neuer Medien umgesetzt werden. Da aufgrund der Aktualität keine ausführliche Literatur zum Thema existiert, ist eine gezielte Internetrecherche sowie der Besuch im AppStore (Apple) oder Google PlayStore (Android) durchaus hilfreich.
Inhalte
Musik-Apps können auf verschiedene Weise in den Instrumentalunterricht eingebunden werden. Die Möglichkeiten sind hier so vielseitig wie die angebotenen Applikationen. Einige Beispiele:
Noten: Mithilfe von Noten-Apps können Sie zu jeder Zeit eine ganze Bibliothek unterm Arm tragen und sowohl detaillierte Eintragungen in Dokumente vornehmen als auch in Konzertsituationen von der ferngesteuerten Umblätterfunktion profitieren.
Musikbeispiele: Streaming-Dienste versorgen Sie jederzeit mit Audio- und Videobeispielen nahezu aller Werke der Musikgeschichte, die Sie spontan in den Unterricht einfließen lassen können.
Komposition: SchülerInnen können mithilfe von Musik-Apps erste Kompositionsideen in die Tat umsetzen und sich das Ergebnis dank digitaler Simulation direkt anhören.
Experimentieren: Die elektronische Musikszene befasst sich schon lange mit der Entwicklung neuer Instrumente, die nicht auf klassischer Tonalität sowie Spielweisen aufbauen. Diese Genres bieten SchülerInnen und Lehrkräften kreative Spielräume, die eine willkommene Abwechslung zu Etüden und technischen Übungen darstellen können.
Intonation: Mittels Stimmgerät-Apps können SchülerInnen sowohl vorbereitend als auch während des Spiels jederzeit ihre Intonation überprüfen.
Gehörbildung: Eine umfangreiche Auswahl an Apps zur Gehörbildung ermöglicht es, SchülerInnen (z. B. als Hausaufgabe) mit regelmäßigen Übungen zur tonalen und rhythmischen Gehörbildung zu versorgen.
Loops: Loop-Stations nehmen kurze Sequenzen (sogenannte „Loops“) auf und spielen diese immer wieder ab. Sogenanntes „Overdubbing“ beschreibt das schrittweise Hinzufügen neuer Tonspuren, die übereinander geschichtet wiedergegeben werden. Aufeinander aufbauende Loops, die sich zu einer umfangreichen Komposition zusammensetzen können, schulen sowohl spieltechnische Präzision als auch Kreativität.
Aufnahmen und Selbstanalyse: Das Aufnehmen des eigenen Spiels und die anschließende Analyse von sowohl Audio- als auch Videomaterial schult die Selbstwahrnehmung und kann zur Vorbereitung auf Vorspiele und Wettbewerbe dienen.
Play-alongs erstellen: Zahlreiche Noten werden mittlerweile mit Play-along-CDs geliefert, die eine musikalische Begleitung zu Etüden und Solostücken bereithalten. Mithilfe von Apps zur Musikproduktion können die Schülerinnen und Schüler sich hier selbst kreativ betätigen und eigene Play-alongs zu aktuell im Unterricht behandelten Stücken produzieren.
Songwriting im Gruppenunterricht: Zahlreiche Musik-Apps eignen sich durch die Kombination aus digitalen Instrumenten und der Möglichkeit, Instrumentalklänge sowie Stimmen aufzunehmen, hervorragend zum Schreiben eigener Songs. Durch Freigabe eines Projekts für mehrere Nutzer kann dies auch in Gruppenarbeit zusammen mit anderen SchülerInnen oder der Lehrkraft geschehen.
Umsetzung
Je intuitiver die Musik-Apps in den Unterricht eingebunden werden, desto besser. Natürlich stellt dieser Bereich für die meisten Lehrkräfte Neuland dar, in der Regel profitiert der Schüler jedoch davon, wenn der Unterricht hier und da mit kleinen Übungen versehen wird und die digitale Komponente weder besonders positiv noch negativ hervorgehoben wird.
Vorbereitung: Von absoluter Wichtigkeit ist, dass der Einsatz von Musik-Apps gut vorbereitet wird. Verzögerungen durch technische Fehlfunktionen oder inhaltliche Probleme haben schnell einen Verlust der Aufmerksamkeit des Schülers oder der Schülerin zur Folge.
Während des Unterrichts: Wählen Sie den Einsatz Neuer Medien mit Bedacht und lassen Sie ihnen so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich Aufmerksamkeit zukommen. Smartphone und Tablet können ein überaus wertvoller Bestandteil des Instrumentalunterrichts sein, aber eben nur einer von vielen.
Hausaufgaben: Hat der Schüler ein eigenes mobiles Endgerät zur Verfügung, besteht die Möglichkeit, Aufgaben für die Zeit zwischen den Unterrichtsstunden zu formulieren. Die Ergebnisse können dann entweder in der nächsten Unterrichtsstunde präsentiert oder aber im Vorhinein an die Lehrkraft übermittelt werden. Der digitale Austausch via Cloud oder E-mail bietet hier komfortable Lösungen, bedarf jedoch einer regelmäßigen Betreuung durch Antwort oder Durchsicht übermittelter Arbeiten, deren zeitlicher Umfang nicht zu unterschätzen ist. Hier einen geeigneten Mittelweg zu finden, bedarf einer ausgiebigen Experimentierphase, die auch sehr von den individuellen Vorlieben der Lehrkraft abhängt.
Format Online-Unterricht: Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie spielen Online-Lessons notgedrungen eine vorrangige Rolle. Auch hier bieten entsprechende Apps umfangreiche Möglichkeiten der Interaktion mit den SchülerInnen. Neben Instrumentalunterricht per Video-Chat können auch in Schülergruppen kreative Arbeiten wie digitale Konzerte, Videocollagen oder Kompositionsprojekte entstehen.
Teamwork: Neue Medien sind für viele MusikpädagogInnen Neuland und sicher bestehen gewisse Bedenken hinsichtlich des Einsatzes von Musik-Apps im Instrumentalunterricht. „Digital Natives“, Kinder, die im Zeitalter des Internets geboren wurden, verfügen oft über weitaus mehr praktische Erfahrung im Umgang mit mobilen Endgeräten und Apps. Lassen Sie sich davon jedoch nicht abschrecken. Offenheit gegenüber Tipps und Ratschlägen seitens Ihrer SchülerInnen wirkt sich positiv auf das Unterrichtsklima aus. Die Qualität der musikalischen Inhalte und Ihres Fachwissens hängt nicht von digitalen Hilfsmitteln ab.
Eltern: Setzen Sie in jedem Fall auf eine offenen Zusammenarbeit mit den Eltern. Besprechen Sie Ihr Vorhaben, Apps einzusetzen, und erklären Sie die pädagogisch-musikalischen Vorteile für den Instrumentalunterricht. Sollten Bedenken bestehen, dass die Zeit am Smartphone oder Tablet möglicherweise zum Surfen missbraucht wird, besteht die Möglichkeit, durch entsprechende Einstellungen die Tätigkeit auf eine App zu beschränken.
Der Einsatz von Musik-Apps im Instrumentalunterricht kann ein großer Gewinn sowohl für SchülerInnen als auch für Lehrkräfte sein. Die inhaltliche Gestaltung orientiert sich enger am musikpädagogischen Fachwissen der Lehrkraft, als viele vielleicht vermutet hätten. Doch Neue Medien stellen ein zeitgemäßes Mittel dar, um die Inhalte abwechslungsreich zu transportieren. In jedem Fall zahlt sich Offenheit gegenüber diesem neuen Unterrichtskonzept aus – und es bleibt mit Spannung zu erwarten, wie sich der Instrumentalunterricht der Zukunft gestaltet.
Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 3/2020.