Behschnitt, Rüdiger

Aschebersch trotzt Aschewolke

Mit einem umfangreichen Programm feiert die älteste Musikschule ­Deutschlands in Aschaffenburg ihr 200-jähriges Bestehen

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 3/2010 , Seite 34

Da konnte der isländische Vulkan Eyjafjallajökull noch so viel Asche spucken: Das Organisationsteam der Musikschule in Aschaffenburg (von den Einheimischen „Aschebersch“ gesprochen) hatte alles im Griff! Saß auch der Pianist, der beim „Halbzeit“-Konzert des Jubiläumsjahres die Sonate für Bratsche op. 11 Nr. 4 von Hindemith mitgestalten sollte, wegen des Flugverbots am Grazer Flughafen fest, konnte die Musikschule dennoch einen ehemaligen Schüler präsentieren, der mit nur einer Probe am Vorabend das Werk einstudierte und gemeinsam mit der Bratschis­tin bravourös zur Aufführung brachte. Auch das ein Qualitätsmerkmal erfolgreicher Musikschularbeit! Nur wer über viele Jahre hinweg sowohl in der Breite als auch in der Spitze kontinuierliche musikalische Bildungsarbeit betreibt, kann im Ernstfall auf einen solchen Pool an instrumentalen Spitzenkräften zurückgreifen.
Doch natürlich sah es auch in der 200-jährigen Geschichte der Aschaffenburger Musikschule nicht immer so rosig aus. 1810 gründet Carl von Dalberg die „Bürgermusikschule“ im aufstrebenden Landstädtchen Aschaffenburg und schon im Gründungsdekret ist festgehalten, dass der Direktor „den armen, jedoch talentvollen Kindern den Unterricht unentgeltlich erteile, von den Kindern vermögender Eltern aber eine monatliche Taxe von einem Gulden“ erhalten solle. Von so viel Weit­sicht ließen sich die Stadtoberen nicht immer leiten und der uns heute von vielen Musikschulen nur allzu bekannte Streit über die Finanzierung begleitet auch die Aschaffenburger Musikschule durch ihre Geschichte. So beklagt sich Mitte des 19. Jahrhunderts der Musikschuldirektor, dass „ihm der Magistrat befahl, lieber die Proben einzustellen, als 8-9 Gulden jährlich für Beleuchtung zu verrechnen“.
In der Ära von Hermann Kundigraber, der die Musikschule von 1905 bis 1938 leitet, erfährt das Aschaffenburger Musikleben eine Blütezeit. Bei seinem Weggang hat die Aschaffenburger Musikschule um die 230 SchülerInnen. Die prominenten Namen im Gästebuch zeigen, dass die Musikschule auch für auswärtige Künstler zu einem attraktiven Auftritts­ort geworden ist. Paul Hindemith ist mehr­fach zu Gast und mit Datum vom 22. Mai 1932 ist zu lesen: „Nicht Flötenbläser, Celloschaber / War’n heut beim Herrn Kundigraber / Nein es waren, daß Ihr’s wißt’s / Die Comedian Harmonists“. Nach dem Zweiten Weltkrieg kann der Schulbetrieb erst 1959 wieder aufgenommen werden. Und erst 1982 bezieht die Musikschule Aschaffenburg wieder ein eigenes Gebäude, in dem sie auch heute noch untergebracht ist.
Die wechselvolle Geschichte der Aschaffenburger Musikschule ist in der Festschrift zum Jubiläumsjahr vorbildlich dokumentiert. Der Beharrlichkeit einzelner Musikschulleiter wie auch der Weitsicht der politisch Verantwort­lichen in jüngerer Zeit ist es zu verdanken, dass die Musikschule Aschaffenburg in ihrem 200. Jahr mit 1650 SchülerInnen hervorragend dasteht und ein entscheidender Faktor im städtischen Kulturleben ist. Das Jubiläumsjahr 2010 wird unter dem Motto „200 Jahre – 100 Konzerte“ ausgiebig gefeiert. Wobei die Musikschule betont, dass 100 Veranstaltungen eigentlich in jedem Jahr stattfänden. Dies anlässlich des Jubiläums noch einmal herauszustellen, ist ein kluger Schachzug.
Nach den 31. Aschaffenburger Gitarrentagen im Februar und März markierte das „Halbzeit“-Konzert Mitte April mit Musik aus den Jahren um 1910 – mit Werken von Ives, Bartók, Hindemith, Webern, Ravel und anderen – die Halbzeit des Musikschulbestehens und bot ein beeindruckendes Panorama, dargeboten von (ehemaligen) SchülerInnen und vor allem Lehrkräften der Musikschule. Zuvor hatte der Bildungskongress des Verbands deutscher Musikschulen „Musikalische Bildung von Anfang an“ in Aschaffenburg stattgefunden. Weitere Höhepunkte des Jubiläumsjahres werden das Musikschulfest am 3. und 4. Juli mit der Uraufführung der Auftragskomposition Die Suche nach der verlorenen Melodie von Thomas Gabriel mit über 300 Mitwirkenden sowie mehrere Aufführungen von Wilfried Hillers Musiktheater Die Ballade von Norbert Nackendick vom 9. bis 14. Oktober im Stadttheater sein. Das komplette Jubiläumsprogramm ist einzusehen auf der neu eingerichteten Internetseite www.musikschule-aschaffenburg.eu.
Passend zum „Halbzeit“-Konzert bot dank Eyjafjallajökull und Flugverbot sogar der Himmel den Geräuschpegel von 1910: himmlische Ruhe über dem Rhein-Main-Gebiet. Und der Vulkan spuckt weiter Asche auf unsere Häupter. Zu einer solch demütigen Haltung besteht bei der Musikschule Aschaffenburg jedoch keinerlei Anlass!

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 3/2010.