Herbst, Sebastian

Auf dem Weg zu 100 Prozent

Der Kommentar

Rubrik: Kommentar
erschienen in: üben & musizieren 6/2023 , Seite 43

Unter dem Titel „Argumente für die Notwendigkeit sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse an öffentlichen Musikschulen“ gab der Landesverband der Musikschulen Baden-Württembergs kürzlich eine Handreichung heraus, die auch über das Bundesland hinaus von Interesse ist. Baden-Württemberg scheint mit rund 80 Prozent Unterrichtsleistungen von sozialversicherungspflichtig beschäftigten Lehrenden auf einem guten Weg zu sein. Empfohlen wird aber, „möglichst ganz oder zumindest weitestgehend darauf zu verzichten, freiberuflich tätige Musikpädagoginnen und Musikpädagogen als Honorarkräfte zu engagieren“ – und zwar als „Entscheidung […] gegen das ‚Outsourcing‘ von Unterrichts- und anderen Bildungsleistungen der Musikschule an Freiberufler bzw. Honorarkräfte“.
Als erstes Argument werden aktuelle Rechtsprechungen angeführt, aus denen das erhöhte Risiko einer Statusfeststellung zur Scheinselbstständigkeit bei Honorarkräften hervorgeht. Die Sozialgerichte beziehen sich dazu nicht nur auf die vertraglichen Vereinbarungen, sondern insbesondere auf die gelebte Praxis im Gesamtbild der Zusammenarbeit.
Als zweites Argument folgt der Hinweis, dass Musikschulen ihren öffentlichen Bildungsauftrag nur mit angestellten und daher weisungsgebundenen Lehrenden erfüllen können. Nur so können Leitungen und Träger die Leistungen der Lehrenden jederzeit überprüfen und einfordern. Zudem haben sie nur so „die Möglichkeit, rechtskonform mittels Weisungen und mit Bezug auf Rahmenlehrpläne […] Einfluss auf die inhaltliche und methodisch[-]didaktische Ausgestaltung des Unterrichts“ zu nehmen und Lehrende für „den Unterricht in bestimmten Formaten abzuordnen“. Besonders wichtig sei dies in Kooperationen mit Schulen und Kitas: mit Blick auf die inhaltlichen, zeitlichen und räumlichen Vorgaben und um sicherzustellen, dass ein angemessener Austausch mit dem pädagogischen Personal der Kooperationspartner stattfinden kann. Nebenbei interessant ist das Zugeständnis, dass gerade bei Kooperationen mit Schulen der Zeitaufwand durch Abstimmungen und den Einbezug in schulische Abläufe sehr hoch ist und deutlich steigt. Ob dies im Einzelfall wohl auch bei den Zusammenhangstätigkeiten angemessen berücksichtigt wird?
Schließlich folgt der akute Fachkräftemangel als Argument: „Musikschulen, die keine Arbeitsplätze mit attraktiven Arbeitsbedingungen anbieten (können), sind bereits heute im Wettbewerb um Fachkräfte nachweisbar strukturell benachteiligt und haben […] Schwierigkeiten, Stellen adäquat zu besetzen.“ Was als attraktive Arbeitsbedingungen verstanden wird: angemessene Vergütung, auskömmlicher Beschäftigungsumfang, keine Befristung sowie Festanstellung in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis in Anlehnung an den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes.
Und dann der entscheidende Hinweis: Fehle es künftig an einer ausreichenden Anzahl von entsprechend qualifizierten Lehrenden, sei die Angebotsbreite und -tiefe nicht mehr möglich, was bedeuten könne, dass Musikschulen „ihren öffentlichen Bildungsauftrag nicht (mehr) erfüllen und ihre Existenz und Bezuschussung durch öffentliche Mittel nicht (mehr) rechtfertigen“. Außerdem wäre „in diesem Fall möglicherweise auch die Landesförderung gemäß §§9f. JBG in Gefahr“.
Die abschließende rechnerische Gegenüberstellung der Personalaufwendungen für TVöD-Lehrende und Honorarlehrende soll schließlich jeden Zweifel eliminieren, den Schritt zu 100 Prozent Festanstellungen zu gehen: die Personalaufwendungen für Honorarkräfte seien „bei zeitlich und inhaltlich vergleichbarer Tätigkeit […] nicht unbedingt viel niedriger“. Ob es aber wirklich um die monatlichen Kosten geht? Vielmehr scheint doch bei weniger gefragten Angeboten das wirtschaftliche Risiko von unbefristeten Festanstellungen ein Argument der Träger für Honorarbeauftragungen zu sein.
Die Adressaten der Handreichung sind in erster Linie die Leitungen und Träger ­öffentlicher Musikschulen. Deutlich soll werden: Ohne attraktive Arbeitsbedingungen und Fachkräfte sind eure Musikschulen nicht zukunftsfähig. Die unbedingte Verhinderung des Verlusts auch einzelner öffentlicher Musikschulen dürfte dann wohl der Grund für einen fraglichen Hinweis im Fazit sein, der sich an Träger von Musikschulen richtet, die nicht Mitglied des Kommunalen Arbeitgeberverbandes sind: Sie unterliegen nicht der Tarifbindung des TVöD und sind somit nicht gezwungen, die TVöD-Bestimmungen bei Überführung von Honorarbeschäftigungen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zu übernehmen. Aus Arbeitnehmersicht gesprochen: Der Hinweis ist doch sicher als eine Empfehlung für übertarifliche Vereinbarungen zu verstehen, oder?

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