Behschnitt, Rüdiger
Auf der Suche nach den Werten
Der Bayerische Musikschultag in Aschaffenburg stellte die Frage „Was ist guter Musikschulunterricht?“ in den Mittelpunkt
Braucht man eigentlich für die Ergebnisse guten Musikschulunterrichts überhaupt Musik? Diese eher skurril anmutende Frage gewinnt plötzlich an Plausibilität, wenn man den Erfolg guten Musikschulunterrichts vornehmlich in den so genannten soft skills verortet – als da wären die oft zitierten Eigenschaften wie Konzentrationsfähigkeit, Sozialkompetenz, wenn nicht gar Intelligenz. Und tatsächlich traute sich Viktor Schoner, Künstlerischer Betriebsdirektor der Bayerischen Staatsoper München und ehemaliger Schüler der Städtischen Musikschule Aschaffenburg, in seinem Kurzreferat beim 33. Bayerischen Musikschultag auszusprechen, was viele sich sonst nur hinter vorgehaltener Hand zu fragen trauen: Kann man diese Kompetenzen nicht ebenso gut im Fußballverein erlernen? Reinhart von Gutzeit, Rektor der Universität Mozarteum Salzburg, gelang es, die Provokation der Frage mit seiner Antwort zu toppen: „Vermutlich ja!“
Wie definiert man also „Erfolg“ an der Musikschule? Was ist typisch für diese Einrichtung? Oder, so die Fragestellung der Podiumsdiskussion an der Musikschule Aschaffenburg: „Was ist guter Musikschulunterricht?“ In seinem einleitenden Impulsreferat hatte Reinhart von Gutzeit betont, dass Musikschule zuallererst eben auch Schule sei. Daher lassen sich auch Musikschulen unter den drei Kategorien betrachten, die für jede Schule Gültigkeit haben: Unterricht, Erziehung und Bildung. Der Unterricht an Musikschulen vermittelt instrumentale oder vokale Fähigkeiten und Fertigkeiten; die Erziehung dient der Charakterbildung, wohingegen (musikalische) Bildung vertieftes Wissen und ein System der Wertvorstellungen zum Ziel hat. Von Gutzeit hob hervor, dass Bildung immer nur das Ergebnis einer Entwicklung von innen heraus sein könne, eine Tatsache, die auch in der deutschen Sprache zum Ausdruck komme: Die Formulierung „Ich bilde dich“ sei nicht möglich, mit der korrekten Verwendung „Ich bilde mich“ werde jedoch genau dieser Aspekt des selbst gesteuerten Lernimpulses verdeutlicht.
Als Voraussetzungen für guten Musikschulunterricht nannte von Gutzeit einige wichtige Aspekte: Musikschule muss für alle da sein, wobei gerade die Breitenarbeit mit höchster Qualität zu erfolgen hat. Musikschulunterricht bedarf ausgearbeiteter Konzepte, dies zeigt sich gerade in der Analyse von JeKi als einer Utopie, die genau an diesem Mangel zu scheitern droht. Musikschulunterricht ist anspruchsvoll und braucht professionell ausgebildete Lehrkräfte. „Musikschule“, so Reinhart von Gutzeit, „ist eine andere Schule!“
Als dritter Redner vor der Podiumsdiskussion formulierte Martin Ullrich, Präsident der Musikhochschule Nürnberg, einige Wünsche an Musikschullehrkräfte: Sie sollten immer ihren künstlerischen Anspruch hochhalten, sie sollten niemals müde werden, sich auch um eine musikferne Klientel zu bemühen. Die Türen der Musikschulen müssten offen stehen für Hochschulen und deren Studierende – Unterrichtspraktika für Studierende an Musikschulen, gegenseitige Hospitationen, Fortbildungen für Musikschullehrkräfte an den Hochschulen, Supervision und Runde Tische von Hochschul- und Musikschullehrkräften zum gemeinsamen Gedankenaustausch: alles nur Utopie?
Leider wurden die spannenden inhaltlichen Steilvorlagen der drei Referenten vom Gesprächsleiter der sich anschließenden Podiumsdiskussion ignoriert. Die nun um drei weitere TeilnehmerInnen erweiterte Runde sprach wieder einmal in erster Linie über mangelhafte Rahmenbedingungen, fehlendes Geld, ignorante Politik und klamme Kommunalhaushalte. Und wieder war es Viktor Schoner von der Bayerischen Staatsoper, der in erfrischender Offenheit und mit dem klaren Blick des Außenstehenden die aufkommende Larmoyanz mit der Frage konterte, ob denn nicht in den vergangenen 30 bis 40 Jahren eine unglaubliche Entwicklung, eine geradezu einmalige Erfolgsgeschichte des deutschen Musikschulwesens stattgefunden habe? Die durchaus berechtigte Kritik aus dem Publikum, dass man leider nichts darüber erfahren habe, was denn nun konkret die unverwechselbaren Werte von Instrumentalunterricht seien, die diesen etwa von der Wertevermittlung im Sport abheben, konnte mangels Zeit nicht mehr aufgegriffen werden. Eine verpasste Chance, die oftmals ins Kraut schießenden Transfer-Versprechungen auf eine fundierte Basis zu stellen.
Am Vormittag war Reinhart von Gutzeit mit der Carl-Orff-Medaille des Verbands Bayerischer Sing- und Musikschulen geehrt worden. Und auch wenn die zahlreichen Festredner sich alle erdenkliche Mühe gaben: Erst beim abschließenden Urwaldsong, gesungen vom Kooperationsprojekt Singklassen der Städtischen Musikschule Aschaffenburg und der Grünewald-Grundschule, wusste man wieder, worum es in der Musikschule wirklich geht. Und dass die Kinder von solchen Momenten noch lange zehren werden. Das ist guter Musikschulunterricht.
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