© Städtische Musikschule Lahr

Reisch, Sven

Auf die Methode kommt es an

Selbstständig lernen im „GrooveLab“ der Städtischen Musikschule Lahr

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 2/2019 , musikschule )) DIREKT, Seite 04

An der Städtischen Musikschule Lahr ist vor etwas über zwei Jahren ein neues Konzept für den Unterricht im Popularbereich an den Start gegangen. Das „GrooveLab“ verbindet Montessori-­Pädagogik mit verschiedenen digitalen Hilfsmitteln. Schüler, Eltern und Lehrkräfte sind gleichermaßen begeistert.

Tom zählt ein. Die Sticks des 13-jährigen Schlagzeugers klacken gut hörbar aufeinander. Doch mit dem Einsatz seiner 14-jährigen Bandkollegen an E-Bass und E-Gi­tarren hört man erst einmal – nichts! Während die vier Jungs sichtbar engagiert ihre Instrumente bearbeiten, sind akustisch allenfalls ein leichtes Schrammeln von den Saiten der E-Gitarren und das dumpfe Ploppen der Schlegel auf die Gummi-Pads des E-Drum-Sets wahrnehmbar. Wenn man es den Musikern aber gleichtut und sich Kopfhörer über die Ohren streift, ist man plötzlich mittendrin im kräftigen Bandsound von Urban Hype, der jungen Rockformation, die an diesem Nachmittag im GrooveLab der Städtischen Musikschule Lahr ihre Musik einstudiert.
Demnächst steht für die junge Band der nächste Gig an und der Titel Fluorescent Adolescent, ein Song der britischen Indie-Rockband Arctic Monkeys, benötigt noch etwas Feinschliff. Gitarrenlehrer Andreas Kopfmann klinkt sich als Zuhörer ebenfalls mit Kopfhörern in die Probe ein und gibt, nachdem der letzte Ton des Durchlaufs erklungen ist, Tipps und Verbesserungsvorschläge. Die vier Musiker stimmen vor allem aber auch untereinander ab, was noch besser werden muss, bevor sie das Stück nochmal spielen und die Probe mit weiteren Titeln fortsetzen.
Das GrooveLab ist die musikalische Heimat von Urban Hype und für jeden Einzelnen der Musiker auch der Ort, um das eigene Können am Instrument zu verbessern. Bandspiel und Instrumentalunterricht verbinden sich im GrooveLab zu einer Einheit, die ganz bewusst gefördert wird. Die Erfinder des neuen Angebots verstehen sich als Pioniere auf einem neuen Weg: weg vom herkömmlichen „Meisterunterricht“ an der Musikschule, hin zum Verständnis des Musikschullehrers als Lernbegleiter und musikalischer Ratgeber.
Die SchülerInnen wählen dabei ihre Lerninhalte weitgehend selbst. Der gewohnte Stundenplan von jeweils 30- oder 45-minütigem Einzelunterricht wird aufgelöst. Die SchülerInnen haben GrooveLab-Tage, sie können in Gleitzeit ins GrooveLab kommen und bestimmen ihre Aufenthalts­dauer selbst. Tobias Meinen, Leiter der Städ­tischen Musikschule Lahr, E-Bass-Lehrer und gemeinsam mit Gitarrenlehrer And­reas Kopfmann Vordenker des GrooveLab, nennt dieses neue Unterrichtsformat „individualisiertes Lernen im sozialen Kontext“.

Muttersprachliche ­Herangehensweise

Seit Juni 2016 betreibt die Städtische Musikschule in Lahr das deutschlandweit einzigartige Konzept des Gruppenunterrichts im Popularbereich. Für den Unterricht an E-Gitarre und E-Bass finden die SchülerInnen im GrooveLab zahlreiche Instrumente und Übeplätze vor, an denen sie selbstständig arbeiten können. Die Lehrkräfte sind jederzeit ansprechbar, kontrollieren den Lernfortschritt, geben dabei Übeimpulse und Hilfestellungen, schlagen neue Lerninhalte vor. Das Erkenntnisinteresse der SchülerInnen steht aber immer im Vordergrund.
Ziel des GrooveLab ist eine breit angelegte musikalische Ausbildung im Popularbereich. Dabei setzt man auf eine „muttersprachliche Herangehensweise“, wie And­reas Kopfmann sagt. Die Musikschüler sollen Musik und Instrumente erlernen, wie ein Kind das Sprechen erlernt: nicht nach Lehrbuch, sondern durch Hören und Praxis, durch Neugierde, durch Begeisterung. Hierbei greift man auf Elemente der Montessori-Pädagogik zurück. Andreas Kopfmann, ausgebildeter Montessori-Pädagoge, hat dafür eigens neue Unterrichtsmaterialien entwickelt, die zum eigenständigen Ent­decken einladen. Ausstattung und Infrastruktur des GrooveLab folgen konsequent diesem pädagogischen Anspruch. Neben umfangreichen Materialkisten mit Lernblättern, Übekarten, Schaubildern und spielerischen Erklärelementen spielen digitale Hilfsmittel für die Lernumgebung eine wichtige Rolle.
Im GrooveLab herrscht eine arbeitssame und konzentrierte Atmosphäre. Auch wenn bis zu zehn SchülerInnen gleichzeitig da sind, geht es ruhig zu. Zwei Lehrer sind ständig vor Ort und für die SchülerInnen ansprechbar. Damit jeder ungestört an seinem Übeplatz eigenständig an seinen Aufgaben arbeiten kann, bedarf es technischer Unterstützung. Geübt wird mit Kopfhörern. Über sogenannte Session Mixer kann sich der Lehrer jederzeit einklinken und mithören, oder aber SchülerInnen können zusammen spielen, ohne dass die Umgebung gestört wird.

Vorreiter im Einsatz digitaler Hilfsmittel

Moderne Tablets ersetzen die klassischen Lehrbücher und Notensammlungen. Ausgewählte Apps stehen zur Verfügung. „Über 100 Apps haben wir für den Einsatz getestet, aber letztendlich sind davon nur vier in regelmäßigem Gebrauch“, erläutert Tobias Meinen. Die App Chordify zum Beispiel ermöglicht es, zu YouTube-Videos Akkordsymbole und Griffbilder mitlaufen zu lassen und damit in Echtzeit Liedbegleitung zu aktuellen Hits und zeitlosen Klassikern zu üben. Mit Guitar Pro steht eine umfangreiche Notenbibliothek zur Verfügung. Partituren, Einzelstimmen und Tabulatoren können als PDF gelesen und bearbeitet, zum Beispiel in alle Tonarten transponiert werden. Zum Abspielen von Songs bietet Anytune eine Vielzahl von Möglichkeiten an, die das Üben unterstützen. So können das Tempo verändert und die Tonhöhe angepasst, kurze Loops erstellt und einzelne Instrumente isoliert werden. Außerdem wird noch eine Drum-Machine-App als Metronom und Begleithilfe genutzt.
Als Vorreiter im Einsatz digitaler Geräte im Musikschulunterricht sind Meinen und Kopfmann im regelmäßigen Austausch mit den Herstellern, um Rückmeldungen zu geben und an der Technik zu feilen. Und die Firmen sind durchaus dankbar, weil der Einsatz im professionellen musikpädagogischen Umfeld noch in den Kinderschuhen steckt. So brennt den Beiden vor allem der Wunsch nach einer besonderen technischen Neuentwicklungen unter den Nägeln: eine digitale Korrepetitionsplattform, die auch für Bläser und weitere Ins­t­rumente sowie für das Üben klassischer Literatur einsetzbar ist.
Mit den Tablets und Apps wird ein Lernumfeld geschaffen, in dem ein Schüler sich besonders nah an der Originalaufnahme mit den Songs beschäftigen und musikalisch üben kann. In diesem Zusammenhang haben die GrooveLab-Macher auch einen interessanten Nebeneffekt ausmachen können. Die experimentierfreudige Atmosphäre lädt ungewöhnlich viele Schü­lerInnen zum Singen ein. Diese überraschende Entwicklung passt zum ganzheitlichen Ansatz des GrooveLab: Die Beschäf­tigung mit Musik in all ihren Facetten steht im Vordergrund.

Digitale Technik im Dienste des Lernens

Aufgrund einer cleveren Vernetzung entstehen im Handumdrehen Mitschnitte von Übe-Sessions, die den SchülerInnen und ihren Eltern als Dokumentation per E-Mail nach Hause geschickt werden können, samt Notenmaterial für das weitere Üben. Insgesamt beeindruckt das durchdachte Gesamtkonzept, in dem die vorhandene Technik niemals Selbstzweck ist, sondern die pädagogische Methode im Vordergrund steht. „Es geht um eine neue Art zu lernen, nicht um neue Technik“, fasst Musikschulleiter Meinen den Einsatz der digitalen Möglichkeiten im GrooveLab zusammen, die mit Investitionen von etwa 40000 Euro verbunden waren.
Die neue Art zu lernen kommt an. Derzeit sind rund 100 Kinder und Jugendliche im GrooveLab aktiv. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der SchülerInnen liegt bei etwa zwei Stunden und damit deutlich länger als beim herkömmlichen Unterricht. Und neben dem Hauptinstrument werden auch weitere Instrumente und die Stimme kennengelernt sowie Wissen über Musik im Allgemeinen vermittelt. Außerdem entstehen durch das gemeinsame Musizieren immer wieder Bands, die sich eigenen Songs widmen und die Bühnen und Probenräume außerhalb der Musikschule erobern.
Zu den Neuerungen der Lahrer Konzeptschmiede gehören die „GrooveLab-Kids“. Die Fünf- bis Achtjährigen lernen spielerisch – ohne den Einsatz von Tablets und digitalen Medien – das pädagogische Umfeld im GrooveLab kennen und beginnen, die faszinierende Welt der Musik mit eigenen Mitteln zu entdecken. In 60-minütigen Einheiten wird viel gemeinsam musiziert, ohne die Kinder bereits auf ein bestimmtes Instrument festzulegen. Und auch für Kooperationsprojekte in Schulen wird das GrooveLab mit Erfolg exportiert: Zuletzt konnte eine GrooveLab-„Außenstelle“ in Ettenheim eröffnet werden. GanztagsschülerInnen können hier nun unter Anleitung ihre freie Zeit am Nachmittag musikalisch verbringen.
Wenn ein Konzept so erfolgreich etabliert wurde, bleibt es nicht aus, dass auch die Öffentlichkeit davon Notiz nimmt. Vorträ­ge beim Montessori-Kongress in Den Haag und für den Städtetag Baden-Württemberg zeigen, dass neue Unterrichtsmodelle für Musikschulen durchaus auf Nachfrage stoßen. Meinen und Kopfmann sehen die Musikschulen selbst in der Pflicht, neue Entwicklungen zu ermöglichen, und äußern den Wunsch, dass die Verbände hier vorangehen.
Unterdessen hört man Ben, den Bassisten von Urban Hype, den nächsten Song der Band einstudieren: das alte Arbeiterlied Bella Ciao, das im vergangenen Sommer in einer House-Version zum großen Hit avan­cierte. Mit neuen Mitteln alte Traditionen aufleben zu lassen: Das passt zum Unterricht im GrooveLab-Stil.

Der Artikel wurde zuerst veröffentlicht in: MUSIKLAND – Magazin der Musikschulen in Baden-Württemberg, Ausgabe 2019.