Tumler, Margareth

Auf zu neuen Ufern!

Plädoyer für die Professionalisierung der Orgelpädagogik

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 5/2013 , Seite 50

Wenn man an “Orgel” denkt, ist der gedankliche Kirchgang so gut wie ­vorprogrammiert. Die seit dem Mittelalter eng mit der Kirche verbundene Entwicklung des Instru­ments hat ihm einen sakralen Stempel aufgedrückt, der bis heute sowohl von KomponistInnen, InterpretInnen, Publikum, Lehrenden und Lernenden als auch von MusikwissenschaftlerInnen kaum hinterfragt wird.

Warum aber wird gerade ein Instrument, das in musikalisch-künstlerischem Sinn nahezu unerschöpfliche Möglichkeiten bietet, auf ein Instrument christlich-sakraler Huldigung ­reduziert? Einen logisch nachvollziehbaren Grund gibt es dafür nicht, spricht man der Orgel ihre Existenz als das zu, was sie im Wesen ist: ein Musikinstrument.
Als solches ist sie per se künstlerisch und verlangt nach einer möglichst umfassenden Ausschöpfung der sich bietenden klang­lichen und technischen Möglichkeiten. Gerade im Fall der Orgel sind diese nahezu unbegrenzt und wollen spieltechnisch und kompositorisch genutzt werden im Sinne eines hochdifferenzierten, ausdrucksstarken Musizierens.
Sinnlich-virtuose Töne vernimmt man von der Königin der Instrumente jedoch in der Regel kaum, im Normalfall kleidet sie sich eher in Nonnentracht: Nach wie vor wird das Instrument nahezu ausschließlich in einem engen sakralen Rahmen von Verboten und Geboten gedacht und gelebt,1 was weitreichende Konsequenzen für seine allgemeine Wahrnehmung, seinen Stellenwert im klassischen Konzertleben und für die Ausbildung des künstlerischen Nachwuchses hat. Dabei wirkt der gegenüber neutralen Räumen noch immer überwiegende Standort des Instruments, der Kirchenraum, auf zwei Ebenen, die eng miteinander verwoben sind: auf einer physisch-räumlichen und einer psychisch-mentalen Ebene.

Desolate ­Rahmenbedingungen

Ein Blick in die gegenwärtige Orgelpädagogik2 verdeutlicht diese vielschichtige Problematik, die in Fachkreisen bedauerlicherweise kaum erkannt und, wenn überhaupt, dann nur einseitig diskutiert wird. Dies zeigt sich schon bei den Rahmenbedingungen, unter denen Orgelunterricht in der Regel abgehalten wird: Orgelunterricht wird hauptsächlich von kirchlichen Institutionen angeboten und ist nur vereinzelt Musikschulfach; selbst in diesem Fall sind Orgellehrkraft und örtlicher Kirchenmusiker meist in einer Person vereint. Diese Verquickung der beiden Berufsbilder zeichnet sich bereits an den in der Regel gewählten Ausbildungswegen ab, die das Kirchenmusikalische vor das Künstlerisch-Pädagogische stellen: Der Beruf OrgellehrerIn wird nicht als eigenständiger aufgefasst, dementsprechend selten wird das Instrumen­talpädagogikstudium mit künstlerischem Hauptfach als Primärstudium unabhängig vom Kirchenmusikstudium absolviert.3

1 Nicht zufällig wird der amerikanische Ausnahmevirtuo­se Cameron Carpenter, der es sich mit seinem unkonventionellen Spiel und Auftreten auf der Bühne und in den Medien zum Ziel gesetzt hat, die Orgel von ihrem sakralen Image zu befreien, als „bad boy of the organ“ bezeichnet.
2 detailliert nachzulesen in Margareth Tumler: Aktuelle Ansätze im künstlerischen Orgelunterricht, Masterarbeit an der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz, Graz 2012.
3 Es gibt sogar die Bestrebung, kirchenmusikalische ­Tätigkeit und Orgellehre noch stärker aneinander zu binden. So spricht Stefan Gruschka beispielsweise von einem „an der Musikhochschule Köln in Planung befindlichen […] Doppel-Studiengang ‚Kirchenmusik-Schulmusik‘“. Stefan Gruschka: „Die Orgel – wer soll sie spielen, wer will sie hören? Kolloquium der Walcker-Stiftung in Bremen“, in: Musica Sacra 1/06, S. 23.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 5/2013.