Karner, Magdalena

Back-up oder Künstler PLUS?

Der Berufswahlprozess bei Studierenden der Instrumental- und Gesangspädagogik

Rubrik: Forschung
erschienen in: üben & musizieren 5/2020 , Seite 56

Wird das IGP-Studium als Plan B, als Absicherungsstudium oder aus Inte­resse für die Pädagogik gewählt? Wie entstehen diese unterschiedlichen Einstel­lungen und Motivationen? Beeinflussen sie die Entwicklung der Studierenden im Studium oder verändern sie sich sogar? Diesen Fragen versucht ein Promotionsprojekt an der Kunstuniversität Graz auf den Grund zu gehen.

Für mich war immer klar: Ich möchte Klarinettenlehrerin werden. Warum eigentlich? Ich liebte die Musik, meine gesamte Freizeit widmete ich diesem Hobby, es war mein Lebensinhalt. „Irgendwas mit Kindern machen“ erschien mir erfüllend und inspirierend. So führte mich mein Weg zum Instrumentalpädagogik-Studium. An der Kunstuniversität traf ich manche KommilitonInnen, die von der Vorstellung, später zu unterrichten, weniger begeistert waren: „Ich möchte nie unterrichten! Ich hoffe, ich schaffe es in ein Orchester!“, hörte ich nicht nur einmal. Befeuert wurde diese Einstellung nicht zuletzt auch von manchen Lehrenden, die unterschwellig vermittelten, dass man unterrichten muss, wenn man nicht gut genug auf dem Instrument ist.
Welche Motivation veranlasst Studierende also, das IGP-Studium zu wählen? Ist es der Wunsch, das Feuer weiterzugeben? Ist es nur das berühmte Absicherungsstudium? Ist es der Plan B, sollte es mit der rein künstlerischen Karriere nicht klappen? Sind Studierende, die vorrangig eine künstlerische Karriere im Kopf haben, die „schlechteren“ IGP-Studierenden und schlussfolgernd „schlechtere“ InstrumentalpädagogInnen? Lässt sich Studienwahl überhaupt mit einer Berufswahl gleichsetzen?

Berufs- und Studienwahlprozess

Im täglichen Sprachgebrauch wird der Begriff Berufswahl für die Entscheidung verwendet, die am Ende der Schullaufbahn für die weitere Ausbildung getroffen wird. Doch die Berufswahl ist heute keine einmalige Entscheidung für einen Beruf, der lebenslang ausgeübt wird. Vielmehr umfasst sie eine Vielzahl schrittweiser Entwicklungen von beruflichen Vorstellungen, deren Umsetzung durch äußere Einflüsse eingeschränkt ist.1 Berufswahl darf nicht mit Studienwahl gleichgesetzt werden, sondern es muss zwischen Studienwahlprozess, Studienwahlentscheidung, Berufswahlprozess und Berufswahlentscheidung differenziert werden.2 Wenn ich im Weiteren vom Berufswahlprozess spreche, sind diese vier Unterbegriffe immer mitgedacht. Vor diesem Hintergrund ergeben sich folgende Fragen für die IGP: Welche Studienwahlmotive veranlassen Studierende, das IGP-Studium zu wählen? Wie werden sie durch die Ausbildungsbiografie, das soziale Umfeld und berufliche Selbstwirksamkeits­erwartungen3 beeinflusst? Haben Studienwahlmotive Einfluss auf den Studienverlauf, und kommt es jemals zu einer Berufswahlentscheidung oder ergibt sich diese während des Studiums?
Soziologische und psychologische Berufswahltheorien versuchen, Antworten auf Fragen zum Berufswahlprozess zu geben. Die soziologische Perspektive beschreibt die Wahl des Berufs nicht als die Wahl eines Individuums, sondern als Ergebnis unterschiedlicher sozialer Entwicklungsprozesse, die durch den sozioökonomischen Status der Eltern, finanzielle Ressourcen, Arbeitsmarkt- und Wirtschaftssituation, soziale Bezugsgruppen, aber auch Geschlechterrollenerwartungen beeinflusst werden. Der Großteil der Berufswahltheorien basiert aber auf der psychologischen Komponente.4 Viele AutorInnen der psychologischen Berufswahltheorien sind sich einig, dass vor allem Lernerfahrungen in Kindheit und Jugend den Berufswahlprozess beeinflussen. Diese wirken sich auf die Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und Interessen aus und erzeugen Selbstwirksamkeitserwartungen sowie Zukunftsvorstellungen. Sie veranlassen Menschen dazu, Tätigkeiten aufzunehmen, zu verfolgen oder aus Erfolgsangst zu unterlassen. Dies könnte bedeuten, dass Studierende, die positive Erfahrungen mit dem Berufsbild IGP gemacht haben oder selbst bereits pädagogisch tätig waren, positive pädagogische Selbstwirksamkeitserwartungen entwickeln, infolgedessen das Studium aufgrund seiner pädagogischen Inhalte wählen und das Ziel zu unterrichten verfolgen.
Darüber hinaus können auch Berufsstereo­typen die Studienwahl beeinflussen.5 So könnten früh verinnerlichte Rollenbilder der Grund dafür sein, dass weibliche Studierende vermehrt an Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei Entscheidungen im Berufswahlprozess denken oder ihre inhaltlichen Schwerpunkte dementsprechend wählen.6 Hinzu kommt, dass unterschiedliche soziale Rollen je nach Lebensphase mehr oder weniger in den Vordergrund treten. Dies beschreibt Donald Super in seinem mehrstufigen Lebensraum- und Laufbahnkonzept: Die Zeit des Studiums befindet sich nach Super noch in der Explorationsphase. Studierende haben demnach zu Beginn des Studiums noch kein ausreichend differenziertes berufliches Selbstkonzept. Erst im Studienverlauf probieren sie unterschiedliche (berufliche) Lebensrollen aus, entwerfen Lebenskonzepte, verwerfen sie oder passen sie an.7

1 In allen Theorien wird der Begriff Berufswahl nie als endgültiges Ereignis angesehen. Vielmehr werden im Laufe eines Lebens Entscheidungen revidiert und Lebensentwürfe völlig neu konzipiert.
2 vgl. Daniela Neuhaus: Perspektive Musiklehrer/in. Der Berufswahlprozess von Lehramtsstudierenden mit dem Unterrichtsfach Musik, Köln 2008, S. 23 f.
3 Der Begriff geht auf den kanadischen Psychologen ­Albert Bandura zurück und bezeichnet die Erwartung einer Person, aufgrund eigener Kompetenzen gewünschte Handlungen erfolgreich selbst ausführen zu können.
4 Neuhaus, S. 17 f.; Ein Großteil psychologischer Berufswahltheorien zielt darauf ab, Messinstrumente zu entwickeln, die in der Berufsberatung eingesetzt werden. Diese werden im vorliegenden Projekt aber nicht berücksichtigt.
5 Gail Hackett/Nancy Betz: „A self-efficacy approach to the career development of women“, in: Journal of Vocational Behavior, 18(3), 1981, S. 326-339; Robert Lent: „A Social Cognitive View of Career Development and Counseling“, in: Duane Brown/Robert Lent: Career development and counseling: Putting theory and research to work, New Jersey 2005, S. 101-127; Linda Gottfredson: „Gottfredson’s theory of circumscription, compromise, and self-creation“, in: Duane Brown/Linda Brooks: Career choice and development, San Francisco 2002, S. 85-148.
6 z. B. weibliche Lehrende für den Anfangsunterricht oder EMP, männliche Lehrende für Fortgeschrittene oder als Professoren an Hochschulen.
7 Donald Super: „Der Lebenszeit-, Lebensraumansatz der Laufbahnentwicklung“, in: Duane Brown/Linda Brooks: Karriere-Entwicklung, Stuttgart 1994, S. 211-280.

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