© Musik- und Kunstschule der Stadt Duisburg

Weuthen, Kerstin

Beginners, please!

Ansprüche, Herausforderungen und Chancen der ­Berufseinstiegsphase an Musikschulen

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 3/2020 , Seite 06

Wie einen Sprung ins kalte Wasser empfinden viele Musikschullehr­kräfte den Einstieg in den Beruf: Gerade war da noch die große Freude über die geglückte Bewerbung und den neuen Job, da tauchen schon die ersten Fragen und Selbstzweifel auf. Was bedeutet es, als junge neue Kollegin in ein eingespieltes großes Team zu kommen? Wie suche ich den Kontakt zu meinen KollegInnen und Vorgesetzten, wenn doch jeder im eigenen „Kämmerlein“ arbeitet? Was bedeuten Ferienüberhang und andere Regularien? Was sind meine Rechte und Pflichten?

Ines (23) hat mit Begeisterung ihre erste Fest­anstellung an einer großen städtischen Musikschule angetreten. Sieben Stunden in der Woche darf sie dort nun Flötenunterricht erteilen und ein Kammermusikensemble betreuen. Mit den SchülerInnen, KollegInnen und Eltern kann sie schnell ein gutes Verhältnis aufbauen, aber in der Kommunikation mit der Fachbereichsleitung kommt es zu Schwierigkeiten. Ines fühlt sich kritisiert und wenig unterstützt und weiß nicht, wie sie es ihrer direkten Vorgesetzten recht machen kann. Diese fordert von ihr scheinbar willkürlich zunächst Eigeninitiative und wirft ihr dann wiederum vor, sie nicht genügend informiert und beteiligt zu haben. Nachdem sie dazu aufgefordert wurde, ihren SchülerInnen mehr Druck zu machen, entscheidet Ines nach nur fünf Monaten, die Stelle wieder zu kündigen und sich anders zu orientieren.
Max (25) hat mehr Glück: Er übernimmt eine halbe Stelle Gitarrenunterricht und Bandcoaching von einer befreundeten Kollegin als Schwangerschaftsvertretung. Schon vor Beginn seiner Unterrichtstätigkeit hat er deshalb viele Informationen über die SchülerInnen und das Kollegium bekommen und weiß, wen er ansprechen und mit wem er zusammenarbeiten kann. Im Bandunterricht, den er gemeinsam mit einem erfahrenen Kollegen betreut, werden seine innovativen Ideen gelobt und gemeinsam umgesetzt. Max freut sich darüber, sich auf die Erfahrung des Kollegen bei der Organisation von Auftritten verlassen zu können, und schaut sich gerne Tricks von ihm und anderen KollegInnen ab.

Zwischen Lobeshymnen und Fettnäpfchen

Die sehr unterschiedlichen Erfahrungen, die Ines und Max bei ihrem Einstieg in den Berufsalltag einer Musikschullehrkraft gesammelt haben, zeigen auf, dass an die jungen Menschen in dieser sensiblen Phase hohe und sehr unterschiedliche Ansprüche gestellt werden. Sie sollen sich schnell orientieren und vernetzen, über hohe künstlerische und pädagogische Kompetenz verfügen und neue, frische Impulse in das Musikschulkollegium einbringen. Gleichzeitig sollen und müssen sie sich aber auch in bestehende organisatorische und teilweise hierarchische Strukturen einordnen und erstmal eine Probezeit bestehen. Dabei fehlt es oft an Wissenstransfer oder Einarbeitungsphasen. So ist ein gelingender Start sehr dem Zufall überlassen und verlangt viel persönliches Engagement. Nach dem Studium, das in der Regel nicht auf alle Aspekte des breiten Berufsbildes und die divergierenden Anforderungen des Alltags an Musikschulen vorbereiten kann, erwerben die jungen Menschen benötigte Kompetenzen sehr häufig durch „Learning by doing“.
Das hat natürlich auch Vorteile: Durch die praktische Anwendung von im Studium erlernten und geübten professionellen Kompetenzen und dem nun unmittelbar erlebbaren Berufsalltag werden individuelle Lern- und Entwicklungsprozesse angestoßen, die viel zur Findung von eigener beruflicher Identität beitragen.1 Dabei können die Anfangsjahre an einer Musikschule als sehr herausfordernd und gleichzeitig sehr prägend erlebt werden. So reflektiert Sarah Gibson – Gesangs- und Tanzpädagogin an der Musik- und Kunstschule Duisburg – rückblickend ihre Anfangszeit folgendermaßen:
„,Sarah Gibson ist hochmotiviert und ein Organisationstalent‘, las ich damals in der Zeitung, als ich 2015 als Berufsanfängerin an der MKS Duisburg anfing; und der Druck stieg bei dieser Lobeshymne ungemein an: Denn ich wollte meine Sache mehr als nur gut machen. Das Wissen um sechs Monate Probezeit, in der ich mich bewähren musste, erhöhte die Leistungsbereitschaft und die Anspannung. In die Fußstapfen einer beeindruckenden Persönlichkeit wie dem ,Urgestein‘ Bernhard Quast zu treten und komplexe Arbeitsfelder seiner langjährigen Tätigkeit zu übernehmen und auf meine Person zuzuschneiden, schienen am Anfang keine leichte Aufgabe. Langjährige Schülerinnen und Schü­ler, die prompt Vergleiche zogen zwischen meinen ,neumodischen‘ Lehrtätigkeiten und den Methoden des Vorgängers waren eine nicht immer leichte Herausforderung für mich als junge Berufsanfängerin in einer neuen Schule, in einer neuen Stadt, mit vielen neuen Kollegen und Menschen. Die Anfangszeit mit neuen Eindrücken, der eigenen Orientierung und Strukturierung des Arbeitsfeldes und Positionierung im System, verbunden mit vielen Anfängerfehlern und Fettnäpfchen, war sicherlich eine sehr anspruchsvolle und persönlichkeitsentwickelnde Zeit.“

1 vgl. Manuela Keller-Schneider: „Beanspruchung im Berufseinstieg. Eine Frage der Berufsphase oder der Persönlichkeit?“, in: PÄD Forum 3/2009, S. 108-112, www.pedocs.de/frontdoor.php?source_opus=3183 (Stand: 25.3.2020).

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