Lincke, Paul
Berliner Luft
Drei Berliner Lieder für Streichquartett, arr. von Ernst-Thilo Kalke
Was kann man sich als Berliner Hit-Schreiber mehr wünschen, als dass das beste Orchester der Stadt (und vielleicht der Welt) den eigenen Hit regelmäßig spielt und dieser es zu so etwas wie der inoffiziellen Hymne von Berlin geschafft hat? Paul Lincke ist dieses Kunststück mit seinem Evergreen Berliner Luft gelungen: Wenn die Berliner Philharmoniker alljährlich Ende Juni zu ihrem Waldbühnenkonzert bitten, ist Linckes Marschlied der beschwingte Ausklang – ganz egal, welche schweren klassischen Brocken das Orchester vorher auf die Bühne gewuchtet hat oder welcher Weltklasse-Dirigent auf dem Podium steht. Alle Zuhörer klatschen und viele singen diese beschwingte Berlin-Hymne mit, an der das Orchester sichtlich Freude hat.
Es mag unzählige Bearbeitungen von Paul Linckes kurzem, 1904 entstandenem Stück geben, das er zwar nicht für seine bekannteste Operette Frau Luna komponiert, später jedoch in diese integriert hat. Und es spricht für die Qualität der Musik, dass Berliner Luft von einem Sinfonieorchester gespielt, einem Männerchor intoniert oder als Gassenhauer gepfiffen stets gleichermaßen gut funktioniert. Lincke hat dem kleinen Genrestück eine süffige Melodie und jede Menge Schwung mitgegeben, den der pointierte Text von Heinrich Bolten-Baeckers natürlich auf seine Weise schon beinhaltet.
Doch auch ohne Text und Gesang und sogar ohne Pfeifen „funktioniert“ Paul Linckes Welthit. Ernst-Thilo Kalke, ein Meister der prägnanten Bearbeitung, hat Berliner Luft sowie zwei weitere Lincke-Songs nun für Streichquartett arrangiert – immer nahe am klassischen Vierer-Sound, doch offen genug für Salonmusik-Anklänge. Das Polkalied Nimm mich mit, nimm mich mit, in dein Kämmerlein und ein zweites Marschlied aus Frau Luna, Lass den Kopf nicht hängen, schaffen die prägnante Ergänzung zu einem kurzweiligen Berlin-Dreier, der so richtig in Fahrt kommt, wenn die beiden Geigen singen, die Bratsche kernige Konturen zeichnet und das Cello auch einmal eine Nummer größer denkt und den wuchtigen Kontrabass imitiert.
Partitur und Stimmen müssten dem Uetz-Verlag von Nachwuchs-Streichkräften eigentlich aus den Händen gerissen werden, sind die drei Bearbeitungen Ernst-Thilo Kalkes doch absolut überschaubar im Schwierigkeitsgrad, jedoch um so dankbarer für ein beherztes Zupacken in der musikalischen Ausgestaltung. Es wäre interessant zu sehen, ob es die Zuhörer eines Kammermusikabends denn auch in den Fingern „juckt“ und sie mitklatschen, wenn ein Streichquartett nach klassischem Programmablauf Berliner Luft als Zugabe spielt.
Daniel Knödler