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Kochs, Johannes

Besser singen und sprechen

Von der Übung und Pflege der eigenen Stimme

Rubrik: Gesundheit
erschienen in: üben & musizieren 1/2021 , Seite 40

MusikpädagogInnen warten und pflegen ihre Instrumente mit Hingabe und Ak­ribie und bringen auch ihren Schüle­rInnen bei, wie diese ihre Instrumente bestmöglich behandeln, reinigen und lagern. Aber wie sieht es mit der ­eigenen Stimme aus?

Das Griffbrett der Gitarre wird regelmäßig mit einem fusselfreien Poliertuch abgewischt und der Korpus jede Woche mit einem feuchten Tuch gereinigt. Das Klavier wird an einem schattigen Platz aufgestellt, sodass es beständigen Temperaturen von 18 bis 24° Celsius ausgesetzt ist, und die relative Luftfeuchtigkeit des Raums wird auf 50 bis 70 Prozent reguliert. Das Mundstück der Trompete wird sachte entfernt, das Mundrohr mit der Flaschenbürste gesäubert. Die Ventile und Züge mit genau der richtigen Menge geölt.
Aber wie sieht es mit der eigenen Stimme aus? Für GesangspädagogInnen ist eine intensive Auseinandersetzung mit der Stimme das A und O. Doch auch für alle anderen MusikpädagogInnen ist die Stimme wie ein zweites Instrument, welches in der täglichen Arbeit eine große Rolle spielt und einen erheblichen Einfluss auf die Verbindung mit den SchülerInnen hat. Denn neben der Lehre beruht der Lernerfolg „mindestens ebenso stark auf dem Prozess der Beziehung“ zwischen Student und Lehrer. Dieses Klima „bildet die notwendige Voraussetzung, damit das jedem Menschen innewohnende Wachstumspotenzial optimal freigesetzt werden kann.“ Erst wenn die Chemie zwischen Lehrer und Student stimmt, kann Unterricht nachhaltige Ergebnisse erzielen.1
In einer Studie von 2005 gaben 63 Prozent der Lehrkräfte, die ganztägig unterrichten, an, dass sie nach der Arbeit Veränderungen in der Stimme bemerken: von Hustenimpulsen, Heiserkeit, einer sich rau anfühlenden Stimme bis zu Halsschmerzen und Schwierigkeiten beim Luftholen.2 Akute Stimmprobleme treten bei Lehrenden fast doppelt so oft auf wie bei der übrigen Bevölkerung, das Risiko an einer Stimmstörung zu erkranken, ist erhöht, insbesondere bei Frauen.3
Nicht nur nehmen Lehrende auch stimmlich eine Vorbildfunktion durch eine „besondere stimmerzieherische Rolle ein“,4 ge­rade für jüngere SchülerInnen. Durch den sogenannten „funktionellen Nachvollzug“5 ahmen diese z. B. die (Sprech-)Spannung der Lehrenden innerlich unbewusst nach, was bei überspanntem Körper oder überspannter Stimme zu selbst wahrgenommener Anstrengung führt. Auch das Zuhören und Aufnehmen der Lehrinhalte durch die SchülerInnen leidet darunter. Untersuchungen haben gezeigt, dass sich SchülerInnen während des Unterrichts bei stimmgestörten Lehrkräften im Durchschnitt 17,6 Prozent undisziplinierter und 5,8 Prozent weniger aufmerksam zeigten als bei stimmlich gesunden Lehrpersonen.6
Nach einer Auswertung verschiedener Studien zum Thema sowie einer eigenen Untersuchung der Auswirkung einer heiseren Lehrerstimme im Vergleich zu einer gesunden kommt die Sprechwissenschaftlerin Susanne Voigt-Zimmermann zur Schlussfolgerung: „Schüler, die durch stimmgestörte Lehrer unterrichtet werden:
– ermüden dadurch wesentlich schneller,
– haben eine geringere Aufmerksamkeitsspanne,
– sind undisziplinierter,
– können sich weniger vom Gesagten merken,
– verstehen das Gesagte schlechter,
– haben aufgrund der unbewussten Nachahmung der gestörten Lehrerstimmen häufig selbst unphysiologische Stimmmuster,
– lehnen die stimmgestörten Lehrer häufiger ab.“7
Ihrem Appell, dass sich alle Lehrenden mit dem Thema Stimm- und Sprechbildung auseinandersetzen sollten, möchte ich mich hier anschließen. Und dies nicht nur im Hinblick auf die SchülerInnen, sondern auch insbesondere für uns MusikpädagogInnen selbst. Eine langfristige und acht­same Auseinandersetzung mit dem zweiten Instrument Stimme führt zu weniger stimmlichen Beschwerden und damit zu einem zufriedeneren und erfolgreicheren Berufsleben. Im Folgenden stelle ich daher konkrete Übungen für das kontinuierliche Training und die Pflege der Stimme vor und runde den Artikel mit Tipps zur langfristigen Stimmgesundheit ab.

Stimmübungen für die täglichen Berufsherausforderungen

Körperhaltung
Wesentlichen Einfluss auf Stimme und Sprechen hat die Körperhaltung. Durch eine aufrechte und offene Haltung ist es möglich, für die Atmung im Brust- und Bauchbereich genügend Raum zu schaffen sowie eine lockere Ausgangsposition fürs Sprechen einzunehmen. Die optimale Sprechhaltung im Stehen entsteht durch eine gleichmäßige Verteilung des Gewichts auf die gesamte Fußsohlenfläche mit einer leichten Tendenz nach vorne. Der Oberkörper ist aufrecht, Arme und Schultergürtel hängen entspannt herab. Der Kopf stellt eine gerade Verlängerung der Wirbelsäule dar und sitzt aufrecht auf dem Körper. Auch im Sitzen sollten Sie beim Sprechen darauf achten, den Oberkörper aufrecht zu halten und den Kopf möglichst nicht abzuknicken.

1 vgl. Helmut Schwaiger: „Personenzentrierte Aus­spracheberatung. Eine Arbeitshaltung“, in: Spre­chen. Zeitung für Sprechwissenschaft, Sprechpäda­gogik, Sprechtherapie und Sprechkunst, Heft 62, 2016, S. 52-57, hier: S. 53, www.bvs-bw.de/SPRECHEN/sprechen_62_2016_2.pdf (Stand: 7.1.2021).
2 vgl. Anja Sportelli: Arbeiten in einem Sprechberuf: Erhöhte Anforderungen an das Arbeitsinstrument Stimme, Verwaltungs-Berufsgenossenschaft, Hamburg 2005.
3 vgl. Mariola Sliwinska-Kowalska/Ewa Niebudek-Bogusz/Marta Fiszer/Teresa Los-Spychalska/Piotr Kotylo/Beata Sznurowska-Przygocka/Magdalena Modrzewska: „The Prevalence and Risk Factors for Occupational Voice Disorders in Teachers“, in: Folia Phoniatrica Logopaedica 58, 2006, S. 85-101, hier: S. 85 f.
4 vgl. Berit Schneider-Stickler/Wolfgang Bigenzahn: Stimmdiagnostik. Ein Leitfaden für die Praxis, Wien 2007, S. 6.
5 Barbara E. Meyer: Rhetorik für Lehrerinnen und Lehrer, Weinheim 2018, S. 73.
6 vgl. Leila Greifenhahn: Zur Wirkung von Stim­men bei Unterstufenlehrern, Phil. Diss. (Manuskript), Halle 1984.
7 Susanne Voigt-Zimmermann: „Zum Einfluss ge­störter Lehrerstimmen auf den Verstehensprozess von Schülern“, in: Ines Bose/Baldur Neuber (Hg.): Interpersonelle Kommunikation: Analyse und Optimierung, Frankfurt am Main 2011, S. 269-275, hier: S. 274.

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