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Grosse, Thomas

Bildungspotenziale entfalten

Gender- und Intersektionalitätsforschung in der künstlerisch-pädagogischen Lehre an der Hochschule für Musik Detmold

Rubrik: Hochschule
erschienen in: üben & musizieren 3/2025 , Seite 42

Wie werden die Bildungsbiografien von Kindern im Musikschulunterricht geprägt? Wie können Lehrkräfte der IGP und EMP positive Entwicklungen ihrer SchülerInnen in kultur- und bildungs­politischen Bereichen mitgestalten? Die Hochschule für Musik Detmold richtet eine Professur ein, deren Per­spektive dem Entfalten von Bildungs­potenzialen gilt.

Zugang zu Bildung und damit auch zu musikalischer Bildung ist ein Menschenrecht und wesentlicher Bestandteil gesellschaftlichen Miteinanders. Lehrkräfte, die dafür einen erheblichen Beitrag leisten, erleben, wie sich die Zielgruppen musikalischer Bildungsangebote verändern. Sich dynamisch entwickelnde Lebenswelten junger Menschen, der demografische Wandel oder der nach wie vor stark von sozioökonomischen Faktoren abhängige Zugang zu Bildung markieren veränderte Rahmenbedingungen für die Teilhabe an und die lebendige Weiterentwicklung von vielfältigen musikalischen Ausdrucksformen.
Musikpädagogische Angebote müssen auf diese Entwicklung differenziert reagieren, denn wir alle profitieren davon, wenn Menschen ungeachtet möglicher Diskriminierungsaspekte ihre gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rechte voll entfalten können. Musikalische Bildung unter dem Aspekt von Intersektionalität – also dem Zusammenwirken verschiedener Unterdrückungsmechanismen – zu betrachten, hilft Antworten auf die musikpädagogischen Herausforderungen zu finden.

Genderaspekte im Musikunterricht

An der Hochschule für Musik Detmold soll die Gender- und Intersektionalitätsforschung in der künstlerisch-pädagogischen Lehre etabliert werden. Anstoß dazu gab eine Förderlinie des Landes NRW, die besonders die Bereiche adressiert, in denen Genderthemen bislang in eher geringem Umfang thematisiert worden sind.
Der außerschulischen musikalischen Bildung kommt eine unschätzbare Rolle für musikalische Bildungsbiografien zu. Mit der Wahl des Musikinstruments – oft im frühen Kindesalter – beginnt die geschlechtsspezifische musikalische Sozialisation,1 die sich über die Aneignung geschlechtertypischer Ausdrucksformen auch in Entscheidungen im Hinblick auf die Stu­dien- und Berufswahl fortsetzt. Musikunterricht beeinflusst sowohl persönliche Geschlechts­identitäten als auch die Strukturen des Musiklebens. Sowohl in der klassischen als auch in der populären Musik sind musikalische Tätigkeiten in hohem Maße geschlechtssegregiert.2 Auch ist der Anteil von Frauen in Führungspositionen im Musikleben gering, Frauen dominieren in den (oft prekären) musikpädagogischen Berufen. An Musikhochschulen ist der Frauenanteil unter den Professuren geringer als im Mittelbau und liegt deutlich unter dem bei den Studierenden.3
Dass Lehrkräfte auf die musikalische Sozialisation ihrer SchülerInnen einen entscheidenden Einfluss haben, wird nicht in allen Ausbildungsgängen der Musikhochschulen reflektiert. Studienordnungen für den Bereich Instrumental- und Gesangs­pädagogik berücksichtigen Geschlechteraspekte kaum. Es besteht ein erheblicher Nachholbedarf in Forschung und Lehre, viele Lehrende gehen mit geringer fachspezifischer Genderkompetenz in den Beruf.

Den Blick weiten: Intersektionalität

Die sich ändernden Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen bringen weitere pädagogische Herausforderungen mit sich, nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Nachwuchsproblematik in Musikberufen: Der Abbau von Barrieren jeglicher Art beim Zugang zu musikalischer Bildung verbreitert die Basis musikalischer Talente und sollte deshalb höchste Priorität besitzen.
Vor diesem Hintergrund der besonderen Berücksichtigung von Teilhabegerechtigkeit sollen die Aufgabenfelder der Professur zukunftsweisend zugeschnitten werden. Intersektionalitätsforschung wird in Bezug auf Geschlechterforschung als der umfassendere Ansatz gesehen.4 Im Hinblick auf Intersektionalität ist Geschlecht eine wichtige Komponente, doch greifen letztlich verschiedene Dimensionen sozialer Ungleichheit ineinander, die nicht isoliert voneinander betrachtet werden können.
Ebenso müssen die ökonomischen Möglichkeiten sowie das soziale und kulturelle Kapital der Familien für eine erfolgreiche musikalische Bildung von Kindern und Jugendlichen als bedeutsame Ressourcen betrachtet werden.
Deshalb ist eine erweiterte Perspektive des Forschungs- und Lehrbereichs der Professur erforderlich, in der Geschlecht immer auch in Überschneidungen zu sozialem Milieu, Nation, Ethnizität, Migrationshintergrund, sexueller Orientierung und weiteren Differenzlinien gedacht werden muss. Intersektionalitätsforschung soll dazu beitragen, Vorurteile und Stereotype zu erkennen und abzubauen. Ziel ist es, ein inklusives Lernumfeld zu schaffen, das das individuelle Potenzial der Einzelnen unterstützt.

Fachüberschreitende Impulse

Zunehmend wird relevant, wie weit Gender und andere Diversitätsaspekte mit dem Nachwuchs- und Fachkräftemangel in Verbindung gebracht werden können. Eine Studie zum Lehramt Musik liegt vor (MULEM-EX),5 für den Musikschulbereich wird von der ALMS6 die „MiKADO-Musik“-Studie durchgeführt, um Erkenntnisse für die Weiterentwicklung der künstlerisch-pädagogischen Lehrfelder zu gewinnen. Daran soll das Forschungsfeld in Detmold anknüpfen.
Mit der Professur wird das Arbeitsfeld „Gender- und Intersektionalitätsforschung in der künstlerisch-pädagogischen Lehre“ erstmals institutionell an einer Hochschule verankert, es sind Impulse in andere Stu­dienbereiche zu erwarten, insbesondere in die Opernschule, die Musik-Lehramtsstudiengänge und die Musikvermittlung. Die Professur soll zum Wintersemester 2025/ 26 besetzt werden und für den akademischen Diskurs ebenso wie für die Unterrichtspraxis in der Elementaren Musikpädagogik, der Instrumental- und Gesangspädagogik und der künstlerischen Fächer einen nachhaltigen Beitrag leisten.

1 Hallam, Susan/Rogers, Lynne/Creech, Andrea: „Gender Differences in Musical Instrument Choi­ce“, in: International Journal of Music Education, 26.1, 2008.
2 siehe z. B. Deutsches Musikinformationszent­rum (Hg.): Geschlechterverteilung in deutschen Berufsorchestern. Ergebnisse einer Vollerhebung bei den 129 öffentlich finanzierten Orchestern, Bonn 2021; Schulz, Gabriele/Ries, Carolin/Zimmermann, Olaf (Hg.): Frauen in Kultur und Medien. Ein Überblick über aktuelle Tendenzen, Entwicklung und Lösungsvorschläge, Berlin 2016, www.kulturrat.de/wp-content/uploads/2016/12/Frauen-in-Kultur-und-Medien.pdf (Stand: 7.5.2025).
3 Kortendiek, Beate et al.: Gender-Report 2022. Geschlechter(un)gleichheiten an nordrhein-westfälischen Hochschulen, Essen 2022.
4 Charton, Anke/Dornbusch, Björn/Knaus, Kordula (Hg.): Marginalisierungen – Ermächtigungen. Intersektionalität und Medialität im gegenwär­tigen Musikbetrieb, Hildesheim 2019.
5 Bundesfachgruppe Musikpädagogik e. V. (Hg.): MULEM-EX. Musiklehrkräftemangel – eine explorative Studie. Hintergründe und Gründe für sinkende Zahlen in den Studiengängen für das Lehramt Musik, Mai 2024, www.musikrat.de/fileadmin/redaktion/download/Mulem-EX-31-05-2024-Einzelseiten.pdf (Stand: 7.5.2025).
6 Arbeitsgemeinschaft der Leitenden musikpäda­gogischer Studiengänge, www.alms-musik.de

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 3/2025.

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