Braun, Andrea

Blockflöte satt

Die 26-CD-Box „Anthology of the Recorder“ lässt kaum Wünsche offen

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 3/2019 , Seite 40

Ja: Der Schreiberin dieses Beitrags war durch­aus klar gewesen, dass es ziemlich viel Musik für Blockflöte gibt. Und auch, dass darunter ziemlich viel Anhörenswertes ist. Dass es allerdings so viel ist… Aber gut, bei näherem Nachdenken nimmt es nicht Wunder, dass man mit Blockflötenmusik offenbar mühelos 26 CDs füllen kann; genau genommen wäre sicher auch für weitere 300 noch genug Musik übrig gewesen. Denn es gibt ja tatsächlich kein anderes Instrument wie die Blockflöte, das nicht nur seit Jahrtausenden belegt und in Gebrauch ist, sondern das sich auch in seiner Gestalt vergleichsweise wenig verändert hat. Von der steinzeitlichen Knochenflöte zur modernen Schulflöte war es – verglichen etwa mit der Entwicklung bei Tasteninst­rumenten – nur ein kleiner Schritt.
Und so scheint es durchaus angemessen, dass das niederländische Label Brilliant Classics, das sich auf die Fahnen geschrieben hat, klassische Musik zu günstigen Preisen einem großen Publikum zugänglich zu machen, nun auch diesem Instrument eine Anthologie gewidmet und eine Box mit diversen Aufnahmen aus seinem Programm herausgegeben hat.
Auf den 26 CDs, die unter dem Titel Antho­logy of the Recorder zusammengefasst sind, findet man Musik vom 15. bis ins 21. Jahrhundert, Musik für Blockflöte solo, aber auch für ein Consort aus mehreren Blockflöten, für Barockorchester mit Solo- oder Tuttiblockflöte(n) oder für kammermusikalische Besetzungen mit oder aus Blockflöten – wobei die Gliederung und Auswahl der Komponisten kaum Blockflötistenwünsche offen lässt.
So gibt es quasi zum Einstieg in die Box allein drei CDs mit einer Auswahl aus Jacob Van Eycks Der Fluyten Lust-hof; es folgen zwei mit diminuierter und nicht-diminuierter Musik aus dem Italien des 16. und 17. Jahrhunderts (etwa Gabrieli, Guami, Palestrina, Cima, Castello, Frescobaldi…) für verschiedene Besetzungen, dazu schon ein wenig 18. Jahrhundert (Corelli und Bach kammermusikalisch). CD 6 führt in die englische Consortmusik ein, von Christopher Tye bis John Ward. Die Nummern 7 und 8 bilden mit den zwölf Sinfonias aus Alessandro Scarlattis Concerti grossi, gespielt von einem recht großzügig besetzten Barockorchester, einen herben, aber durchaus genussträchtigen Gegensatz dazu, und die folgenden drei CDs beschäftigen sich mit Telemanns Fantasien, Sonaten, Concerti und Suiten für Blockflöte. Zwei CDs sind anschließend Vivaldis Concerti und Sonaten für das Instrument gewidmet, bevor auf CD 15 die (lange Zeit Vivaldi zugeschriebene, tatsächlich aber von Nicolas Chédeville komponierte) Sammlung Il pastor fido auf dem Programm steht.
Die nächsten drei CDs sind nacheinander Concerti von Bach, Sonaten von Händel und diversen Werken Giuseppe Sammartinis gewidmet, während die CDs 19 bis 22 sämtlich Musik von Francesco Mancini bereithalten. Mit Nicolas Fiorenza und Giovanni Battista Mele finden sich anschließend zwei eher unbekannte, aber durchaus hörenswerte Komponisten des 18. Jahrhunderts auf der nächsten Scheibe; Carl Philipp Emanuel Bach ist eine weitere gewidmet, ebenso wie Johann Joachim Quantz. Auf der letzten CD schließlich erfährt man eine Art Kurztrip durch die Blockflötengeschichte mit Musik verschiedenster Genres von Josquin bis in die Gegenwart, transkribiert für Blockflötenconsort: etwa ein Satz aus Bachs Brandenburgischem Konzert No. 6, Orgelwerke, Vokalwerke…
Die meisten der hier aufgenommenen Interpretinnen und Interpreten sind – wie angesichts des Preises auch nicht anders zu erwarten – keine Weltstars (die in der Spezies der Blockflötisten ja ohnehin eher seltene Erscheinungen darstellen). Das Flanders Recorder Quartet, die Blockflötisten Erik Bosgraaf oder Corina Marti sind aber dennoch keine ganz Unbekannten in der Szene der historischen Aufführungspraxis. Dazu kommen Ensembles wie Seldom Sene oder Cordevento, das Consort of viols, italienische Barockorchester wie Capella Tiberina oder Collegium Pro Musica, Cembalisten wie Pieter-Jan Belder oder Menno van Delft.
Allen gemeinsam ist, dass sie wirklich gut spielen. Obgleich die Box und auch die Einzel-CDs bei Brilliant Classics vergleichsweise günstig sind, bekommt man hier also keine unsauber zusammengestöpselten Live-Aufnahmen, sondern offensichtlich gut geprobte, sorgfältig aufgenommene, technisch und klanglich makellose Einspielungen, die sämtlich auch in Kirchen oder Studios mit dem Repertoire entsprechender, guter Akustik entstanden sind.
So ist diese Box also nicht nur für eingefleischte Musikfreunde eine sehr sinnvolle Investition, sondern vor allem auch für junge und sehr junge BlockflötistInnen, deren CD-Sammlung (oder Playlist) noch nicht acht ver­schiedene Interpretationen des Eyck’schen Lust-hofs und vier der Händel’schen Sonaten enthält – nicht nur zum Vergnügen, sondern auch zur Motivation, um klar zu machen: Es muss nicht bei der Blockflötenschule bleiben!

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 3/2019.