Pecher-Havers, Katharina

Braucht der Dritte Mann ein Studium?

Die Zither zwischen Wiener Volksinstrument und Kunstmusik

Rubrik: Forschung
erschienen in: üben & musizieren 3/2020 , Seite 50

„Die Zither – ein Volksinstrument unserer Heimat.“1 Mit diesem Satz eröffnet Heinrich Pröll (1899-1980, ab 1946 Zitherlehrer am Konservato­rium der Stadt Wien),2 seine drei­bändige Zitherschule, die bis heute als Standard­lehrwerk für Zither in Wiener Stimmung3 gilt. Prölls Setzung wirft Fragen auf: Was bezeichnet Pröll als „unsere Heimat“? Und welches „Volk“ ist gemeint? Katharina Pecher-Havers macht sich Gedanken zur Akademisierung eines Volksinstruments.

Wer erwartet, die in Heinrich Prölls Zitherschule prominent positionierte Feststellung, die Zither sei ein „Volksinstrument“, lege das Programm der Schule (und in weiterer Folge der Lehre Prölls am Konservatorium der Stadt Wien) in didaktischer Hinsicht fest, wird enttäuscht: Auf lustvolles „Zupacken“, auf freies Spiel nach Gehör, auf Ad-hoc-Harmonisierung einfacher durtonaler Melodien mit standardisierten Begleitmustern, auf improvisierendes Variieren des melodischen Materials, wie es volksmusikalischen Praktiken entspricht, führt Prölls Schule nicht hin. Die Begleitung im Bassschlüssel ist detailliert ausnotiert, obwohl die Freisaitenanordnung der Zither ein Begleiten nach Akkordsymbolschrift nahe legen würde. Ein freudvolles Musizieren von Anfang an4 soll vermieden werden, dieses sei einer „regelrechten Erlernung“ abträglich.5
Prölls Schulwerk, das auch Grundlage seiner Lehrtätigkeit am Konservatorium war, führt die Traditionslinie der zahlreichen Zitherschu­len aus dem 19. Jahrhundert6 nahtlos fort: Die Zither wird bereits zu Beginn des Unterrichts als exklusives, künstlerisch höchst anspruchsvolles Instrument vorgestellt, das äußerst kompliziert erscheinen soll. Die Erlernung der Zither als „Konzertfach“ ziele auf Erlangung der „Virtuosität“ ab, wird suggeriert.7 Der streng vorgegebene Lernweg gleicht dem konventioneller Instrumentalschulen und führt auf Stücke hin, die sich von Klavierliteratur kaum unterscheiden. Zunächst wird die Notenschrift eingeführt, dann die „korrekte“ Spieltechnik der Zither erklärt, in weiterer Folge werden musiktheoretische Kapitel streng systematisch mit Noten- und Übungsbeispielen abgehandelt. „Überichtlinien“ werden gegeben: „Jede Aufgabe solange üben, bis größte Anschlagspräzision erreicht ist.“8
Die erläuternden Texte, anspruchsvoll in Formulierung und Terminologie, richten sich offensichtlich weder an Kinder noch an Personen ohne musiktheoretische Vorbildung. Jedem Kapitel wird ein Grundsatz aus der Musiktheorie vorangestellt, auf welchen die darauf folgenden praktischen Übungen Bezug nehmen, zum Beispiel: „Der Ligaturbogen zeigt die Vereinigung von 2 oder mehreren Noten gleicher Tonhöhe zu einem zusammenhängenden Ton gemeinsamen Zeitwertes an. (Die erste Note wird angeschlagen, die Werte der Folgenoten ausgehalten).“9 Wie auf der Zither das „Aushalten“ eines Tones zu bewerkstelligen sei, bleibt offen. Die Musikkunde, von Pröll als „geistiges Rückgrat allen Musizierens“10 bezeichnet, wird in geballter Form präsentiert, ohne sie auf das Instrument zu adaptieren: Intervall- und Akkordlehre bis zu verminderten und über­mäßigen Dreiklängen sowie Nonenakkorden werden auf einer Seite inhaltlich dicht zusammengefasst,11 obwohl die Ausführung von Nonenakkorden auf der Zither kaum möglich ist. Vermittelt wird ein Theoriewissen, das weit über das Niveau der angebotenen Übungsstücke hinausgeht.

1 Heinrich Pröll: Zitherschule, Wien 1946, Vorwort, S. 2.
2 heute: MUK Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien.
3 Die Zither in Wiener Stimmung wurde 2017 als immaterielles Kulturerbe in die nationale Liste der UNESCO Österreich eingetragen. Siehe www.unesco.at/kultur/immaterielles-kulturerbe/oesterreichisches-verzeichnis/detail/article/wiener-stimmung-und-spielweise-der-zither (Stand: 25.11.2019).
4 vgl. Peter Röbke: „Lösung aller Probleme? Die ,Entdeckung‘ des informellen Lernens in der Instrumentalpädagogik“, in: Natalia Ardila-Mantilla/Peter Röbke (Hg.): Vom wilden Lernen. Musizieren lernen – auch außerhalb von Schule und Unterricht, Mainz 2009, S. 18.
5 In der Zitherdidaktik des 19. Jahrhunderts wird stets vor dem lustvollen „Stückelspielen“ gewarnt, vgl. Katharina Pecher-Havers: Zitherunterricht im späten 19. Jahrhundert. Die Suggestion des Elitären. Onlinepublikation Mai 2019, https://pub.mdw.ac.at/publications/2ec1cdde-7b68-43b1-9386-636d65e7ae7c, S. 27 f. (Stand: 2.4.2020).
6 Um 1890 wurden etwa 70 gedruckte Zitherschulwerke vertrieben. J. Noeroth: „Die Zither“, in: P. Ed. Hoenes (Hg.): Zither-Signale, XIII/9, September 1891, S. 138.
7 vgl. Katharina Pecher-Havers: Der Salon des Proleta­riats. Die Narrative der Zitherkultur und ihre Erzählräume, Dissertation Wien 2018, S. 239-245.
8 Pröll, S. 14.
9 ebd., S. 11.
10 ebd., S. 2.
11 ebd., S. 32.

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