Schnack, Gerd

Burnout – Prüfungsstress – Lampenfieber

Gesundheitsrituale für Musiker

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bosse, Kassel 2015
erschienen in: üben & musizieren 6/2015 , Seite 51

Musik ist für viele Menschen eine wichtige Quelle für Erholung, Freude, Inspiration und Begegnung. Dass diejenigen, die die Musik zum Klingen bringen, einen hochanstrengenden Beruf haben, ist Hörerinnen und Hörern nicht immer präsent. Dabei ist die körperliche und psychi­sche Beanspruchung von Profimusikern derjenigen von Leistungssportlern vergleichbar – mit dem Unterschied, dass nur wenige Ausnahmesportler noch jenseits der 40 professionell aktiv sind, ein Alter in dem Künstlerinnen und Künstler mitten im Berufsleben stehen.
Grund genug, sich um das Wohlergehen dieser Berufsgruppe be­sonders zu kümmern. Der Hamburger Chirurg Gerd Schnack tut dies seit über 30 Jahren und setzte mit seinem 1994 erschienenen Band Entspannt Musizieren wichtige Impulse für die Gesunderhaltung von Berufsmusikerinnen und -musikern. Im Titel seines neuesten Buchs fokussiert er nun wichtige Belastungsszenarien im Musikeralltag.
Fundiert erläutert Schnack die Auswirkungen unterschiedlicher Stressfaktoren, die auch vor Berufsmusikerinnen und -musikern nicht Halt machen. Kenntnisreich weist er auf die Diskrepanz hin, dass gerade Orchestermusiker auf der einen Seite durch stundenlanges Stillsitzen statisch sehr beansprucht sind, während gleichzeitig kleine und kleinste Muskelgruppen hochdynamisch gefordert werden; ganz zu schweigen von der enormen psy­chischen Anspannung.
Das Lösungsangebot, das der Autor seinen Leserinnen und Lesern vorstellt, umfasst zum einen ganz praktische physiotherapeutische Interventionen, aber auch neurophysiologische Stimulationstechniken mit dem Ziel, die Aktivität des Vagusnervs zu steigern, der der Gegenspieler des Sympathikus-Nervs ist und bei Flucht- und Kampfreaktionen, im weiteren Sinn also bei Stressreaktionen aktiv ist. Schnack ist es dabei sehr wichtig, dass die vorgestellten Übungen leicht und schnell, ganz autonom ohne die Hilfe Dritter, umsetzbar sind. Das gelingt ihm durch einfache und klar verständliche Anleitungen, zudem mit sehr instruktiven Illustrationen. Ziel ist es, die Übungsmuster so weit zu verinnerlichen, dass sie automatisch abrufbar werden und Ritualcharakter erhalten.
Seiner präventiven Grundhaltung treu, vertritt der Autor ein ganzheitlich ausgerichtetes Medizinkonzept. Mit großem Engagement erläutert er plausibel, wie körperliche Reize mit vegetativen und psychischen Prozessen interagieren. Ob aber die hier empfohlene Vagusstimulation, das „uralte Geheimnis der Meditation lüftet“ und ob wir damit die „wirksamste Waffe im Kampf gegen Burn-out“ zur Verfügung haben, möchte ich eher als Hypothese verstanden wissen; weil Burn-out nicht immer nur die Thematik des Einzelnen ist, sondern sich im Rahmen von Institutionen ereignet, und weil die meisten Menschen mit langer Meditationspraxis den Begriff „Kampf“ in achtsamkeitsbasierten Kontexten als Widerspruch einstufen würden.
Peer Abilgaard