Guillou, Jean
Cantiliana op. 24
für Flöte (Violine) und Klavier
Leise, ganz leise wie auf Zehenspitzen weht ein Hauch Messiaen durch den Klang, der sich selbstbewusst und mit beiden Füßen fest auf dem Boden stehend vorstellt und „von der quasi humanen Lyrik der Flöte getragen werden möchte“ (Jean Guillou im Vorwort).
Die Cantiliana des ehemaligen Messiaen-Schülers, Organisten, Pianisten und Musikpädagogen ist ein intellektueller Dialog zwischen Flöte (bzw. auch Violine) und Klavier, der einerseits mit den sehr reizvollen Kontrastmöglichkeiten des schlanken, ausdrucksstarken, mitunter perlenden Flötenklangs und den flächigen, schwebenden, obertonreichen Pedalwirkungen des Forte- und Sostenuto-Pedals spielt, andererseits in flimmernden Dissonanzen die Expressivität des musikalischen Geschehens temperamentvoll zum Blitzen bringt: Jean Guillous bereits 1972 entstandene Komposition wird zum wirkungsvollen Konzertstück, wenn beide Kammermusikpartner ihre Instrumente technisch sehr gut beherrschen und ansonsten auch in den üblichen musikalischen Parametern – besonders im Bereich der komplexen Rhythmik – sattelfest zu Hause sind. Kurz: Diese Musik erfordert allein in technischer Hinsicht hohes Können.
Musikalisch verlangt die konventionell notierte, in ihren Tempowechseln im groben Überblick mit zahlreichen Untergliederungen sozusagen langsam-schnell-langsam gegliederte Komposition wegen ihrer eher intellektuellen Themenstruktur große Reife, um nicht in ein kleinteiliges Fragmentarium zu zerfallen: Guillou lässt seine thematische Entwicklung aus der Keimzelle der Einzeltöne zunächst unisono zwischen Flöte und Klavier beginnen, entwickelt die Melodik weiter und transformiert sie in harmonische Gerüststrukturen, die dann in eine der menschlichen Rede eng verwandte Form des Dialogs bzw. Diskurses geführt werden.
Immer wieder greift er seinen musikalischen Eingangsgedanken auf, evoziert durch teilweise gegensätzliche Artikulation, Oktavlagen und scharfe Dissonanzkommentare zwischen den Instrumenten einen überraschend schwebenden, trotz der sperrigen Harmonik gleichsam sinnlichen Klang, der dem Namen „Cantiliana“ durchaus gerecht wird und in seiner schillernden Spannung zum Faszinosum dieser Komposition beiträgt.
Jean Guillous op. 24 ist für professionelle MusikerInnen und sehr ambitionierte, fortgeschrittene SchülerInnen eine Entdeckung wert und stellt einen bemerkenswerten Beitrag zur Kammermusikdarbietung dar. Beide Instrumentenvarianten (Flöte oder Violine) haben ihre Stärken, wobei sicher aufgrund der Obertonbeschaffenheit und des grundsätzlichen Charakters des Flötentons dieses Instrument hier in dieser klanglich diffizil ausdifferenzierten Kommunikation erste Wahl bleiben wird. Ein spannendes Kleinod, das sicher bald in Konzerten zu hören sein wird!
Christina Humenberger