Theil, Elke

„Da hab ich leider keine Zeit…“

Den Trend durchbrechen – ein wachsender Ensemblebereich als Ergebnis gemeinsamer Schulentwicklung

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 6/2015 , Seite 12

Ist es nicht selbstverständlich, dass alle SchülerInnen einer Musikschule von Anfang an zusammen im Ensemble musizieren und der Ensemblebereich jeder Musik­schule schon längst “ausgewachsen” ist? Leider nein, denn der Trend geht in eine andere Richtung: Unsere Schülerinnen und Schüler haben immer weniger Zeit…

„Am Dienstag und Donnerstag kann ich leider nicht, da hab ich lang Schule.“ „Am Mittwoch ist von vier bis sechs schon Hockeytraining.“ „Vor halb fünf geht grundsätzlich nichts, denn meine Tochter ist immer bis um vier im Hort.“ – Dies sind nur einige Beispiele, die die meisten Musikschullehrkräfte mit Sicherheit in den verschiedens­ten Varianten schon oft gehört haben, wenn sie ihren Stundenplan festlegen und versuchen, einen gemeinsamen Ensembletermin zu finden, der dann auch noch mit S-Bahn-Fahrplänen oder Raumbelegungsplänen kompatibel sein sollte.
Bereits 1977 ist der Besuch eines Ergänzungs­fachs (wozu auch die Ensemblefächer zählen) zusätzlich zum Hauptfachunterricht im Strukturplan des Verbands deutscher Musikschulen (VdM) verbindlich vorgeschrieben – und zwar von Beginn an ab der „Musikalischen Unterstufe“.1 Zwanzig Jahre später werden mit der Überarbeitung des Strukturplans die Ensemblefächer den Instrumental- und Vokalfächern gleichberechtigt gegenübergestellt2 und dienen nicht mehr nur der Ergänzung, sondern werden nun als Ziel und Zweck öffentlicher Musikschul­arbeit anerkannt. Nahezu unverändert wird die inhalt­liche Erklärung, mit der der VdM den Ensemb­lefächern diese große Bedeutung zukommen lässt, im Jahr 2010 auch in den aktuellen Strukturplan übernommen:
„Ensemblefächer sind in allen Leistungsstufen integraler Bestandteil des ganzheitlichen Bildungskonzepts der öffentlichen Musikschule. Das Zusammenspiel muss in seinen Techniken und Regeln ebenso erlernt werden wie Instrumentalspiel und Singen selbst. Erst die Befähigung dazu ermöglicht eine eigenständige Beteiligung am aktiven Musikleben. Im gemeinsamen Musizieren werden kommunikative und soziale Kräfte, die zum Wesen der Musik gehören, erlebbar, wirksam und lernbar. Kontinuierliche Ensemblearbeit bildet daher an der Musikschule mit dem Unterricht im Instrumental- bzw. Vokalfach eine aufeinander abgestimmte Einheit und stellt ein herausragendes Merkmal öffentlicher Musikschul­arbeit dar. Eine Vielzahl vokaler und instrumentaler Ensembles unterschied­licher Besetzungen und stilistischer Prägungen gehört daher zum verbindlichen Unterrichtsangebot der Musikschule.“3
Von einem verbindlich vorgeschriebenen Besuch eines Ensemblefachs ist allerdings nicht mehr die Rede. Über mögliche Gründe lässt sich spekulieren: Ist es schlicht zu teuer, jedem Musikschüler, jeder Schülerin ein passendes, in der Regel gebührenfreies Ensemb­leangebot bereitzustellen? Ist es schwierig, an der eigenen Musikschule Lehrkräfte zu finden, die bestimmte Ensemble­angebote durchführen können und wollen? Oder kann es vielleicht auch daran liegen, dass der VdM erkannt hat, dass es weder pädagogisch sinnvoll noch im Alltag realisierbar ist, jeden Musikschüler zum Besuch eines Ensembles zu verpflichten?

Überzeugungsarbeit ­notwendig

Zum Glück ist es vielen Musikschulen offensichtlich auch ohne strukturellen Zwang gelungen, vermehrt SchülerInnen für das gemeinsame Musizieren in Ensembles zu begeistern. Wie sonst könnte es heute auf der Home­page des VdM zur Entwicklung der Schülerzahlen im Ensemblebereich heißen: „Es ist daher eine sehr positive Tendenz, dass sich, bezogen auf die Gesamtheit aller Musikschulen, die Anzahl der Ensembles in den letzten Jahren erhöht hat […]. Dies sogar mit leicht steigenden Schüler- und Wochenstundenzahlen.“4 Es liest sich einfach zu schön, um auf eine kritische Hinterfragung zu verzichten.

1 vgl. Ulrich Mahlert: „Zur Didaktik und Methodik des Ensemblespiels in der Musikschule“, in: Rudolf-Dieter Kraemer/Wolfgang Rüdiger (Hg.): Ensemblespiel und Klassenmusizieren in Schule und Musikschule. Ein Handbuch für die Praxis, Augsburg 2005, S. 68 f.
2 vgl. Hans Krauss: „,Wir ordnen unser Ich der Gemeinschaft unter‘. Wie Jugendliche und Lehrkräfte ihre Erfahrungen in der Ensemble-, Band- und Orchesterarbeit ­bewerten. Beispiele aus der Städtischen Musikschule Braunschweig“, in: üben & musizieren 4/2005, S. 13.
3 vgl. Verband deutscher Musikschulen: Strukturplan des VdM. Der Weg zur Musik durch die Musikschule, Bonn 2010, S. 11.
4 vgl. www.musikschulen.de/musikschulen/fakten/ensemble-undergaenzungsfaecher/index.html (Stand: 11.10.2015).

Lesen Sie weiter in Ausgabe 6/2015.