Knecht, Edgar

Dance on Deep Waters

für Klavier

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2014
erschienen in: üben & musizieren 3/2015 , Seite 56

Nach Veröffentlichung seines im Quartett (p, b, dr, perc) eingespielten Albums Dance on Deep Waters im Vorjahr lässt der Kasseler Jazzpianist Edgar Knecht nun eine Notenausgabe der Klavierfassung folgen, sämtlich Jazz­fassungen deutscher Volkslieder. Knecht bedauert den Verlust kultureller Identität durch Vernachlässigung des Volkslieds in unserem Staat im Vergleich zur lebendigen Traditionspflege in anderen Ländern und legt Wert auf Bedeutungsebenen des Ausgangsmaterials; dies war bei der Umwandlung vieler Musical­melodien zu Jazz-Standards weniger der Fall. Legitim ist das Verfahren allemal…
Die acht Volkslieder (Es freit ein wilder Wassermann/Lilofee, Die Gedanken sind frei, Es waren zwei Königskinder, Ich habe die Nacht geträumet, Die Blümelein, sie schlafen, Schwesterlein, Jetzt fängt das schöne Frühjahr an, Wiegenlied) bekommen meist andere, auch kommentierende Titel. Knecht begründet die Notenausgabe damit, dass in seiner Musik „der auskomponierte Anteil so groß [sei], dass die vorliegenden Kompositionen als vollwertige Stücke direkt vom Blatt gespielt werden können“. Dies gilt in erster Linie für die Balladen, kaum hingegen für „Schwesterlein“, „Gedankenfreiheit“ oder „Frühling“, die insbesondere mit höheren rhythmischen Schwierigkeiten aufwarten.
Die in den Aufnahmen ausgeweiteten Soli werden in der Notenausgabe angedeutet, entweder mittels purem Verweis oder Akkordsymbolen einschließlich voicings bzw. left-hand-patterns oder partieller Notentranskrip­tion. Die zum Teil virtuosen Soli Knechts wird nur ein professioneller Jazzpianist ähnlich realisieren können, KlavierschülerInnen der Mittelstufe sollten sich eher an die langsamen Stücke wagen.
Hier sind jedoch Kenntnisse und praktische Fertigkeiten in Jazzharmonik und Skalentheorie unumgänglich. Zuweilen gibt es ostinate Passagen oder kürzere, sich wiederholende Abschnitte, welche sich zunächst für eigenes Erproben anbieten. Jedoch enthalten alle Stücke improvisatorische Teile, sodass mit dem alleinigen Durchspielen des Notierten sich noch keine abgerundete Form ergibt.
Die Bearbeitungstechniken sind unterschiedlich: Brahms’ Wiegenlied wird reharmonisiert als Leadsheet verwendet, die „Gedanken“ und die „Königskinder“ vermollt und im Tempo reduziert, „Schwesterlein“ erhält eigenständige Vor- und Zwischenspiele, die im Original bereits vorhandenen Taktwechsel im „Frühjahr“ werden auf die Spitze getrieben. Die Verbindung von Liedvorlage zu den improvisierten Teilen ist zuweilen weniger ausgeprägt.
Fast alle Melodien werden einer modernen Jazzharmonik unterzogen, die vor Dissonanzen nicht zurückschreckt. Die stilistische Bandbreite ist groß, sei reicht von Jazz Waltz über Blues bis zu Latin. Knecht sind hier attraktive Jazz-Stücke gelungen. Wenn damit das Interesse am deutschen Volkslied gefördert werden sollte, wäre dies mehr als nur ein angenehmer Nebeneffekt.
Christian Kuntze-Krakau