Erben, Eva

Das Neue gehörsmäßig erkennen

Angewandte Gehörbildung im Klavierunterricht nach methodischen Grundsätzen von Frieda Loebenstein

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 1/2021 , Seite 26

Am Beispiel des „Schnitterliedchens“ von Robert Schumann zeigt Eva Erben, wie sich ein Unterrichten und Musizieren gestalten lässt, bei dem Gehörbildung durch die Verwendung von relativer Solmisation und Werkanalyse zum ­zentralen Lernfeld aufgewertet wird. Wesentliche Anre­gungen stammen aus dem Lehrwerk „Der erste Klavierunterricht“ von Frieda Loebenstein. Am Beispiel des „Schnitterliedchens“ von Robert Schumann zeigt Eva Erben, wie sich ein Unterrichten und Musizieren gestalten lässt, bei dem Gehörbildung durch die Verwendung von relativer Solmisation und Werk­analyse zum ­zentralen Lernfeld aufgewertet wird. Wesentliche Anre­gungen stammen aus dem Lehrwerk „Der erste Klavierunterricht“ von Frieda Loebenstein.

Frieda Loebenstein (1888-1968) wirkte von 1926 bis 1933 am Seminar für Musikerziehung an der Staatlichen Hochschule für Musik in Berlin und war ab 1929 Leiterin der dem Seminar angegliederten Übungsschule. Aus der Praxis mit SchülerInnen und Studierenden heraus entstand ihr aus Lehrer- und Schülerheft bestehendes Lehrwerk Der erste Klavierunterricht, das erstmals 1927 erschien und für die Arbeit mit sieben- bis zehnjährigen Kindern bestimmt ist.1 Das Unterrichtswerk überzeugt durch seine auch heute noch innovativ anmutenden Ansätze und methodischen Prinzipien. Zur damaligen Zeit galt es als „der erste vollständige Lehrgang […] mit lückenlosem Zusammenschluß von Gehörbildung und Instrumentalunterricht“.2
Um das musikalische Hören bestmöglich zu schulen, gelangt die relative Solmisation in Form der Tonika-Do-Methode zur Anwendung.3 Damit man eine innere Tonvorstellung und „das Gefühl für den Klangcharakter“ eines jeden Tons der Tonart bekommt, vertritt Loebenstein nachdrücklich den Grundsatz: „Hieraus muß die Forderung erwachsen, daß Auge und rechnender Verstand (wie sie im Erfassen von Notenlinie, Intervall, Akkordstufe, Takt, Form in Funktion treten) im Anfangsunterricht für das Aufnehmen des Stoffes nicht die in Frage kommenden Faktoren sind, sondern allein das musikalische Ohr.“4 Gehörbildung von Anfang an, immer verknüpft mit dem eigenen Musizieren heißt die Devise.
Exemplarisch vorgestellt wird hier die Erarbeitung von Robert Schumanns Schnitterliedchen aus dem Album für die Jugend op. 68. In Schumanns Album beschließt das Schnitterliedchen als Nr. 18 die „Erste Abteilung – Für Kleinere“. Die darin enthaltenen Stücke haben nichts von ihrer Faszination verloren, sie haben einen festen Platz im Klavierunterricht – gestern wie heute. War es doch, wie Clara Schumann in ihrem Tagebuch schreibt, dem Komponisten ein Anliegen, qualitätvolle Unterrichtsliteratur für Kinder zu schaffen: „Die Stücke, die die Kinder gewöhnlich in den Klavierstunden lernen, sind so schlecht, daß Robert auf den Gedanken kam, ein Heft (eine Art Album) lauter Kinderstückchen zu komponieren und herauszugeben. Bereits hat er schon eine Menge reizender Stückchen gemacht.“5
In Frieda Loebensteins Klavierschule wird dieses Stück im methodischen Kommentar, der „Ausgabe A für Lehrer“, in der „Analyse Nr. 23“ behandelt (siehe Abbildung),6 der Notentext findet sich unter Nr. 59 in der „Ausgabe B Notenheft für Schüler“.7 Angesiedelt ist das in den Blick zu nehmende Klavierstück somit im oberen Bereich der Unterstufe, kurz vor dem Übergang zur Mittelstufe und entspricht damit dem Schwierigkeitsgrad „leicht bis mittelschwierig“.8 Während sich der Lehrerkommentar der Werkanalyse, den spieltechnischen Besonderheiten und der methodischen Herangehensweise widmet, enthält das Schülerheft ausschließlich den Notentext im Do-Schlüssel.
Das „Durchnehmen eines Stückes“ soll auf dieser Entwicklungsstufe nach Loebenstein auf folgende Weise erfolgen: „Der Schüler soll das Neue gehörsmäßig erkennen. Es soll ihm innerhalb seines Erfahrungsbereiches verständlich gemacht werden. Er soll es im Spiel, singend oder auf dem Wege der Improvisation am Klavier verarbeiten.“9 Das Hören steht somit in jeder Unterrichtsphase in Verbindung bzw. Wechselwirkung mit einer musikalischen oder auf Musik bezogenen Aktivität, sei es – wie beim Schnitterliedchen – mit dem Instrumentalspiel, dem Notenlesen, der Bewegung oder der musikalischen Analyse.
Obwohl in der Loebenstein’schen Konzeption nicht enthalten, habe ich jeder Unterrichtsphase eine passende „Musikalische Haus- und Lebensregel“ von Robert Schumann vorangestellt.10 Denn Schumann hat diese Sentenzen parallel zur Entstehung des Albums für die Jugend skizziert und wollte sie auf dieses bezogen wissen.11

1 Frieda Loebenstein: Der erste Klavierunterricht. Ein Lehrgang zur Erschließung des Musikalischen im Anfangsklavierunterricht, Ausgabe A für Lehrer, Ausgabe B Notenheft für Schüler, Berlin-Lichterfelde 1927. Bei der Ausgabe A für Lehrer zitiere ich aus bzw. beziehe mich in meinen Ausführungen auf die zweite Auflage von 1928, hier S. 4 und 24.
2 Elisabeth Noack: „Gehörbildung und rhythmische Erziehung als Vorbildung und Stütze des Instrumentalunterrichts“, in: Mitteilungen des Tonika-Do-Bundes, 1927, Nr. 2, S. 2 f.
3 Eine fundierte Einführung in die Arbeit mit der relativen Solmisation bietet das Handbuch der relativen Solmisation von Malte Haygster und Manfred Grunenberg, Mainz 1998.
4 Loebenstein, Ausgabe A für Lehrer, S. 9.
5 Clara Schumann, zitiert nach Bernhard R. Appel: ­Robert Schumanns „Album für die Jugend“. Einführung und Kommentar, Zürich und Mainz 1998, S. 42.
6 Loebenstein, Ausgabe A für Lehrer, S. 120 f.
7 Loebenstein, Ausgabe B Notenheft für Schüler, S. 34.
8 Der von Loebenstein empfohlene Zeitpunkt der Er­arbeitung des Schnitterliedchens entspricht damit demjenigen des Lehrplans Klavier, hg. vom Verband deutscher Musikschulen, Kassel 2009, S. 61.
9 Loebenstein, Ausgabe A für Lehrer, S. 85.
10 Sämtliche in diesem Beitrag zitierten „Musikalischen Haus- und Lebensregeln“ sind der folgenden Notenausgabe entnommen: Robert Schumann: Kinderszenen op. 15, Album für die Jugend op. 68, G. Henle Verlag.
11 vgl. Appel, S. 194.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 1/2021.