Pirich, Carolin

Das Vorspiel

Begegnungen mit Musik in 15 Variationen

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Berenberg Verlag, Berlin 2023
erschienen in: üben & musizieren 1/2024 , Seite 60

„Eine Sammlung von Versuchen, der Musik nahezukommen“ – so bezeichnet die Musikwissenschaftlerin Carolin Pirich ihr Buch, in dem sie Geschichten und Essays rund um musikalische Themen versammelt hat. Es sind Texte, die großteils bereits in Zeitungen und Zeitschriften erschienen sind, und in der Zusammenfassung ergeben sie einen ebenso unterhaltsamen wie informativen Streifzug durch die Welt der Musik.
Insgesamt 15 Begegnungen mit Musik sind es, die Carolin Pirich in eine leichte und abwechslungsreiche Prosa kleidet. Sie erzählt von der Geigerin Franziska Pietsch, die in der DDR als kommender Star der Konzertsäle galt, bis ihr Vater sich in den Westen absetzte und die Partei seiner Tochter ein Auftrittsverbot erteilte (erst nach dem Fall der Mauer gelang es ihr, doch noch Karriere zu machen). Vom Pianisten Igor Levit, der etwas bewegen will und sein politisches Engagement sogar über das Klavierspiel stellt. Von der Dirigentin Joana Mallwitz, die in der Corona-Pandemie ein Konzept für ein „Expeditionskonzert“ entwickelt, und vom Geiger David Garrett, dem einstigen Wunderkind, der heute „statt mit Claudio Abbado und dem Chamber Orchestra of Eu­rope aufzutreten, Halbplayback im Fernsehen geigt“.
Aber nicht nur bekannte Namen spielen in Pirichs Texten eine Rolle, sondern auch jene, die nicht im Rampenlicht stehen: Ein Platzanweiser in der Deutschen Oper Berlin weiß einiges zu erzählen, ein Bassist bewirbt sich um eine Stelle in einem Orchester und hat sich ein lächelndes Gesicht auf das erste Notenblatt gezeichnet, um sich daran zu erinnern, „dass ihm das hier eigentlich Spaß macht“, und einer Violinistin wird im ICE ihr Instrument gestohlen.
Anhand ihrer Geschichten wirft Carolin Pirich Schlaglichter auf oft wenig beachtete Aspekte der Musik. Es geht um die rätselhafte Beziehung eines Musikers zu seinem Instrument, um zeitgenössische Kompositionen und ihre Techniken, um Mozarts Geige und ihren besonderen Klang, um Doping unter Musikern und um den Ukraine-Krieg, der auch im Konzertsaal eine Zeitenwende markierte. Und schließlich geht es auch um das Gegenteil von Klang: um die Stille, der sich Pirich in einem schalltoten Raum aussetzt und die sie als „dunkle Seite der Sonate“ bezeichnet.
So umkreist Carolin Pirich die Musik, beleuchtet sie von verschiedenen Seiten und aus mitunter überraschenden Richtungen und kommt ihr so tatsächlich nahe: in Zahlen und Fakten, Erlebnissen und Anekdoten und Ausflügen in die Historie. Wie in der Geschichte vom polnischen Komponisten Ludomir Ró˙zycki, dessen Frau seine Noten vor ihrer Flucht im Garten ihres Warschauer Hauses vergraben hat. Erst achtzig Jahre später wird seine Musik wieder aufgeführt und so dem Vergessen entrissen. Denn, wie Ró˙zyckis Urenkelin Ewa sagt: „Mit der Musik ist es wie mit der Erinnerung: Wenn es niemanden gibt, der sie teilt, verschwindet sie.“
Irene Binal