Das wohlpräparierte Klavier

Neues Album für die Jugend. 20 Klavierstücke von Kindern und Jugendlichen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Edition Gravis, Brühl 2020
erschienen in: üben & musizieren 1/2021 , Seite 62

Die hier versammelten 20 Klavierstücke von Kindern und Jugendlichen wurden von 2016 bis 2019 von SchülerInnen der Komponistenklasse Dresden und des Kompositionsworkshops am Konservatorium Straßburg komponiert. Alle Stücke zeigen einen starken musikalischen Ausdruckswillen und sind kompositorisch gut durchgeformt.
Die zum Zeitpunkt der Komposition erst siebenjährige Melanie Czarny überzeugt im D-Dur-Stück Der Papagei durch ihre fantasievollen Abwandlungen eines rhythmisch eigenwilligen Grundmotivs. Witzig ist die Komposition Vom Tanzbär, der sein’ Schuh verlor (C-Dur) der neunjährigen Maleah Gilbert. Nach dem als Glissando umgesetzten Verlust des Schuhs gerät der anfängliche 4/4-Takt ins Taumeln und Melodie und Begleitung finden nicht mehr zusammen. Besonders gelungen ist Waldgeheimnis des ebenfalls neunjährigen Béla Jeremia Noll, ein atmosphärisch dichtes Stück in d-Moll, bei dem der melodische Hauptgedanke immer wieder durch ein rhythmisches Klopfmotiv unterbrochen wird. Im freitonalen Der Hase kombiniert die zehnjährige Frida Ponizil das Spiel auf den Tasten mit Spieltechniken im Flügelinnenraum sowie mit weiteren Klangquellen wie z. B. einer Vogelwasserpfeife und dem Knacken trockener Äste.
Sehr eigenständig ist die Tonsprache des zwölfjährigen Raphaël Breton. Neben dem Stück Le clavier bien préparé, dessen Titel zugleich als Hefttitel gewählt wurde, hat er ein weiteres Stück Paradis infernal beigesteuert. Das erste gewinnt durch eine Präparation mit Metallschrauben zwischen den Saiten dem Beginn des ersten Präludiums aus dem „Wohltemperierten Klavier“ völlig neue Klangwirkungen ab, das zweite experimentiert mit ungewohnten Spieltechniken.
Vinzent Zschuppe (14) gelingt mit Winterpanorama ein ausdrucksstarkes und präzise komponiertes Stimmungsbild in e-Moll. In Der Wüterich lässt der 19-jährige Karl Frenzel sein temperamentvolles Hauptmotiv von c-Moll ausgehend durch verschiedene Tonarten toben, bis es, verstärkt durch Oktavierungen in der rechten Hand und eine Tremolo-Begleitung, in der Ausgangstonart endet.
In der großen stilistischen Bandbreite und der durchweg hohen musikalischen Qualität der Stücke wird das überzeugende pädagogische Konzept der beteiligten DozentInnen erkennbar. Offenbar gelingt es ihnen hervorragend, die Lernenden auf ihrem Weg vom ersten Einfall bis zur fertigen Komposition zu unterstützen, ohne ihre Eigenständigkeit einzuschränken. Ein Anhang bringt Informationen zu den jungen KomponistInnen und gibt ihnen Gelegenheit, sich kurz zu ihren Stücken zu äußern.
Für den Klavierunterricht der Unter- und Mittelstufe ist das Heft eine große Bereicherung, da Kinder und Jugendliche erfahrungsgemäß sehr gern Musik von Gleichaltrigen spielen. Die Beschäftigung mit den Stücken kann darüber hinaus zu eigenen Kompositionsversuchen anregen.
Sigrid Naumann

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