Klink, Cindy / Alessia-Valeska Schieron
Deaf Performance
Überlegungen zur Inklusion Tauber Menschen in Musikschulen
Die Hände bewegen sich rhythmisch zur Musik, zeichnen die Melodie nach und sprechen dabei – Gebärdensprache fasziniert nicht nur als Sprache, die der Kultur Tauber Menschen entstammt, sondern begeistert auch durch ihre künstlerisch-musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten, die sich in Deaf Performances wiederfinden. In Deutschland sind Performances Tauber Menschen, die die Gebärdensprache mit Musik verbinden, bisher nicht in den Musikschulen angekommen. Wir finden, dass sich das ändern sollte.
Taubheit wird typischerweise als eine Behinderung wahrgenommen, doch es gibt Taube1 Menschen, die sich selbst als Angehörige einer Gemeinschaft sehen, die die Deutsche Gebärdensprache (DGS) und kulturelle Praktiken teilt.2 Die DGS ist seit 2002 als Sprache anerkannt, folgt eigenen grammatischen Regeln und ist in ihrer Komplexität Lautsprachen ebenbürtig.3 Sie ist nicht nur Sprache der Gemeinschaft, sondern dient auch als beliebtes künstlerisches Ausdrucksmittel, in dem Themen wie die Unterdrückung Tauber Menschen und der Stolz auf die eigene Kultur verarbeitet werden.4
Taube Menschen haben eine vielseitige Kultur hervorgebracht, die sich sowohl in Alltagspraktiken als auch bei speziell für sie ausgerichteten Veranstaltungen zeigt.5 Zum Beispiel feiert das „International Sign Language Arts Festival – Clin d’Œil“ alle zwei Jahre die Sprache, Kunst und Kultur Tauber Menschen. Kunstformen, die dieser Kultur entstammen, werden dort performt – zum Beispiel „Visual Vernacular“, „Gebärdensprachpoesie“, Theater- und Musikperformances.6
In den Medien wird die facettenreiche Kultur der Gemeinschaft Tauber Menschen selten thematisiert und sie wird auffallend häufig in Zusammenhang mit Musik dargestellt.7 Zum Beispiel steht in den Filmen CODA, Jenseits der Stille und Verstehen Sie die Béliers? eine defizitäre Perspektive im Vordergrund, die eine vermeintliche Unfähigkeit und das Desinteresse Tauber Menschen, Musik zu erfahren und auszudrücken, etabliert. Dass Taube Menschen Musik mittels der Gebärdensprache ausdrücken können und dass dies auch für hörende Personen einen Reiz hat, hat spätestens die Taube Performerin Justina Miles mit ihrer gebärdensprachlichen Musikperformance bei der Half Time Show des Superstars Rihanna beim Superbowl 2023 gezeigt.
Kultur der Deaf Performance
Musikperformances in der internationalen Taubengemeinschaft existieren schon seit Jahrzehnten und erfreuen sich vor allem in den vergangenen Jahren in Deutschland unter dem Begriff „Deaf Performance“ immer größer werdender Beliebtheit.8 Elisabeth Kaufmann (Vizepräsidentin des Deutschen Gehörlosen-Bundes) erklärt, Deaf Performance sei ein Oberbegriff für verschiedene Kunstformen, in denen Taube Menschen performen. Dazu zählen Theater, Moderation, Kabarett, Literatur und auch Musikperformances.9 Es gibt verschiedene Stile, in denen Musik gebärdensprachlich ausgedrückt werden kann. Einige verwenden Visual Vernacular, eine Form der Gebärdensprache, die sich stark auf visuelle Ausdrucksformen und metaphorische Gesten stützt, manche legen den Fokus auf lautsprachbegleitende Gebärden (diese stellen im Gegensatz zur DGS keine eigene Sprache dar, da keine eigene Grammatik existiert), während andere wiederum ausschließlich DGS nutzen. Auch Kombinationen von Gebärdensprache mit Tanz sind möglich, wobei Deaf Performance, da sie auf die Gebärdensprache fokussiert ist, teilweise vom Tanz abgegrenzt wird.10 Oftmals findet man eine Mischung aus verschiedenen Gebärdensprach-Stilen, abhängig vom Lied, dessen Rhythmus und der verfügbaren Vorbereitungszeit. Es existieren keine festen Regeln, jedoch liegt der Hauptfokus von Deaf Performance auf der Gebärdensprache.11
Als Ausdrucksform wird Deaf Performance immer beliebter und gefragter – doch es fehlt an Nachwuchs, da es kaum künstlerische Ausbildungsmöglichkeiten für Taube Personen gibt. Wie könnte man also Deaf Performance in Musikschulen inkludieren?
Inklusion von Deaf Performance
Im Leitbild des Verbands deutscher Musikschulen wird Inklusion als Aufgabe verstanden, die es „jedem Menschen [ermöglichen soll], an der Musik teilzuhaben – durch diskriminierungsfreie, auch aufsuchende Angebote, durch weitgehende Selbstbestimmung jedes Einzelnen sowie eine äußere und innere Barrierefreiheit. Vielfalt und Heterogenität erkennen und nutzen wir als Chance und stellen dabei den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt.“12 Das Leitbild formuliert den Anspruch, das „musikalisch-kulturelle Erbe“ zu erhalten, während „[m]usikalische Vielfalt […] als Reichtum und Bereicherung“13 erfahren werden soll. In Schriften zu Inklusion und Musik wird häufig gefordert, jedem Menschen Teilhabe an Musik zu ermöglichen; geht es allerdings um Taube Menschen, herrscht schnell Unsicherheit, da Hörbehinderung häufig als eine unüberwindbare Hürde für das Musizieren gesehen wird.14 Diese Erfahrung hat auch Cindy Klink, die selbst Taub ist, gemacht:
„Wenn ich davon spreche, dass ich Musikunterricht in der Schule hatte, ernte ich oft skeptische Blicke. Manche fragen mich verwundert: An einer Schule für Gehörlose und Schwerhörige hattest du Musikunterricht? Ist das überhaupt fair? Doch unabhängig davon, ob es fair ist oder nicht, möchte ich betonen, wie wichtig dieser Unterricht für mich war. Durch den Musikunterricht erhielt ich Zugang zur Welt der Musik in einer Weise, die mir sonst verschlossen geblieben wäre, da ich selbst Taub und mit gehörlosen Eltern aufgewachsen bin. Ich lernte nicht nur verschiedene musikalische Formen kennen, sondern auch grundlegende Fähigkeiten wie das Notenlesen und das Spielen mehrerer Instrumente. Die Möglichkeit, die berühmtesten KomponistInnen und deren Werke kennenzulernen, erweiterte meinen Horizont enorm. Ein besonderes Highlight war der Besuch einer Aufführung der Zauberflöte im Theater, den ich gemeinsam mit meiner Klasse erleben durfte. Dieser Unterricht half mir nicht nur, ein Gespür für Takt und Rhythmus zu entwickeln, sondern auch, eine solide Grundlage für meine zukünftige Arbeit als Deaf Performerin zu schaffen.“
Allerdings erlebte Cindy Klink auch negative Erfahrungen: „Als ich Mitglied der Internatsband wurde, um meine Gitarrenkenntnisse zu verbessern, stieß ich auf Schwierigkeiten. Obwohl ich bereit war, mich zu verbessern und mit einem erfahrenen Gitarristen an der örtlichen Musikschule zusammenzuarbeiten, stieß ich auf wenig Verständnis für meine Gehörlosigkeit. Während des Unterrichts wurden mir oft Vorwürfe gemacht, wenn ich bestimmte Akkorde nicht richtig spielte. Vom Gruppenunterricht wechselte ich zum Einzelunterricht, doch es machte die Sache leider nicht besser. Die fehlende Sensibilisierung gegenüber Menschen mit Behinderungen, in diesem Fall Gehörlosigkeit, machte es mir schwer, mich im Unterricht integrieren zu können. Mein Lehrer nahm leider keine Rücksicht auf meine Gehörlosigkeit und verstand nicht, wieso ich bei manchen Dingen länger brauche und nicht raushören kann, warum es gerade nicht gut klingt. Das führte dazu, dass mir der Unterricht keinen Spaß mehr machte und ich die Lust am Gitarre spielen verlor.
Es war frustrierend zu erleben, wie Vorurteile und mangelndes Verständnis meine musikalische Entwicklung behinderten. An eine andere Musikschule zu wechseln, war nicht einfach. Sobald diese erfuhren, dass ich gehörlos bin, wurde gesagt, dass Gehörlose keine Musik machen können. Diese pauschale Aussage ist nicht nur diskriminierend, sondern führte auch dazu, dass ich jahrelang wirklich dachte, ich werde niemals in der Musikbranche arbeiten. Wie wir sehen – es ist falsch.“
Cindys musikalischer Werdegang war von Vorurteilen und Diskriminierung geprägt. Deaf Performance bot ihr nach vielen schwierigen Erfahrungen im musikpädagogischen Bereich die Möglichkeit, sich Musik mittels ihrer eigenen Methoden und Kultur anzueignen und sich musikalisch auszudrücken. Ihre Geschichte zeigt deutlich: Auch Menschen, die Taub sind, haben ein Interesse an Musik, was sich in dem Wunsch, ein Instrument zu erlernen, im Interesse an Musiktheater oder Deaf Performance zeigen kann. Sie können ihren eigenen Zugang zu Musik finden und dies kann gefördert werden, um Inklusion und Vielfalt in Musikschulen anzuregen. Dabei geht es nicht nur darum, Taube Menschen an die bereits bestehende hörende Musikpraxis anzupassen, sondern Platz für musikalische Innovationen und Vielfalt zu schaffen – nicht nur für Taube, sondern auch für hörende Menschen, die einen Zugang zur Gebärdensprachkunst erhalten.15
Gedanken zur praktischen Umsetzung
Im Musikunterricht für Menschen mit Hörbehinderung können nach den Erfahrungen von Cindy Liedgebärden eingesetzt werden, bei denen der Schwerpunkt auf lautsprachbegleitenden Gebärden (LBG) oder der gebärden-unterstützten Kommunikation (GUK) liegt. Diese Methode eignet sich nach Cindys Einschätzung besonders für jüngere SchülerInnen oder Kinder im Kindergartenalter. Einige Wörter des Liedtextes werden parallel zum Singen gebärdet, wodurch Gebärden schneller gelernt werden, da sie weniger komplex sind und nicht so tief in die Gebärdensprache eingetaucht wird. Dies stellt auch geringere Anforderungen an die Lehrperson, die keine umfassenden Kenntnisse der Gebärdensprache dafür benötigt.
Im Gegensatz dazu kann Deaf Performance insbesondere für jüngere SchülerInnen schwieriger sein, da ein grundlegendes Verständnis der Gebärdensprache, der Grammatik und kulturelles Wissen erforderlich sind. Um Deaf Performance authentisch unterrichten zu können, sollte man selbst kulturelle Expertise und eine hohe Gebärdensprachkompetenz mitbringen.
Wenn Deaf Performance in Musikschulen inkludiert wird, erleben Kulturschaffende jedoch häufiger, dass sie Angebote für Taube Menschen konzipieren und zu ihrer Verwunderung keine einzige Taube Person teilnimmt. Dies kann daran liegen, dass häufig auf vereinfachte Inklusionslösungen zurückgegriffen wird. Eine vermeintlich inklusive Idee oder die Zusammenarbeit mit einer Dolmetscherin bzw. einem Dolmetscher ersetzt nicht die Zusammenarbeit mit Tauben Personen, deren Expertise für die Umsetzung von Projekten oder für einen gelungenen Unterricht notwendig ist. Projekte für Menschen mit Hörbehinderung sollten daher von Tauben Menschen mitentwickelt werden. Die Initiative Deaf Performance Now hat eine Liste mit Deaf PerformerInnen zusammengestellt.16
Ein geeigneter Platz für Deaf PerformerInnen und ihr Publikum auf bzw. vor der Bühne, der Einsatz von DolmetscherInnen oder Untertitelung sind hingegen grundlegende Forderungen und sollten nicht zur Debatte stehen. Im Alltag vieler Tauber Menschen ist die DGS die favorisierte Sprache.17 Informationen und Werbung über Projekte sollten daher auch in DGS erfolgen.
Wie der Erfahrungsbericht von Cindy Klink zeigt, ist im Umgang mit Tauben Menschen Einfühlungsvermögen gefragt. Musikschulen und ihre Lehrenden sollten auf die speziellen Bedürfnisse eingehen. Sätze wie „Taube Menschen hören doch gar keine Musik und können das nicht“ sollte man sich schnellstens abgewöhnen, da sie diskriminierend sind und die Deutungshoheit über Musik allein hörenden Personen überlassen. Neben diesen grundlegenden Anforderungen an die Inklusion von Deaf Performance in Musikschulen braucht es für die musikalische Förderung Tauber Menschen innovative, kreative und mutige Lösungen, die Musik aus einer Tauben Perspektive wertschätzen.
1 Die Großschreibung des Begriffs „Taub“ bzw. im Englischen „Deaf“ symbolisiert den kulturellen Aspekt von Taubheit, wohingegen die Kleinschreibung von „taub“ bzw. „deaf“ den medizinischen Aspekt hervorhebt. Siehe hierzu Ladd, Paddy: Was ist Deafhood? Gehörlosenkultur im Aufbruch, Seedorf 2008, S. XIII; Instagram-Kanal @hand.drauf, Instagram-Story „Taub/Gehörlos“ (2020).
2 vgl. Uhlig, Anne C.: Ethnographie der Gehörlosen. Kultur – Kommunikation – Gemeinschaft, Bielefeld 2012, S. 43-46 und 84-87.
3 vgl. Kleyboldt, Thimo/Hillenmeyer, Margit: DGS – Deutsche GebärdenSprache – Teil 1. Grundkurs für Anfänger, Hamburg 2015, S. 32.
4 vgl. Holcomb, Thomas K.: Introduction to American Deaf Culture, Oxford 2013, S. 171-173.
5 Uhlig, a. a. O., S. 87.
6 www.clin-doeil.eu/en/index.html (Stand: 4.7.2024).
7 vgl. Schmidt, Karin: „Taubheit plus Musik in den Medien. Wie Presse und Fernsehen die Sicht auf taube Menschen verzerren“, in: Deutsche Gehörlosenzeitung 11 (2014), S. 14-15, https://archiv.taubenschlag.de/cms_pics/dgz_201411_taube_musik.pdf (Stand: 4.7.2024).
8 vgl. Cripps, Jody H./Rosenblum, Ely/Small, Anita: „Signed Music: An Emerging Inter-performative Art“, 2017, S. 2, www.academia.edu/33721421/ Signed_Music_An_Emerging_Inter_performa-tive_Art (Stand: 4.7.2024).
9 vgl. Bayerischer Rundfunk: Kulturelle Aneignung – Gehörlose in der Kunst: „Deaf Performance Now“ | Sehen statt Hören | Doku, 2. Juni 2022, https://youtu.be/YC46rEgvjXc, Min. 06:06 ff. (Stand: 4.7.2024).
10 ebd., Min 04:45 ff.
11 vgl. Schieron, Alessia-Valeska: Deaf Performance. Ästhetische Transformation von Musik zu gebärdensprachlicher Kunst, Masterarbeit, Pädagogische Hochschule Heidelberg, Hochschulschriftenserver der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, 2023, S. 90. https://opus.ph-heidelberg.de/frontdoor/index/index/docId/1621 (Stand: 4.7.2024).
12 Verband deutscher Musikschulen: Leitbild der öffentlichen Musikschulen im Verband deutscher Musikschulen (VdM), 2015, www.musikschulen.de/ medien/doks/Positionen_Erklaerungen/leitbild_vdm-musikschulen.pdf (Stand: 4.7.2024).
13 ebd.
14 vgl. Maler, Anabel: „Musical Expression among Deaf and Hearing Song Signers“, in: Howe,Blake/ Jensen-Moulton, Stephanie/Lerner, Neil/Straus, Joseph (Hg.): The Oxford Handbook of Music and Disability Studies, Oxford 2016, S. 73-91, hier: S. 73.
15 vgl. Schieron, Alessia-Valeska/Zöllner-Dressler, Stefan: „Deaf Performance als musikalisch künstlerische Ausdrucksform“, in: Gembris, Heiner/ Herbst, Bianca/Herbst, Sebastian/Sander-Steinert, Kristin (Hg.): Musik erleben – erforschen – vermitteln. Begegnungen mit Thomas Krettenauer, Münster 2024, S. 125-140, hier: S. 135-137.
16 Deaf Performance Now, 2019, https://deafperformancenow.wordpress.com/liste (Stand: 4.7.2024)
17 vgl. Kleyboldt/Hillenmeyer, S. 52.
Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 4/2024.