Beier, Sarah-Lisa
Den Hyperfokus im Blick
Erwachsene SchülerInnen mit ADHS: Überlegungen für einen erfolgreichen Instrumentalunterricht
Wie erkenne ich als Lehrkraft, dass (erwachsene) SchülerInnen von ADHS betroffen sein könnten? Spreche ich das Thema an? Und welche Methoden wende ich im Unterricht an, um das Üben und Lernen besser zu fördern? Dieser Artikel1 beleuchtet wesentliche Aspekte von ADHS im Erwachsenenalter und bezieht aktuelle Erkenntnisse psychologischer Forschung auf die Praxis des Instrumentalunterrichts.
Lange Zeit galt ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) als Phänomen, das vor allem im Kindes- und Jugendalter auftritt und sich im Laufe des Lebens verwächst.2 Mittlerweile ist jedoch belegt, dass ADHS die Betroffenen ein Leben lang begleitet. So erleben sie auch noch als Erwachsene „eine innere Unruhe und Getriebenheit und die Aufmerksamkeitsprobleme ändern sich meist auch nicht grundlegend“.3 Zudem gibt es bei adulter ADHS zahlreiche Begleiterkrankungen, sogenannte „Komorbiditäten“.4 Hierzu gehören Depressionen, Angst- und Essstörungen, soziale Verhaltensstörungen, Zwangsstörungen und/oder Tic-Störungen. So gibt es beispielsweise Berichte von spät diagnostizierten ADHSlerInnen, die bis dato primär als depressiv galten und zunächst mit Antidepressiva (statt mit Ritalin) behandelt wurden.5
Doch nicht in jedem Fall muss ADHS mit solch schwerwiegenden Begleiterkrankungen einhergehen. Es handelt sich – ähnlich wie bei der Autismus-Spektrum-Störung (ASS) – vielmehr um ein Spektrum: Es gibt verschiedene Grade der Ausprägung und damit verbunden spezifische individuelle Verhaltensweisen. Zudem gibt es viele Betroffene, die (noch) gar nichts von ihrer Störung wissen.
Adulte ADHS lange verdrängt
Obwohl bereits 2002 eine erste (deutschsprachige) Publikation zum Thema Erwachsene mit ADHS erschien,6 wird ADHS bei Erwachsenen erst in jüngster Zeit in psychologischen Fachkreisen zunehmend anerkannt. Mittlerweile existieren zahlreiche Dokumentationen, Berichte und Podcasts von Betroffenen, die oft spät diagnostiziert wurden. Auch durch das Outing von Prominenten (z. B. Eckart von Hirschhausen)7 verbreitete sich das Wissen über adulte ADHS in der Öffentlichkeit.
Symptome
Laut WHO gibt es drei Hauptsymptome, die ADHS kennzeichnen: Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität. Charakteristisch für ADHS ist, dass die Symptome bereits länger als sechs Monate andauern, vor dem 12. Lebensjahr auftreten und dass sie unmittelbare negative Auswirkungen auf das Lernen in Schule, Studium und Beruf sowie auf das soziale Leben (Freundeskreis, Familie, Partner) haben.8
Auf den Alltag der Betroffenen bezogen bedeutet dies, dass sich ADHSlerInnen nicht so gut oder nicht so lange konzentrieren können wie Menschen, die nicht von ADHS betroffen sind. Dies trifft besonders auf Inhalte zu, die ihnen schwer erscheinen und/oder für sie nicht von Interesse sind. Zudem haben sie Schwierigkeiten damit, geduldig zu sein. Sie fallen beispielsweise anderen vermehrt ins Wort, knibbeln an ihren Fingern, bewegen stetig ihre Hände und Füße oder blinzeln mit den Augenlidern und haben generell einen erhöhten Bewegungsdrang.9 Diese hyperaktive Unruhe kann sich aber auch in kompensierendem Essverhalten oder unkontrolliertem Konsumverhalten10 äußern. Zudem haben ADHSlerInnen Schwierigkeiten, ihre Bedürfnisse aufzuschieben und ihre Emotionen zu balancieren. Ihnen unterlaufen vermehrt Flüchtigkeitsfehler11 in der Schriftsprache und beim Notenlesen oder -schreiben. Zudem verlegen sie häufiger Gegenstände, brauchen mehr Zeit für Organisatorisches oder für alltägliche Handlungsabläufe. Auch ist ihre Motivationsregulation gestört, was dazu führt, dass sie wesentlich schneller und effizienter lernen, wenn sie etwas besonders interessiert, aber bei fehlendem Interesse sehr antriebsschwach sein können.
Wie entsteht ADHS?
Zur Entstehung von ADHS tragen erbliche Faktoren und Umwelteinflüsse bei, die die „Struktur und Funktion bestimmter Regionen des Gehirns“12 beeinflussen. Auf neurophysiologischer Ebene wird im präfrontalen Kortex nicht genügend Dopamin bereitgestellt. Dies führt dazu, dass sowohl die Impulskontrolle als auch die Emotions- und Motivationsregulation außer Takt geraten.
Instrumentalunterricht mit ADHS
Im Folgenden werden ausgewählte didaktische Aspekte und Übemethoden zusammenfassend dargestellt, die sich in der Unterrichtspraxis und Zusammenarbeit mit ADHSlerInnen bewährt haben. Diese Darstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ebenso sei nochmals die Individualität eines jeden Einzelnen betont: Nicht alle Methoden passen für alle von ADHS betroffenen erwachsenen SchülerInnen gleichermaßen.
1 Diese Ausführungen stellen eine Zusammenfassung und Weiterführung des folgenden Aufsatzes dar: Beier, Sarah-Lisa: „Üben und Musizieren mit ADHS im Erwachsenenalter – Herausforderungen, Chancen und Perspektiven“, in: Kulturelle Bildung Online, 2024, www.kubi-online.de/artikel/ueben-musizieren-adhs-erwachsenenalter-herausforderungen-chancen-perspektiven (Stand: 25.2.2025).
2 vgl. McNamara, Michael: ADHS – ein Leben lang. Wissenschaftsdokumentation, 3sat und ZDF, 2018, https://youtu.be/B0PbetQN9u0 (Stand: 25.2.2025).
3 Haible-Baer, Nina/Kirsch, Peter: Alles nach Plan. ADHS im Erwachsenenalter meistern, Weinheim 22023, S. 19.
4 ebd., S. 48 f.
5 vgl. McNamarra.
6 vgl. Krause, Johanna/Krause, Klaus-Henning: ADHS im Erwachsenenalter, Stuttgart 2014.
7 vgl. Hirschhausen und ADHS. Dokumentation, ARD, 30.10.2023.
8 vgl. ICD-1, International Classification of Diseases der WHO, Version 11 von 2022: 6A05 Attention deficit hyperactivity disorder, https://icd.who.int/browse/2024-01/mms/en#821852937 (Stand: 25.2.2025).
9 vgl. Haible-Baer/Kirsch, S. 27.
10 vgl. ebd., S. 47.
11 vgl. ebd., S. 21-25.
12 ebd., S. 43
Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2025.