Behschnitt, Rüdiger

Den Körper aktiv in die ­musikalische Arbeit ­einbeziehen

Isabel Reuter, Koordinatorin des Zentrums für Musik, ­Gesundheit und Prävention im Kulturzentrum Schloss ­Kapfenburg, im Gespräch über „Fit mit Musik! an der Musikschule“

Rubrik: Gespräch
erschienen in: üben & musizieren 1/2010 , Seite 44

Die Internationale Musikschulakademie Kulturzentrum Schloss Kapfenburg macht Musiker fit. Seit 2003 ist die Akademie Zent­rum für Musik, Gesundheit und Prävention. Diese Einrichtung bietet nicht nur verschiedene Bewegungsprogramme für ihre Probengäste, sondern gibt auch Publikationen zur Musiker­gesundheit heraus und organisiert Projekte mit Musikschulen. Isabel Reuter ist zuständig für die Koordination des Zentrums und gibt hier Einblicke in das aktuellste Vorhaben „Fit mit Musik! an der Musikschule“. Nach dem Studium der Kultur- und Medien­päda­gogik an der Hochschule Merseburg (FH) ­arbeitete sie an der Universität der Künste Berlin im hochschulübergreifenden Zentrum Tanz. Die eigene Begeisterung für Tanz und Musik führte sie schließlich im Jahr 2007 auf Schloss Kapfenburg.

Die Musikschulakademie Schloss Kapfenburg hat vergangenes Jahr das Pilotprojekt „Fit mit Musik! an der Musikschule“ gestartet und vergibt gemeinsam mit der Gmünder ErsatzKasse und dem Freiburger Institut für Musikermedizin das Zertifikat „gesunde musikschule“. Weshalb sollten sich Musikschulen eigentlich Gedanken zu diesem Thema machen? Macht Musizieren denn krank?
Musizieren trägt in erster Linie zur Gesunderhaltung des Menschen bei. In unserer Studie zur Musiker­gesundheit fanden wir heraus, dass Musiker ihren Gesundheitszustand überdurchschnittlich oft als „ausgezeichnet“ einschätzen. Es ist das Anliegen der Internationalen Musikschulakademie, dies weiter zu fördern. Allerdings gaben Musiker doppelt so häufig wie die Vergleichsgruppe aus Nichtmusikern im selben Alter Belastungen in Rücken, Schultern, Armen und Händen an. Bei den Befragten handelte es sich um Mitglieder verschiedener Landesjugendorchester im Alter von 16 bis 25 Jahren. Daraus ziehen wir folgenden Schluss: Musik hält gesund und fördert das Wohl­befinden. Durch den besonderen Bau der Instrumente kommt der Körper aber teilweise in extreme Haltungen, die er sonst nicht einnehmen muss. Das wird durch lange Übezeiten und statische Haltungen noch verstärkt. Daraus können Belastungen für den Einzelnen entstehen und dem wollen wir vorbeugen.
Wir möchten Musikern ein Grundwissen über eine na­türliche Haltung und Bewegung am Instrument vermitteln, denn Musizieren passiert immer mit dem Körper bzw. dem ganzen Menschen. Wenn ich mich nicht in irgendeiner Art bewege (und wenn es nur ein Drücken der Tasten ist), wird mein Instrument nicht klingen. Wie Körper und Instrument zusammenspielen, merkt man also nicht zuletzt am Klang. Für Musikschulen ist dieses Thema bedeutend, weil sie von Anfang an gesundheit­liche Aspekte in die musikalische Aus­bildung tragen und damit einen wichtigen Beitrag zur Prävention leis­ten können.

Wie sind die Kurse Ihres Projekts aufgebaut und wer genau nimmt daran teil? Musikschullehrkräfte oder Musikschüler? Und stehen die Kurse auch Privat­musikerziehern offen?
Das Projekt „Fit mit Musik! an der Musikschule“ ist in einem Bausteinsystem aufgebaut. Nach Umsetzung des Grundbausteins können sich die Musikschulen als „gesunde musikschule“ zertifizieren lassen. An erster Stelle steht dabei die Mentorenausbildung, in der Mu­sik­schullehrkräfte in fünf Modulen alle musikphysiologischen Grundlagen von den körperlichen Aspekten bis hin zu den mentalen Voraussetzungen des Musizierens kennen lernen. Die Gegebenheiten des Musikschul­unterrichts werden in allen Modulen besonders berücksichtigt. So qualifiziert die Mentorenausbildung An­sprechpartner für Musikergesundheit an Musikschulen. Diese geben dann im zweiten Schritt ihre Kenntnisse an ihr Kollegium in Form von praxisorientierten Workshops weiter. Außerdem organisieren sie einen Aktionstag zum Thema „Fit mit Musik“ an ihrer Musikschule. Der­zeit richtet sich unser Projekt ausschließlich an öffent­liche Musikschulen, da es in Kooperation mit dem Verband deutscher Musikschulen und vor allem dem Landesverband Baden-Württemberg entwickelt worden ist.

Sie arbeiten bei diesem Projekt unter anderem mit der Gmünder ErsatzKasse zusammen. Wie kam es zu die­ser Kooperation?
Die Internationale Musikschulakademie auf Schloss Kapfenburg ist ja seit dem Jahr 2003 auch Zentrum für Musik, Gesundheit und Prävention. Diese Initiative wurde zusammen mit der GEK ins Leben gerufen. Seither begleitet sie uns bei der Entwicklung von Gesundheitsangeboten für Musiker und ist damit die profilierteste und engagierteste Ersatzkrankenkasse für Musikergesundheit. Als ersten Schritt legten wir damals gemeinsam die zweiteilige Studie zur Musikergesundheit auf. Dort wurde das Gesundheitsverhalten von jungen Musikerinnen und Musikern der Landes­jugendorchester Deutschlands untersucht. Danach war für die GEK und uns klar, dass auf diesem Gebiet etwas getan werden muss.

Weil das Ergebnis so beunruhigend war?
Das Ergebnis war, dass über zwei Drittel aller Befragten sich wünschten, mehr über Präventionstechniken wie Entspannungsübungen und Ausgleich durch Bewegung zu erfahren, und es für sinnvoll hielten, gesundheitliche Aspekte in die musikalische Ausbildung aufzunehmen. Das war für uns der Auftrag, aktiv zu werden und verschiedene Angebote für die Kinder und Jugendlichen direkt, aber auch institutionell für Musikschulen zu entwickeln.

Wer sind die Dozentinnen und Dozenten des Projekts? Welchen medizinischen und musikalischen Hintergrund haben sie?
Die Dozentinnen und Dozenten kommen fast ausschließ­lich aus dem Freiburger Institut für Musikermedizin. Diese gemeinsame Einrichtung der Hochschule für Musik Freiburg und der medizinischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität unterstützt sowohl gesundes Musizieren als auch die gesundheitsfördernde Wirkung des Musizierens in den Bereichen Forschung, Lehre und Patientenversorgung. Die Dozenten sind also auf musikalischem und medizinischem Gebiet sehr erfahren.

Auf dem Gebiet der Körpertechniken gibt es ja ein stetig wachsendes Angebot – nicht nur für Musiker: sei es nun Alexandertechnik, Feldenkrais, Pilates, Dispokinesis, Franklin-Methode oder Spiraldynamik… Manche dieser Angebote sind wissenschaftlich durch­aus umstritten. Unterrichten Ihre Dozenten nach einer bestimmten Methode oder haben sie ein eigenes Programm zusammengestellt?
Einige der Dozenten sind in einer Methode sehr versiert, blicken aber stets „über den Tellerrand“ hinaus und beziehen auch andere Bewegungslehren mit ein. Anliegen der Mentorenausbildung ist es, den Teilnehmern Übungen und Handlungsempfehlungen für ihren Unterricht an die Hand zu geben. Daher erhalten sie zunächst Einblicke in verschiedene Methoden, um die eigene Körperwahrnehmung zu schulen. Aufgrund dieser Erfahrungen können sie dann Übungen oder Sequenzen für die jeweilige Unterrichtssituation besser auswählen. Die Teilnehmer werden also dazu befähigt, Elemente aus verschiedenen Methoden zu entnehmen und sie entsprechend anzuwenden.

Welche Bewegungslehren haben Sie konkret im Angebot?
Methoden, auf die näher eingegangen wird, sind unter anderem Feldenkrais und Alexandertechnik. Die Dozenten integrieren sie aber in ein Gesamtkonzept zur Vermittlung musikphysiologischer Grundlagen an der Musikschule.

Mir ist nur eine Musikschule bekannt, nämlich die Musikschule Reutlingen, an der es eine musikermedizinische Beratungsstelle gibt, bei der sich Schüler und Lehrkräfte der Musikschule kostenlos beraten lassen können. Kennen Sie weitere derartige Angebote bzw. haben Sie einen Überblick über die musikermedizinischen Angebote an deutschen Musikschulen?
Die Musikschulen, die derzeit an „Fit mit Musik! an der Musikschule“ teilnehmen, hatten zum Teil auch vorher schon Angebote zur Musikergesundheit. Einige haben z. B. Fortbildungen für ihre Lehrkräfte angeboten und auch Material für die Durchführung von Ausgleichsübungen wie Balance-Pads und Matten angeschafft. Richtige institutionalisierte Angebote gibt es leider selten. Diese Lücke soll unser Projekt schließen. Außerdem würden wir gern eine stärkere Brücke zwischen der Musikermedizin und den Musikschulen bauen. An den Musikhochschulen gibt es immer mehr musikermedizinische Institute. An fundierten Forschungsergebnissen fehlt es also in diesem Bereich nicht. Nur werden diese Erkenntnisse noch zu wenig an die Musikschulen, die ja maßgeblich die musikalische Ausbildung von Kindern und Jugendlichen gestalten, herangetragen. Zusammen mit dem Freiburger Institut für Musikermedizin, das maßgeblich an der Projekt­entwicklung beteiligt war, wollen wir nun eine bessere Vernetzung von musikermedizinischen Erkenntnissen und der praktischen Arbeit an Musikschulen erreichen.

Womöglich gilt es hierbei auch ganz konkrete Widerstände zu überwinden. Die musikermedizinische Beratung für Schüler an genannter Musikschule wurde etwa von einigen Lehrkräften zunächst als Angriff auf ihre Arbeit oder gar Infragestellung ihrer Qualifikation empfunden. Die Teilnehmer Ihres Projekts sind natürlich zunächst die am meisten Interessierten und Motivierten und könnten bei der Weitergabe an ihre Kollegen in der Musikschule durchaus ähnlich negative Erfahrungen machen. Wird dies in den Kursen berücksichtigt, werden die Mentoren konkret auch auf solche Situationen vorbereitet?
In der Mentorenausbildung gibt es das Modul „Prävention an Musikschulen“. Dort wird thematisiert, wie man einen Workshop vorbereitet und durchführt (die Mentoren sollen ihr Wissen ja an ihre Kollegen weitergeben), wie ein Aktionstag „Fit mit Musik“ aussehen könnte und wie man ein Präventionsangebot in der Praxis aufbaut. Neben diesen organisatorischen Aspekten werden auch Übungen zur Gesprächsführung auf dem Programm stehen. Damit werden die Mentoren auch auf kritische Nachfragen vorbereitet.
Ich denke, dass es wichtig ist, den Kollegen zu vermitteln, dass der Unterricht nicht automatisch „besser“ wird, wenn man ein paar Aufwärmübungen einbaut. Musizieren ist ohne Bewegung, ohne den körperlichen Einsatz schlichtweg nicht möglich. Daher müssen die natürlichen Funktionen des Körpers, seine Bedürfnisse hinsichtlich Haltung und Bewegung usw. im Musikschulunterricht berücksichtigt werden. Dies zeigt sich vor allem auch im Klang. Wenn ich entspannt musiziere, meine Gelenke „frei“ sind und ich weiß, wie ich mein Instrument am besten an meinen Körper anpassen kann, zeigt sich das in einem ausdrucksstärkeren Spiel. Den Körper aktiv in die musikalische Arbeit einzubeziehen heißt also auch, das Spiel für den Schüler nicht nur angenehmer zu machen, sondern auch die musikalische Leistung zu verbessern. Dies setzt natürlich eine qualifizierte Anleitung voraus – ein Wissen darüber, wie unser Körper aufgebaut ist und was bei den einzelnen Instrumentengruppen hinsichtlich Haltung etc. speziell zu beachten ist.

Zur Gesundheit gehört ja immer auch die psychische und seelische Gesundheit. Gerade im klassischen Zweierunterricht kann es in der Lehrer-Schüler-Beziehung zu Verletzungen kommen – bis hin zu sexuellen Übergriffen gegenüber Schülerinnen. Doch auch wenn man nicht den Extremfall im Auge hat, so ist die Arbeit mit dem Körper und am Körper der Schülerinnen und Schüler immer eine Gratwanderung, die von großer Achtsamkeit seitens der Lehrkraft geprägt sein sollte. Werden auch diese Punkte in Ihrer Mentorenausbildung thematisiert?
Prinzipiell gilt: Wenn es um Übungen geht, die mit Körperkontakt bzw. Anfassen verbunden sind, muss immer gefragt werden, ob das für die Schüler in Ordnung ist – auch bei jüngeren Kindern! Ziel soll ja sein, die Körperwahrnehmung zu verbessern, die Verbindung von Musik und Bewegung bewusst zu machen – und dies erfordert Einfühlungsvermögen. Im Modul „Mentale Beanspruchungen bei Musikern“ der Mentoren­ausbildung geht es um diese Aspekte. Die Teilnehmer beschäftigen sich aber auch mit dem sehr sensiblen Feld „Lampenfieber und Auftrittsangst“. Besonders in diesem Bereich müssen die Übungen ganz individuell auf den Schüler abgestimmt werden. Was für den einen hilfreich ist, kann für den anderen überfordernd sein. Wichtig ist in jedem Fall, Kritik „richtig“, also nicht verletzend äußern zu können sowie die Ursachen und Risikofaktoren von Lampenfieber zu kennen. Das wird in der Mentorenausbildung vermittelt.

Wie funktioniert die Zertifizierung zur „gesunden musikschule“ konkret? Wer überprüft qualitativ die Weitervermittlung durch die Mentoren an der Musikschule und die Nachhaltigkeit in der Umsetzung vor Ort? Gibt es dafür Zielvorgaben?
Die Musikschulen qualifizieren eine Lehrkraft in der Mentorenausbildung zum Ansprechpartner für Musiker­gesundheit – das ist der erste Schritt. Dann gibt der Mentor sein Wissen in einem oder mehreren Workshops an sein Kollegium weiter und organisiert einen Aktionstag zu „Fit mit Musik“. Dies überprüfen wir z. B. durch Teilnehmerlisten, Skripte, Workshopausschreibungen, Presse- und Fotomaterial. Wenn alle Punkte erfüllt sind, erhält die Musikschule das Zertifikat. Sie darf sich dann mit dem Logo „gesunde musikschule“ schmücken und dies auch nach außen transportieren. Die Auswertung der Mentorenausbildung sowie die wissenschaftliche Begleitung des Projekts wird vom Freiburger Institut für Musikermedizin übernommen. Um das Zertifikat „gesunde musikschule“ zu behalten, soll der Mentor einmal im Jahr eine Fortbildung in einem Bereich der Musikergesundheit besuchen. Außerdem organisiert er mindestens alle zwei Jahre einen Aktionstag und führt einen Workshop mit seinem Kollegium durch. Wenn der Mentor die Musikschule verlässt, muss sie innerhalb von zwei Jahren einen neuen Ansprechpartner qualifizieren. Damit garantieren wir die Standards einer „gesunden musikschule“.

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 1/2010.