Burkert, Luna / Carolin Heuser
Den Übergang gemeinsam gestalten
Von der Musikalischen Früherziehung in den Instrumentalunterricht
Die einen können es kaum erwarten, die anderen können sich nicht entscheiden. Doch so aufregend die Anschaffung der eigenen Flöte oder des Zubehörs für die E-Gitarre auch sein mag, für viele Kinder bedeutet der Übergang von der Musikalischen Früherziehung zum Musikunterricht eine enorme Herausforderung – besonders dann, wenn er mit einer neuen Lehrkraft einhergeht. Wie kann dieser Übergang begleitet werden? Wir regen ein Zusammenspiel von allen beteiligten Personen an.
Jean Piaget gilt als Pionier der Entwicklungspsychologie. Nach seinen Theorien organisieren und adaptieren Kinder ihre kognitiven und sozialen Fähigkeiten in Abhängigkeit von ihrem Lernumfeld. Um in neuen Lehr- und Lernkontexten zurechtzukommen, muss eine „Passung zwischen den eigenen Schemata und den Vorkommnissen der Umwelt“1 – ein sogenanntes Äquilibrium – erreicht werden. Es handelt sich um einen dynamischen Prozess, der zwischen dem Einordnen neuer Informationen in bereits bestehende Denkmuster (Assimilation) und der Anpassung bestehender Schemata an neue Informationen (Akkommodation) hin und her wechselt. Stößt ein Kind auf neue, unerwartete Erfahrungen, kann es zunächst zu einem Ungleichgewicht kommen, weil sein vorhandenes Wissen nicht ausreicht, um die neue Situation zu verstehen. Nun gilt es, das Äquilibrium wiederherzustellen, indem entweder assimiliert oder akkommodiert wird.
Im Gleichgewicht bleiben
In der Musikschule gibt es viele Situationen, die zunächst ein Ungleichgewicht bedeuten: Hat ein Kind beispielsweise bisher Beziehungskonstrukte nur aus dem familiären Umfeld kennengelernt, kann es eine Herausforderung sein, sich in einer größeren Gruppe von Kindern mit einer Bezugsperson wie einer Erzieherin oder Lehrkraft zurechtzufinden. Und wenn die gewohnten Eltern-Mitmach-Stunden enden und die Kinder nun mit der Lehrkraft unter sich sind, stellt auch dies eine Herausforderung dar – ganz zu schweigen, wenn die Musikalische Früherziehung endet und der Instrumentalunterricht mit einer neuen Lehrkraft beginnt.
Für die Musikschularbeit bedeutet dies, dass die Unterrichtsangebote auf den individuellen Entwicklungsstand der Lernenden abzustimmen sind. Es gilt, eine Balance zwischen Herausforderung und Unterstützung zu gewährleisten. Piaget formulierte es so: „Entwicklung ist das Ergebnis einer aktiven Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umwelt und seinen bisherigen Handlungs- und Denkmöglichkeiten.“2 Ein Äquilibrium lässt sich daher nicht nur im individuellen Lernprozess des Kindes beschreiben, sondern muss auch im Kontext der Verantwortung von Musikschulleitung, Lehrkräften und Familien betrachtet werden.
Ein weiteres von Piaget dargelegtes Phänomen ist der Egozentrismus, womit eine Denkweise bezeichnet wird, die typisch für Kinder im Alter von ca. zwei bis sieben Jahren ist. In diesem Alter neigen Kinder dazu, die Welt ausschließlich aus ihrer eigenen Perspektive zu sehen und zu verstehen, ohne die Perspektiven anderer Menschen zu berücksichtigen. Das Kind ist also noch nicht in der Lage, zwischen der eigenen und fremden Perspektive zu unterscheiden. Folglich gehen sie oft davon aus, dass andere Menschen das gleiche Wissen und die gleiche Sichtweise wie sie selbst haben.
Egozentrismus ist nicht zu verwechseln mit egoistischem Verhalten in einem moralischen Sinn. Mit dem Begriff wird eine kognitive Einschränkung beschrieben, die mit dem Entwicklungsstand zusammenhängt. Es handelt sich um einen normalen Teil der kindlichen Entwicklung, den es in der musikpädagogischen Arbeit zu bedenken gilt, denn Egozentrismus verschwindet nach Piaget nicht einfach automatisch, sondern wird schrittweise durch die kognitive und soziale Entwicklung, besonders durch soziale Interaktion, abgebaut.3 So sollten auch musikpädagogische Angebote Räume darstellen, in denen Kinder durch Interaktionen mit anderen erlernen, dass ihre Wahrnehmung nicht die einzig gültige ist und dass Kommunikation und Empathie eine Schlüsselrolle in zwischenmenschlichen Beziehungen spielen.
1 Pinquart, Martin/Schwarzer, Gudrun/Zimmermann, Peter: Entwicklungspsychologie – Kindes- und Jugendalter, Göttingen 22018, S. 87.
2 Poppensieker, Karin: „Die Entwicklung musikalischer Wahrnehmungsfähigkeit“, in: Musikpädagogik. Forschung und Lehre, Band 23, 1986, S. 51.
3 Kesselring, Thomas: Jean Piaget, München 21999, S. 95-98.
Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2025.