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Pempel, Nora

Den Wandel vorantreiben

Nachhaltigkeitsmanagement für Musikschulen und klimabewusste musikalische Bildung

Rubrik: Musikschule
erschienen in: üben & musizieren 2/2024 , Seite 40

Der Landesverband der Musikschulen in NRW hat im Sommer 2023 die Nachhaltigkeitserklärung für den Kulturbereich der vom Bundeswirtschaftsminis­terium geförderten Initiative Culture4Climate1 unterzeichnet. Damit hat sich der Landesverband zu den globalen Klima- und Nachhaltigkeitszielen bekannt und eine Grundlage geschaffen, Nachhaltigkeit, kulturelle Vielfalt und Klimaschutz für sich zu verankern und den Weg für Klimabewusstsein in den öffentlichen Musikschulen zu ebnen.

Nachhaltigkeit und Klimaschutz betrifft die ganze Gesellschaft und damit auch die Musikschulen, selbst wenn es auf den ersten Blick nicht als Kerngeschäft einer Musikschule erscheint. Das Arbeitsfeld „Nachhaltigkeit und Klimabewusstsein“ in Musikschulen zu etablieren, ist aufgrund der Dimension dieses vielschichtigen Feldes ein langfristiger Prozess, in dem sich nachhaltiges Handeln als Prinzip und „neue Normalität“ entwickeln muss. Dies gilt insbesondere dann, wenn Nachhaltigkeit nicht nur auf der ökologischen, sondern gleichzeitig auf der sozialen und ökonomischen Ebene betrachtet wird. Nachhaltiges Handeln bedeutet, Verantwortung zu übernehmen und Veränderungen herbeizuführen, eine gesellschaftliche Transformation und einen Paradigmenwechsel vom fossilen zum postfossilen Zeitalter.2
Nachhaltigkeit spielt für Musikschulen vor allem auf zwei Ebenen eine große Rolle. Zum einen auf der institutionellen Ebene, verbunden mit der Frage: Wie kann eine Musikschule als Institution nachhaltiger werden? Um diese Frage zu beantworten, ist es notwendig, ein sinnvolles und strukturiertes Nachhaltigkeitsmanagement aufzubauen. Konkret bedeutet dies, Handlungsfelder zu benennen und zu gruppieren und daraus in einem zweiten Schritt Maßnahmen abzuleiten, bevor es an die Umsetzung geht.
Zum anderen ist es für Musikschulen als Bildungs- und Begegnungsstätten gleichermaßen relevant, das Potenzial der Musik für eine künstlerisch-ästhetische Auseinandersetzung mit dem Klimawandel zu nutzen. Musikschulen können durch ihre künstlerischen Inhalte und ihr kulturelles Angebot kreative Impulse setzen und durch ihr Handeln wichtige Beiträge zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz leisten. Denn die Transformation zu einer nachhaltigeren, postfossilen Gesellschaft ist nicht nur eine technologische Herausforderung, sondern bedingt vor allem auch einen kulturellen Wandel.3

Definition von Nachhaltigkeit im Landesverband NRW

Nachhaltigkeit ist zu einem Leitbegriff gesellschaftlichen Wandels geworden, der ein Gleichgewicht zwischen Ressourcenverbrauch und Ressourcenerhalt anstrebt, und wird vom Bundesumweltministerium folgendermaßen beschrieben: „Wir sollen mit den begrenzten Ressourcen sorgsam umgehen und nicht auf Kosten der Menschen in anderen Regionen der Erde und auf Kosten zukünftiger Generationen leben. Nachhaltigkeit betrifft unsere Umwelt, alle Bereiche unseres Lebens und Wirtschaftens. Nachhaltiges Handeln ist daher eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe – national und international. Wir müssen unsere Erde auf Dauer für alle Menschen bewohnbar erhalten.“4
Grundlage für die Nachhaltigkeitsstrategie des Bundes ist die Agenda 2030 der Vereinten Nationen. Auf diesen „Zukunftsvertrag“ hat sich die Weltgemeinschaft 2015 verpflichtet. Er hat zum Ziel, allen Menschen ein Leben in Würde zu sichern. Dazu haben mehr als 190 Staaten 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung5 beschlossen, die bis 2030 erreicht werden sollen und in drei Dimensionen (sozial, wirtschaftlich, ökologisch) fünf „P“ umfassen:
– People: das Wohlergehen aller Menschen,
– Planet: den Schutz der Erde,
– Prosperity: nachhaltiger Wohlstand und Fortschritt,
– Peace: Frieden und
– Partnership: die Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den Ländern.
Im LVdM definieren wir Nachhaltigkeit in Anlehnung an die Agenda 2030 und den 17 Zielen mit ihren drei Dimensionen. Auch die kulturelle Bildung und dementsprechend die Musikschulen spielen für die Erreichung der Ziele bis zum Jahr 2030 eine wichtige Rolle, indem sie Freiraum zur künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Thema bieten und nachhaltiges Handeln in ihrem Betrieb verankern.

Anfänge des Arbeitsfeldes im Landesverband NRW

Generell haben sogenannte Querschnittsthemen von gesellschaftlicher Relevanz auch für die Arbeit im Musikschulbereich an Bedeutung gewonnen, beispielsweise Digitalisierung und Diversität. Im Rahmen des Projekts „Heimat: Musik“ beschäftigen wir uns seit Langem mit den Themen Flucht und Migration, Antidiskriminierung und Diversitätsbewusstsein. Dabei stößt man unweigerlich auf globale Ungerechtigkeiten, die durch die Klimakrise verstärkt wurden und werden.
Durch die Auseinandersetzung mit den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, die  auch ein Leben in Frieden und Gerechtigkeit für alle Menschen fordern, wurde das Thema Nachhaltigkeit im Projekt „Heimat: Musik“ wichtiger und geriet zunehmend in den Fokus von Musikschulen. Ein weiterer Schritt auf dem Weg war die Weiterbildung zur „Transformationsmanagerin nachhal­tige Kultur (IHK)“ des Aktionsnetzwerks Kultur und Medien,6 die ich als Mitarbeiterin im Landesverband der Musikschulen NRW im ersten Halbjahr 2023 absolvieren durfte. Dabei ging es vor allem um die Befähigung zur Begleitung der Transforma­tion in Richtung Nachhaltigkeit und um Kenntnisse in den Bereichen Klimabilanzierung, Zertifizierung, Umgang mit Widerständen und Nachhaltigkeitskommunikation.

Im Sommer 2023 unterzeichnete der Landesverband schließlich die Nachhaltigkeitserklärung der Initiative Culture4Climate.7 Damit hat sich der Verband verpflichtet, die Themen Nachhaltigkeit, kulturelle Vielfalt und Klimaschutz als Grundlage sowohl für sich selbst als auch in der Beratung der Musikschulen zu betrachten und so den Nachhaltigkeitsprozess zu starten.

Prozesse begleiten und gestalten

Als Verband wollen wir den Prozess an Mu­sikschulen aufbauen und begleiten, Nachhaltigkeitskonzepte entwickeln und diese in ein sinnvolles Nachhaltigkeitsmanagement überführen. Dabei ist es wichtig, Handlungsfelder zu beleuchten und daraus Maßnahmen abzuleiten. Begonnen haben wir damit auf unserer Mitgliederversammlung im November 2023 in einem Workshop mit Tabea Leukhardt, Leiterin des Instituts für Zukunftskultur, in dem wir uns mit den drei Handlungsfeldern „Programmatische Nachhaltigkeit und Kommunikation“, „Betriebliche Nachhaltigkeit“ und „Soziale Nachhaltigkeit“ auseinandergesetzt und Maßnahmen gesammelt haben.
Für die drei Handlungsfelder wurden jeweils mehrere Fragen beantwortet:
– Welche Maßnahmen gibt es bereits?
– Was könnte zusätzlich sein, ist aber noch nicht geplant?
– Wo sind „Quick Wins“?
– Was liegt außerhalb unseres Handlungsspielraums?
Als konkrete Maßnahmen wurden unter anderem gesammelt, dass vermehrt QR-Codes anstelle gedruckter Programmhefte verwendet werden, dass das Thema in die Lehr- und Lernmaterialen einfließt oder dass man Kooperationen mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit eingeht. Darüber hinaus wurden weitere Maßnahmen genannt wie die Reduzierung von Dienstreisen, vegetarisches bzw. veganes Catering und ein generell verstärktes Augenmerk auf die längere Nutzung von Gegenständen bzw. die Verwendung gebrauchter Gegenstände wie Musikinstrumente oder PC-Hardware. Im Feld „Soziale Nachhaltigkeit“ wurde der Wunsch geäußert, offene Überäume bzw. Silent Rooms zu integrieren, einen Eltern- und Schülerbeirat aufzubauen und regelmäßig an Fortbildungen – etwa zum Thema Alltagsrassismus – teilzunehmen.

Verantwortlichkeiten und Klimabilanzierung

Im nächsten Schritt im Entwicklungsprozess zu Nachhaltigkeit an Musikschulen ist es wichtig, Verantwortlichkeiten für die einzelnen Maßnahmen festzulegen. Daraus ergeben sich zwangsläufig weitere Punkte, die zu beachten sind – unter anderem:
– Welchen Status hat die Maßnahme bereits?
– Wie viel Budget steht für die Umsetzung zur Verfügung?
– Wie realistisch ist die Umsetzung überhaupt? Ist mit Widerständen zu rechnen?
Eine wichtige Komponente in diesem Prozess ist die Bilanzierung des CO2-Verbrauchs, um konkrete Werte zum tatsächlichen Verbrauch der Institution zu haben. Dazu kann beispielsweise der Rechner des Aktionsnetzwerks Nachhaltigkeit genutzt werden.8 Für die Klimabilanz wird ein internationaler Standard zur Treibhausgasemission genutzt – Greenhouse Gas Protocol (GHG Protocol)9 –, in dem folgende Bereiche bilanziert werden: Emissionen werden unterteilt in direkte Emissionen wie Scope 1 (z. B. Gas) und indirekte Emissionen wie Scope 2 (z. B. Strom) und Scope 3 (z. B. Mobilität, Wasserverbrauch, Abfall). Diese Status-Quo-Analyse zeigt die selbst verursachten Emissionen und dient als erste Datengrundlage. Sie dient bei regelmäßigen Wiederholungen zur Überprüfung, ob durch konkrete Maßnahmen der Verbrauch tatsächlich gesenkt werden konnte.
Parallel dazu sollten sich Musikschulen – auch wenn gesetzlich noch nicht gefordert10 – mit Berichterstattung über Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Ein guter Einstieg in die Nachhaltigkeitsberichterstattung ist beispielsweise der Deutsche Nachhaltigkeitskodex (DNK),11 weil er im Gegensatz zu anderen Reportingsystemen Nachhaltigkeit ganzheitlich betrachtet.

Bildung für nachhaltige Entwicklung

Die Angebote der musikalischen Bildung selbst zu nutzen, ist – neben dem Nachhaltigkeitsmanagement – ein weiterer wichtiger Baustein im gesamten Prozess. Denn Musikschulen sind auch Orte, an denen ein gesellschaftlicher Wandel vorangetrieben werden kann. Gerade weil hier vermehrt Kinder und Jugendliche anzutreffen sind, für die der Klimawandel hohe Priorität hat und die teilweise in Klimabewegungen aktiv sind.
Einen Ansatz für klimabewusste Bildung bietet BNE, Bildung für nachhaltige Entwicklung.12 Dabei steht im Vordergrund, dass BNE alle Menschen dazu in die Lage versetzen soll, die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Welt zu verstehen, um nachhaltige Entscheidungen treffen zu können.13 Es stehen verschiedene Fragen im Vordergrund, zum Beispiel:
– Wie wirken sich meine Entscheidungen auf Menschen nachfolgender Generationen aus?
– Welche Auswirkungen haben mein Konsumverhalten, die Wahl meines Fortbewegungsmittels und mein Energieverbrauch?
Das BNE-Portal bietet unter anderem die Möglichkeit, sich Anregungen zu holen oder pädagogische Konzepte für den eigenen Unterricht (zum Teil kostenlos) herunterzuladen, die auch im Unterricht an Musikschulen eingesetzt oder bearbeitet werden können.14 So gibt es beispielsweise Klima-Songs in der Literatur für Kinder- und Jugendchöre, die sich mit dem Klimawandel auseinandersetzen.

Verantwortung übernehmen

Das Potenzial der Musik gerade im pädagogischen Kontext zu nutzen, ist eine zentrale Aufgabe der Musikschulen im Transformationsprozess für mehr Klimabewusstsein. Sich auf ästhetisch-künstlerische Weise mit dem Klimawandel zu beschäftigen, schafft neue Möglichkeiten, sich eine veränderte, klimafreundlichere Welt vorzustellen und die Vorteile der Veränderung zu erkennen. Die Musikschule ist auch ein Ort für Reflexion und bietet Raum, sich mit dem Klimawandel jenseits von wissenschaftlichen Fakten emotional auseinanderzusetzen. Im Rahmen des Projekts „Heimat: Musik“ ist eine Musikschule aus NRW gerade dabei, ein Musiktheaterprojekt in die Wege zu leiten, das sich inhaltlich mit Nachhaltigkeit auseinandersetzt.
Angesichts der ökologischen und kulturellen Herausforderungen unserer Zeit muss es das Ziel unserer Gesellschaft sein, die Klimaziele zu erreichen. Die musikalische Bildung an (öffentlichen) Musikschulen kann durch klimabewusste Musikpädagogik neue Narrative für die Zukunft bilden sowie Handlungsmöglichkeiten und Gestaltungsprozesse aufzeigen.

1 siehe https://lvdm-nrw.de/arbeitsbereiche/nachhaltigkeit (Stand: 5.3.2024).
2 vgl. Sommer, Bernd/Welzer, Harald: Transformationsdesign. Wege in eine zukunftsfähige Moder­ne, München 2017.
3 vgl. Eusterbrock, Linus: „Music Educators For Future: Wie könnte eine klimabewusste Musikpädagogik aussehen?“, in: Diskussion Musikpäda­gogik, 97, Hamburg 2023, S. 45-57.
4 www.bmuv.de/themen/nachhaltigkeit/ueberblick-nachhaltigkeit (Stand: 9.1.2024).
5 vgl. https://17ziele.de (Stand: 9.1.2024).
6 https://aktionsnetzwerk-nachhaltigkeit.de/transformationsmanagement-kultur (Stand: 9.1.2024).
7 https://culture4climate.de/deklaration/#nachhaltigkeitsdeklaration (Stand: 9.1.2024).
8 vgl. https://aktionsnetzwerk-nachhaltigkeit.de/klimabilanzen (Stand: 8.1.2024).
9 vgl. https://aktionsnetzwerk-nachhaltigkeit.de/projekte/co2rechner-fur-die-kultur (Stand: 8.1.2024).
10 Bisher sind laut Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) große Unternehmen zu einer Nachhaltigkeitsberichterstattung ver­pflichtet, die mehr als 250 Mitarbeitende und eine Bilanzsumme von 25 Millionen Euro haben.
11 www.deutscher-nachhaltigkeitskodex.de (Stand: 8.1.2024).
12 www.bne-portal.de (Stand: 9.1.2024).
13 vgl. https://www.bne-portal.de/bne/de/einstieg/was-ist-bne/was-ist-bne_node.html (Stand: 9.1.2024).
14 siehe www.bne-portal.de/SiteGlobals/Forms/ bne/lernmaterialien/suche_formular.html?nn=160594 (Stand: 5.3.2024).

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