Stange, Christoph / Stefan Zöllner-Dressler (Hg.)

Denkkulturen in der Musiklehrer*innen­bildung

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Waxmann, Münster 2021
erschienen in: üben & musizieren 3/2022 , Seite 59

Schulmusikausbildung erfolgt traditionellerweise in zwei Phasen: dem Hochschulstudium und dem Referendariat, denen unterschiedliche Funktionen zugewiesen wurden. Das hat schon immer dazu geführt, deren Verhältnis zueinander zu reflektieren und neu zu bestimmen. Wenn die Bundesfachgruppe Musikpädagogik diese Tradition aufgreift und mit einer Tagung die phasenübergreifende Verknüpfung von Studium und Referendariat in der Schulmusikausbildung unter dem Aspekt der Kohärenz neu diskutiert, folgt sie dieser Tradition unter der Perspektive gegenwärtiger Herausforderungen und Bildungsstrukturen. Dieser Band enthält die Ergebnisse der Arbeitsgruppen und Foren mit Beiträgen zu unterschied­lichen Musik- und Denkkulturen in der Schulmusikausbildung.
Den Band eröffnen zwei Grundsatztexte, die die Spannungsfelder der (Aus)Bildung markieren: Fragen zum Stellenwert der Kunst und des Künstlerischen (Stefan Zöllner-Dressler) und zu den Elementen bzw. zum Elementaren (Jürgen Oberschmidt). Darauf folgen Beiträge zu ausgewählten Lernbereichen (Musiktheater, Musizieren im digitalen Zeitalter, „barrierefreies“, das heißt voraussetzungsloses Musizieren und ein Gespräch zu Vermittlungsaspekten allgemein).
Der dritte Abschnitt beleuchtet Fragen der Leistungsbewertung in der Lehrerbildung und in der Fachpraxis (am Beispiel der PH Freiburg) – ein Bereich, den der Rollenwechsel vom Studierenden zum Lehrenden besonders markant hervortreten lässt. Den umfangreichsten vierten Teil bilden theoretische Texte, die verschiedenen Konzepten von Reflexion und der Entwicklung von Rollenbildern, dem Inhalt musikalischen Denkens und künst­lerischen Forschens gewidmet sind und die Anlage eines digitalen Portfolios als phasenübergreifendes Instrument vorstellen. Die angefügten Schluss-Statements spiegeln die disparate Vielschichtigkeit der Wahrnehmungen, Sichtweisen und Interessen der an der zweiphasigen Ausbildung Beteiligten.
Der Band vermittelt viele anregende und bedenkenswerte Vorschläge und reflektiert unterschiedliche Erfahrungen, ohne jedoch die Schwierigkeiten der Kohärenz der beiden Ausbildungsphasen aufzulösen. Ob sie sich tatsächlich verschiedenen Denkkulturen verdanken, mag dahingestellt bleiben; man müsste sie dazu klar benennen. Dazu wäre es aber nötig, stärker auf das zu fokussieren, worum es in der Schulmusikausbildung auch gehen müsste: auf den musikbezogenen Lernvorgang heutiger Schülerinnen und Schüler. Welche Aspekte des lerntheoretischen Zugriffs stehen in den beiden Phasen im Vordergrund? Ob dazu Selbstreflexionskompetenz, Meta-Reflexion, Supervi­sion, Perspektivwechsel oder die Klärung von Überzeugungsfragen weiterhelfen, ist zumindest fraglich. So bleibt noch viel Stoff für weitere Tagungen, die das Bemühen um eine adäquate Schulmusikausbildung immer wieder neu beleben werden.
Wilfried Gruhn