Honing, Henkjan
Der Affe schlägt den Takt
Musikalität bei Tier und Mensch
Die biologischen Grundlagen der Musikalität beschäftigen WissenschaftlerInnen seit Jahrzehnten. Charles Darwins Vermutung von 1871, dass die musikalische Wahrnehmung in der gemeinsamen Entwicklung der neuronalen Systeme von Mensch und Tier begründet sei, wird häufig als Ausgangsposition genutzt.
Diese These wählt auch der niederländische Musikwissenschaftler Henkjan Honing als Basis. Sein Fokus richtet sich auf die Bausteine der Musikalität: Tonhöhenunterscheidung, Melodiegedächtnis, Gehör, Rhythmusrezeption, Taktgefühl und motorische Fähigkeiten. Forscherteams auf der ganzen Welt haben sich die Untersuchung der musikalischen Wahrnehmung verschiedener Tierarten und ihre Verwandtschaft mit menschlichen Qualitäten zur Aufgabe gemacht, der Autor schaut ihnen dabei über die Schulter. Wir begleiten ihn auf dieser Reise und erhalten Einblick in die konstruktive Zusammenarbeit der interdisziplinären Teams mit multiperspektivischen Forschungsansätzen.
Ebenso breit ist auch das Spektrum der Modelltiere, das sich aus Primaten, Meeressäugern, Singvögeln und Fischen zusammensetzt.
Akustische Wahrnehmung wird erst dann zum Musikhören, wenn die klingende Information als Musik verstanden wird. Nervensysteme nehmen bestimmte Reize unterschiedlich auf und reagieren darauf in anderer Weise. Während Menschen abstrakter hören und sich mehr auf die musikalische Gesamtheit konzentrieren, hören die meisten Tiere weitaus sensibler und differenzierter. Der menschliche Hörgenuss beruht zu einem nicht unerheblichen Teil auf den melodischen und harmonischen Beziehungen von Tönen. Wohingegen die Präzision der Wahrnehmung von Dynamik, Klangfarbe und Timing bei Singvögeln zehnfach so hoch ist.
Viele Gesänge und Rufe haben soziale Funktionen, die dem Teilen von Futter, der Warnung vor anderen Tieren oder der Kontaktpflege dienen. Musikalität ist für manche Tierarten und auch für Menschen eine Möglichkeit, ihre potenziellen Partner zu beeindrucken. Der soziale Aspekt ist bedeutsam für die Intensität von Bewegung und Imitationsverhalten. Menschen, Schimpansen und Singvögel zeigen in Gesellschaft eine besonders hohe Bewegungsfreude.
Menschliche Babys besitzen bereits ein ausgeprägtes Taktgefühl – im Gegensatz zu erwachsenen Rhesusaffen. Interessanterweise gibt es keinen Unterschied im Taktgefühl von Musikern und Nichtmusikern, die musikalische Expertise hat keinen Einfluss auf die Wahrnehmung des Gleichmaßes.
Der Autor beschreibt seine Gedanken und Erlebnisse praxisnah und pointiert. Er lässt nichts aus und berichtet offen über die Höhen und Tiefen des Wissenschaftlerlebens. Die Musikalität ist ein höchst spannendes interdisziplinäres Forschungsfeld mit vielen offenen Fragen.
Juliane E. Bally