Busch, Barbara
Der Deutsche Musikrat in Zeiten des Fachkräftemangels
Gespräch mit Antje Valentin, Generalsekretärin des Deutschen Musikrats
Liebe Antje, seit März 2024 bist du Generalsekretärin des Deutschen Musikrats. Mit welcher Vision bist du – als ehemalige Klavierpädagogin, Musikschulleiterin und langjährige Direktorin der Landesmusikakademie Nordrhein-Westfalen – für den Deutschen Musikrat aktiv?
Musik ist für die gesamte Gesellschaft von größter Bedeutung! Meine Vision ist es, das Bewusstsein hierfür nachhaltig zu stärken – in der Politik und der Zivilgesellschaft ebenso wie in den Medien. Es sollte (wieder) selbstverständlich sein, dass alle Menschen in Familie, Kita, Schule, Ausbildung und auch in der weiteren Lebensspanne musikalische Bildung erfahren können. Daher gehört auch eine auskömmliche Finanzierung von Musikschulen und freien Szenen zu meiner Vision. Große Chancen sehe ich auch im stetig wachsenden Feld der Community Music mit ihrer gesellschaftlich transformierenden Wirkung.
Der Deutsche Musikrat, der 1953 gegründet wurde, nimmt die Interessen der vielfältigen musikbezogenen Berufsfelder und Verbände gemeinsam in den Blick. Wie kann dabei auch mit widersprüchlichen Interessen umgegangen werden?
In unseren „Think Tanks“, den acht Bundesfachausschüssen, werden drängende Themen des Musiklebens gemeinsam, aber aus unterschiedlichen Perspektiven diskutiert. Hier entstehen Stellungnahmen zu aktuellen Herausforderungen, zum Beispiel das vor Kurzem aktualisierte Positionspapier zu „Musik und Künstlicher Intelligenz“. Das breite inhaltliche Spektrum an Mitgliedsverbänden führt natürlich bisweilen zu widersprüchlichen Interessen innerhalb des Deutschen Musikrats, aktuell zum Beispiel in Bezug auf das Herrenberg-Urteil: Während die öffentlich geförderten Musikschulen dieses als Chance sehen, ihre Träger dadurch zur Festanstellung von Honorarkräften zu bewegen, möchten und müssen viele freie Musikschulen weiter mit Honorarkräften arbeiten. Hier moderieren wir den Diskurs und suchen gemeinsam nach sinnvollen Lösungen. Gemeinsames Ziel ist es aber natürlich, dass alle, die im Feld der außerschulischen Musikpädagogik tätig sind, für ihre wertvolle Arbeit auch auskömmlich entlohnt werden. Da haben wir – auch bei der Festanstellung – noch einen weiten Weg vor uns.
Was kann der Deutsche Musikrat heute realistischerweise zur Förderung musikalischer Bildung leisten?
Wir können durch Studien wie beispielsweise die zu Musikunterricht an der Grundschule, die wir gemeinsam mit der Konferenz der Landesmusikräte und der Bertelsmann Stiftung herausgegeben haben, auf Notstände aufmerksam machen. Auch die Präsentation der MULEM-EX-Studie (kurz für „Musiklehrkräfte-Mangel – eine explorative Studie“) Anfang Juni 2024 konnten wir als Deutscher Musikrat gut platzieren und dadurch einiges an öffentlicher Aufmerksamkeit generieren, in den Medien ebenso wie auf politischer Ebene. Die Studie wurde durch die Rektorenkonferenz der Musikhochschulen finanziert und von der Bundesfachgruppe Musikpädagogik getragen und beleuchtet die Gründe für das nachlassende Interesse von Jugendlichen an Schulmusik-Studiengängen. Übrigens hörte ich von Professor Wolfgang Lessing, dass auch im Bereich Instrumental- und Vokalpädagogik eine ähnliche Studie geplant ist, die 2025 veröffentlicht werden soll.
Der Fachkräftemangel ist in aller Munde. Musiklehrende fehlen sowohl an allgemeinbildenden Schulen als auch an Musikschulen. Wie wird von Seiten des Deutschen Musikrats auf diese Situation reagiert?
Wir sind dabei, auf allen Kanälen für die bedrohte Situation der musikalischen Bildung zu sensibilisieren. Damit tragen wir zu einem wachsenden Bewusstsein für die Problematik auch in der Politik bei: So lädt zum Beispiel Kulturstaatsministerin Claudia Roth auf unsere gemeinsam mit der Föderation musikpädagogischer Verbände gestellte Anfrage hin zu einem „Runden Tisch“ ein, bei dem es sowohl um außerschulische wie auch die schulische musikalische Bildung gehen wird. Außerdem werden wir durch eine Social-Media-Kampagne ab Herbst 2024 junge Menschen ermutigen, musikpädagogische Studiengänge zu ergreifen. Und hier wird der Vorteil eines großen Dachverbands deutlich: Auch die Amateurmusik, die musikwirtschaftlich orientierten Verbände, der Bereich der Ensembles und Orchester sowie insbesondere die Landesmusikräte unterstützen diese Aktion. Denn die Einsicht ist zum Glück inzwischen überall da: Musikalische Bildung ist ein wichtiges Fundament für alle Bereiche des Musiklebens.
Welche der aktuellen Projekte und Förderprogramme des Deutschen Musikrats sind dir mit Blick auf die aktuellen Herausforderungen des Musiklebens persönlich ein besonderes Anliegen?
Neben der Sicherung und Förderung der musikalischen Bildung auf allen Ebenen ist es mir ein großes Anliegen, dass unsere Nachwuchsförderprojekte wie „Jugend musiziert“, die von der Projektgesellschaft des Deutschen Musikrats in Bonn verantwortet werden, auch künftig ausreichend finanziert werden. Die Stagnation der Finanzierung der letzten Jahre ist bedrohlich. Stefan Piendl, mein Geschäftsführerkollege in Bonn, und ich arbeiten gemeinsam an einer Besserung. Außerdem liegt mir die Bundesinitiative „Musik und Demenz“1 am Herzen, deren Arbeit wir gemeinsam mit der Musiktherapeutischen Gesellschaft und der Gesellschaft für Musikgeragogik sowie dem Bundesmusikverband Chor & Orchester vorantreiben. Das Ziel ist es, Menschen mit Demenz bundesweit soziale und kulturelle Teilhabe zu ermöglichen.
1 Die Bundesinitiative „Musik und Demenz“ (BIMuD) engagiert sich dafür, in ganz Deutschland bedarfsgerechte musiktherapeutische, musikgeragogische und musikalisch-künstlerische Angebote für Menschen mit demenziellen Veränderungen nachhaltig sicherzustellen; www.musik-und-demenz.de (Stand: 7.11.2024).
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