Erben, Eva

Der erste Klavierunterricht

Frieda Loebensteins Lehrwerk als Anregung für einen gelungenen Start im Anfangsunterricht Klavier

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 1/2016 , Seite 41

Frieda Loebenstein – wer ist das? So oder ähnlich fällt häufig die Reaktion aus, wenn der Name der nahezu in Vergessenheit geratenen Musikpädagogin ins Spiel kommt. Selbst in Fachkreisen weiß kaum jemand, dass Frieda Loebenstein (1888-1968) durch ihre Tätigkeit als Dozentin für Klaviermethodik am Seminar für Musikerziehung an der Hochschule für Musik in Berlin von 1926 bis 1933 das Reformwerk Leo Kestenbergs maßgeblich unterstützt und mitgestaltet hat.

Der erste Klavierunterricht erschien 1927 mit dem vielversprechenden Untertitel „Ein Lehrgang zur Erschließung des Musikalischen im Anfangsklavierunterricht“.1 Das aus Schülerheft und Lehrerkommentar bestehende Unterrichtswerk ist, wie die Autorin betont, aus der Praxis heraus entstanden und für die Arbeit mit sieben- bis zehnjährigen Kindern bestimmt.2
Ausgewählte Textpassagen, die allesamt der „Ausgabe A für Lehrer“ entnommen sind, sollen zum einen aufmerksam machen auf die Musikpädagogin Frieda Loebenstein, deren klavierpädagogischer Ansatz es aufgrund sei­ner innovativ anmutenden Forderungen zur Unterrichtsgestaltung und -methodik wert ist, heute wieder neu entdeckt zu werden. Zum anderen sollen sie zum Nachdenken anregen über Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit der Einstieg ins Klavierspiel vom Gelingen geprägt ist. Zum dritten laden sie ein, die eigene Standortbestimmung als InstrumentalpädagogIn neu zu überdenken.

Freude am Lernen und Lehren

„Das Kind, das den Weg zur ersten Klavierstunde antritt, sieht sich vor den Toren einer Welt, in der alles Singen und Klingen ist. Hier wird es nun eintreten und wie die andern seine Lieder und Stückchen spielen. Alles in ihm ist glückliche Erwartung. Es ist des Musiklehrers heiligste Aufgabe, diese Erwartung zu erfüllen. Jede Musikstunde muß so erwartet werden. Jede Musikstunde soll ein Fest sein für Lehrer und Kinder. Eine Feierstunde, zu der sie kommen, in der sie musizieren, spielen und im Musizieren und Spielen in das Wesen der Kunst immer tiefer eindringen.“3

Um diesen Zustand tiefen Glücksempfindens beim Klavieranfänger, der Klavieranfängerin über lange Zeit aufrechtzuerhalten, braucht es InstrumentalpädagogInnen, die – mit den Worten des Journalisten und Filmemachers Reinhard Kahl gesprochen – ins Gelingen verliebt sind,4 die begeistert bei der Sache sind und mit Hingabe unterrichten. Dann erlebt auch das Kind die Klavierstunde als etwas Wertvolles, das Freude macht und Glücks­momente verheißt. Es spürt das Aufgehen im eigenen Tun, den Zustand also, den wir heute gemeinhin als Flow bezeichnen.5 Erkenntnisse aus der Neurobiologie bestätigen, dass derartige Erfahrungen Kinder stark und lebenstüchtig machen. Der bekannte Hirnforscher Gerald Hüther formuliert es treffend: „Kinder, die so etwas erleben dürfen, sind glücklich, nicht weil sie eine besondere Leistung erbracht haben und dafür Lob und Anerkennung bekommen, sondern weil sie sich selbst in ihrer eigenen Lust am Tätig- und Lebendigsein erfahren.“6 Dies gilt natürlich in gleicher Weise für den Pädagogen und die Pädagogin.

1 Frieda Loebenstein: Der erste Klavierunterricht. Ein Lehrgang zur Erschließung des Musikalischen im Anfangsklavierunterricht, Ausgabe A für Lehrer, Ausgabe B Notenheft für Schüler, Berlin-Lichterfelde 1927.
2 Frieda Loebenstein: Der erste Klavierunterricht. Ein Lehrgang zur Erschließung des Musikalischen im Anfangsklavierunterricht, Ausgabe A für Lehrer, Berlin-Lichterfelde 21928, S. 4 und 24.
3 ebd., S. 5.
4 Reinhard Kahl: Individualisierung – das Geheimnis guter Schulen, Archiv der Zukunft, Hamburg 2011, S. 113.
5 Eine Reihe von methodischen Impulsen, die eine derartige Unterrichtsatmosphäre entstehen und erleben lassen, findet sich in: Ulrich Mahlert: Wege zum Musizieren. Methoden im Instrumental- und Vokalunterricht, Mainz 2011, S. 271-281.
6 Herbert Renz-Pölster/Gerald Hüther: Wie Kinder heute wachsen. Natur als Entwicklungsraum. Ein neuer Blick auf das kindliche Lernen, Fühlen und Denken, Weinheim 2013, S. 72.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 1/2016.