Gade, Niels Wilhelm

Der Kinder Christabend

Kleine Klavierstücke op. 36, hg. von Hans Musch

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2008
erschienen in: üben & musizieren 2/2009 , Seite 58

Unser kindliches Weihnachten schwindet, je mehr die Größe des häuslichen Weihnachtsbaums mit der eigenen Körpergröße nicht mehr Schritt hält und das staunende Emporblicken nicht mehr möglich ist. Man mag das durchaus vermissen und Wege suchen, sich ein Stück der Kindlichkeit zu erhalten. Vorliegender Band wäre dazu für KlavierspielerInnen ein vorzüglicher Weg in vergangene Befindlichkeiten. „Journal für das Pianoforte“ heißt die Reihe „vergessener Klaviermusik“, in der Hans Musch als Heft 15 jetzt Weihnachtsmusik von Nils Wilhelm Gade herausgegeben hat. Die fünf Klavierstücke erschienen zuerst 1859 unter dem Titel Börnenes Juul in Kopenhagen; 1860 folgte in Leipzig die deutsche Ausgabe. Hans Musch schildert in seinem ausführlichen Vorwort (in dem irrtümlich auch das Jahr 1856 als Jahr der deutschen Erstausgabe erscheint) die Entwicklung des Weihnachtsfests vom rein kirchlichen Fest hin zum bürgerlichen Weihnachten des 19. Jahrhunderts.
Bereits die durchaus bibliophile Aufmachung des schmalen Bandes mit dem Gemälde einer den Heiligen Abend auch mit Klaviermusik begehenden Gründerzeitfamilie berichtet von diesem bürgerlichen Weihnachten. Auch das Titelblatt der deutschen Erstausgabe (auch hier in der Bildunterschrift 1856 als Erscheinungsdatum) ist als Faksimile abgebildet und als „Bebilderung“ der Gade’schen Klavierstücke beschrieben.
Die fünf Stücke sind im Sinne Franzpeter Goebels, des Begründers der Reihe, Musik für den „Klavierliebhaber“ und sicher auch für den für Raritäten zu begeisternden Klavierschüler, wenn sein Lehrer oder seine Lehrerin des alljährlichen schumannschen Knecht Ruprecht überdrüssig ist und etwas anderes im gleichen Schwierigkeitsgrad sucht. Das erste Stück lässt sich gut programmatisch verstehen: Nach dem festlichen, vieltönig-erwartungsvollen Glockengeläut gibt es den einstimmig vom „Vorsänger“ eingeleiteten Weihnachtschoral, übrigens auf einen Text Hans Christian Andersens.
Dann geht es im geschwinden Marsch – die Spielzeugtrompeten tönen schon jetzt – zur Bescherung, mit einem innehaltenden Intermezzo. Der „Ringeltanz der Knaben“ ist gehörig wild, dementsprechend ausgestattet mit allerlei Allegro vivace-Laufwerk und Dreiklangsgirlanden. Die „kleinen Mädchen“ tanzen im gesitteteren Allegro grazioso, das abschließende „Gut’ Nacht“ ist von entzückender Unruhe: mendelssohnsche Virtuosität für den Liebhaber, der eigentlich am liebsten prima vista spielt. Gades Weihnachtsstücke sind den vergleichbaren Stücken Regers, Liszts oder auch den „winterlichen“ Sätzen aus Tschaikowskys „Jahreszeiten“ vergleichbar und ebenbürtig.
Günter Matysiak