Röbke, Peter

Der musikalische Ernstfall

Was ist guter Instrumentalunterricht vor dem Hintergrund des JeKi-Projekts? – Teil I

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 3/2010 , Seite 46

„Jeder ernstzunehmende Musikpäda­goge weiß, dass man Geige nicht in einer Großgruppe lernen kann. Es ist doch allgemein bekannt, dass man erst gemeinsam musizieren kann, wenn die Grundlagen des Instrumen­talspiels gelegt sind.“1 – Die Diskus­sion um das Projekt „Jedem Kind ein Instrument“ reißt nicht ab. Wir veröffentlichen den ersten Teil eines Vortrags, den Peter Röbke im Rahmen von JeKi-Tagungen in NRW und Hessen gehalten hat. Den zweiten Teil finden Sie in Ausgabe 4/2010.

Wenn man die Diskussionen um „Jedem Kind ein Instrument“ verfolgt, entsteht der Eindruck, die Antwort auf die Frage, ob bei JeKi guter Instrumentalunterricht möglich sei, falle in jedem Fall negativ aus. Und eigentlich müsse die Frage eher lauten: „Wie kann man als verantwortungsvoller Instrumentalpäda­goge bei JeKi überleben?“ Denn die Ausgangsbedingungen scheinen derart schlecht, dass die Instrumentalpädagogik quasi mit dem Rücken zur Wand steht: Unterricht in großen und nicht aufgrund irgendeiner Eignungsfeststellung gebildeten Gruppen, Konfrontation auch mit bildungsfernen Elternhäusern – und das heißt: eine wohl kaum zu bewältigende Heterogenität in Bezug auf Motivation, Talent, Interesse…
Aber darauf könnte ja mit einer differenzierten Methodik des Gruppenunterrichts geantwortet werden und man sollte meinen, diese sei längst ausgearbeitet. Wir wissen doch etwa längst, dass ein Lehrer im komplexeren Sozialgefüge des Gruppenunterrichts anders agieren muss als im Einzelunterricht, die Grundsätze des pädagogischen Handelns im Gruppenunterricht sind sattsam vertraut: Omnipräsenz, Mobilisierung und Differenzierung. Anders gesagt: Der Lehrer soll seine Augen überall, quasi auch im Hinterkopf haben, er soll alle Gruppenmitglieder ständig in das Geschehen einbeziehen und er soll den unterschiedlichen Bedürfnissen, Lerntempi und Leistungsniveaus durch differenzierte Aufgabenstellung Rechnung tragen. Und wer überprüfen will, ob er wirklich guten Gruppenunterricht erteilt, könnte sich z. B. an die Checkliste halten, die Anselm Ernst in seiner jüngsten Publikation Was ist guter Instrumentalunterricht? entwickelt hat.2
Also warum hat die Diskussion um den Inst­rumentalunterricht bei JeKi überhaupt so eine schneidende Schärfe? Einmal abgesehen davon, dass didaktisch zu fordern wäre, verschiedene Unterrichtsformen, die sich methodischen Überlegungen und didaktischen Begründungen verdanken, zu kombinieren,3 und dass dies bei JeKi offenbar nur schwer möglich ist: So absolut logisch es eigentlich ist, das Unterrichten in der Gruppe völlig leidenschaftslos als eine mögliche und hin und wieder sogar zwingend gebotene Unterrichts­form zu qualifizieren – in psycho-logischer Hinsicht ist es eine grandiose Illusion, sich diesem Thema ohne Emotion nähern zu wollen! Das Thema „Gruppenunterricht“ ist immer noch ein Reizthema und aus verschiedenen Gründen stark belastet.

1 Leserbrief einer Musikschullehrerin aus Hessen, in: neue musikzeitung 3/2010, S. 10.
2 Anselm Ernst: Was ist guter Instrumentalunterricht? Beispiele und Anregungen, Aarau 2007.
3 So fordert etwa der österreichische Rahmenlehrplan für die Musikschule (siehe www.komu.at): „Methodische Flexibilität bezieht sich auch auf Unterrichtsformen – diese sind weder grundsätzlich gut oder schlecht, sondern lediglich danach zu beurteilen, ob sie in Bezug auf die definierten Intentionen und die anstehenden Inhalte zielführend sind: Die Vorteile des Einzelunterrichts (etwa an einer speziellen Bewegungsblockade oder an einer individuellen Werkinterpretation arbeiten zu können) sind die Nachteile des Gruppenunterrichts, die Vorteile des Gruppenunterrichts (etwa der sehr frühe Beginn mit dem Ensemblespiel oder der Reiz gemeinsamen Rhythmus- und Gehörtrainings) sind die Nachteile des Einzelunterrichts – daher ist die Kombination der Unterrichtsformen anzustreben.“

Lesen Sie weiter in Ausgabe 3/2010.