Dahlhaus, Bernd

Der Musiklehrerberuf als Passion?!

Selbstmanagement für Instrumentalpädagogen

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 6/2013 , musikschule )) DIREKT, Seite 07

„Als freiberuflicher Geigenlehrer brauche ich aus finanziellen Gründen dringend mehr Schüler, aber ich kann mich halt nicht so gut verkaufen. Und ich bin das ewige Argumentieren-Müssen, wie toll und wich­tig das Musizieren doch ist, und das Anbaggern der sogenannten Kunden wirklich leid.“ – „Als Musikschulhonorarkraft müsste ich mich dringend um meine Buchführung und meine Altersvorsorge kümmern, aber dieser ganze Verwaltungskram liegt mir nicht. Außerdem frisst das so viel Zeit und es sind ja eh alles so geringe Beträge, da schaue ich lieber erst gar nicht hin.“ – „Als festangestellte Querflötenlehrerin ma­chen mich die Arbeitsbedingungen in der Musikschule richtig krank. ,Kein Geld, keine Zeit‘, so heißt es, dafür immer mehr Aufgaben, schwierige Unterrichtsbedingungen und irgendwie so ein gedrücktes Betriebsklima. Wie soll ich da als Vorbild glaubwürdig andere Menschen für das Musizieren begeistern?“

Unser Beruf als Passus duriusculus

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht kennen Sie diese oder ähnliche Gedanken. Ich selbst habe sie in meiner nun fast 30-jährigen Unterrichtstätigkeit als freiberuflicher Klavierpädagoge und Honorarkraft an einer Musikschule schon so manches Mal gedacht. Und um diese Probleme zu lösen, habe ich im Lauf der Zeit viele gutgemeinte Ratschläge von KollegInnen („Du musst einfach bei Facebook sein, mit den richtigen Kontakten läuft es wie von alleine“) und so manche Tipps aus den einschlägigen Ratgebern („Vermeiden Sie, dass Wichtiges dringend wird, planen Sie langfristig“) ausprobiert. In der Regel handelte es sich bei diesen Tipps um Handlungsanregungen, also um etwas, das ich tun sollte, um eine Verbesserung zu erzielen. Einige Tipps davon haben sich in meiner Berufspraxis bewährt und den gewünschten Effekt gezeigt, viele andere Tipps aber haben nicht funktioniert und manchmal sogar das Problem verschärft.

Von außen nach innen – von innen nach außen

Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden solche Tipps, Ideen und Konzepte im weitesten Sinne mit dem Begriff „Selbstmanagement“ bezeichnet. Die heute weit verbreitete zugrunde liegende Überzeugung geht davon aus, dass Menschen in der modernen Welt durch das richtige Tun ihre (beruflichen) Chancen verbessern, (Karriere-) Ziele leichter erreichen und „erfolgreich“ sein können. Der amerika­nische Personalberater Stephen Covey bezeichnet diese Haltung in seinem 1989 erschienenen Buch Die 7 Wege zur Effektivität – mittlerweile ein Klassiker der Selbstmanagement-Literatur – als „Imageethik“.1 Diese „bot Techniken und Patentlösungen (zur Einflussnahme, [für] Machtstrategien, [zu] Kommunikationsfertigkeiten und positive[n] Einstellungen)“. Die „Sozialtechniken“ dienten „als Schmiermittel für die Prozesse des menschlichen Miteinanders… Manchmal half dies sogar, aber die grundlegenden und chronischen Probleme schmerzten weiter und brachen immer wieder auf.“ Erfolg im Beruf und im Privatleben wurde an der Außenwirkung bemessen, am öffentlichen Image.
Der Imageethik stellt Covey die Charakterethik gegenüber, die seinen Untersuchungen zufolge die Grundlage des Schrift­tums der vorangegangenen 150 Jahre bildete. Die „Charakterethik lehrte, dass es grundlegendere Prinzipien für ein effektives Leben gibt, und dass Menschen nur dann wirklichen Erfolg oder anhaltendes Glück finden können, wenn sie diese Prinzipien lernen und in ihr Wesen integrieren. Diese Prinzipien sind Richtlinien bzw. natürliche Gesetze für das Betragen von Men­schen, die bewiesen haben, dass sie von anhaltendem, beständigem Wert sind.“
Die Charakterethik geht von der Person aus, sie beruht auf einer Art Selbstvergewisserung, beispielsweise indem ich mich frage: Was bedeutet überhaupt Erfolg für mich? Was macht mich aus, was ist mein besonderes Profil? Was ist mir wichtig und wovon bin ich überzeugt? Wer bin ich und wie will ich sein?
Um das persönliche Potenzial entfalten und wirklich nachhaltig erfolgreich sein zu können, sind beide Bereiche – Image- und Charakterethik – notwendig. Dabei ist es sinnvoll, die Elemente der Imageethik wie beispielsweise (Selbst-) Marketingstrategien, Kommunikations-, Organisations- und Mentaltechniken auf das Fundament der Charakterethik zu stellen. Nur wenn ich möglichst klar mit mir selbst bin, wenn ich weiß, „wie ich ticke“, finde ich leichter heraus, welche Strategie, Technik und Maßnahme gut zu mir passt und die Erfolgswahrscheinlichkeit erhöht.
Die Suche vieler Menschen nach schlichten, klaren Handlungsanweisungen – „Erfolgsrezepten“ im weitesten Sinne – ist natürlich verständlich. Es scheint leichter, gerade in unangenehmen oder belastenden Situationen vermeintlich bewährte Methoden und Maßnahmen zu kopieren oder zu adaptieren statt zunächst innezuhalten. Hinzu kommt, dass die „Ratgeberindust­rie“ die Methoden- und Maßnahmen­fokussierung vieler Menschen in ökonomisch einträglicher Weise begünstigt und damit leider eher zur Verfestigung der Imageethik beiträgt. Dies lässt sich an vielen Schlagworten und Phänomenen beobachten:
– So etwas wie „Zeitmanagement“ gibt es nicht. Die Zeit kann man nicht managen, sondern nur sich selbst. Stattdessen geht es im Kern eher darum, nach welchen Kriterien und Prinzipien ich Entscheidungen treffe für die Auswahl und die zeitliche Aufeinanderfolge und Organisation meiner Handlungen.
– Die in der Ratgeberliteratur häufig verwendete Formulierung „Work-Life-Balance“ setzt eine Unterscheidung, nach der Beruf und Privatleben eines Ausgleichs bedürfen. Der Bereich „Arbeit“ wird hierbei in der Regel als energiezehrend oder stressig konnotiert und muss durch das Privatleben ausgeglichen werden („Freizeiterholung“). Demgegenüber sollte und kann Arbeit auch lebenswert sein und – genauso wie das Privatleben – Energie, Zufriedenheit und Freude geben.
– Die Schwemme von Print- und Onlineratgebern suggeriert, dass es (nur) eine Frage des Wissens sei, wie ein gutes, erfolgreiches Leben zu führen ist. Dazu offenbart der „ultimative“ Ratgeber die entscheidenden Insiderinformationen. Das rationale, „technisch-methodische“ Wissen wird höher bewertet als das implizite innere Wissen, auch benannt als innere Stimme oder als Bauchgefühl, das mir schon sagt, was gut ist für mich. Hierauf (wieder mehr) zu achten, Zutrauen zum eigenen inneren Wissen zu haben und sich selbst auch zu erlauben, danach zu handeln, macht unabhängig(er) von vermeintlichem Expertenwissen und stärkt die Selbstsicherheit sowie das Gefühl von Selbstwirksamkeit.
– Viele Ratgeber kultivieren implizit einen Machbarkeitswahn. Auch wenn gewisse Bedingungen und Einschränkungen genannt werden, wird eine grundsätzliche Erfolgsmachbarkeit selten in Frage gestellt. Erreiche ich meine Ziele nicht wie geplant bzw. nicht schnell genug, habe ich eben nicht die richtige Strategie oder Technik angewendet und/oder es nicht intensiv genug gewollt oder umgesetzt. Dies führt dann möglicherweise zu noch mehr Stress, Frust und innerer Selbstabwertung.

Selbstmanagement für ­Instrumentallehrer

Der Beruf des Instrumentalpädagogen besteht aus vielen verschiedenen Einzeltätigkeiten: unterrichten, organisieren, kommunizieren, (sich) präsentieren etc. Was bedeutet „Selbstmanagement“ für diese Tätigkeiten? Was ist das übergeordnete Gemeinsame eines guten Selbstmanagements: pädagogisch-didaktisch im (Gruppen-) Unterricht, kommunikativ im Elterngespräch, im Konfliktgespräch mit der Musikschulleitung als auch bei der Unterrichtsvorbereitung, beim Erstellen der Steuererklärung, beim Gestalten eines Wer­beflyers oder der eigenen Internetseite?
Ausgehend von den obigen Überlegungen möchte ich für ein Verständnis von Selbstmanagement werben, das sich auszeichnet durch die Fähigkeit, sich selbst, das eigene Fühlen, Denken und Handeln von außen beobachten und reflektieren zu können – in angenehmen, positiven, „erfolgreichen“ Situationen wie auch in unangenehmen, negativen und belastenden Situationen.
Dazu kommt die Fähigkeit, sich aufgrund der Selbstbeobachtungen selbst regulieren zu können. Dabei kann ich lernen, meine als hilfreich erkannten Fühl-, Denk- und Handlungsmuster bewusst zu nutzen und meine als einschränkend erkannten Muster zu verändern – wenn ich mich selbstbestimmt dazu entschließe. Angestrebtes Ziel ist es, mich möglichst oft als kompetent, als energiereich, handlungsfähig und selbstwirksam zu erleben. Kompetenzerleben bedeutet, Mittel und Wege zu kennen, zu finden und zu üben, das, was ich kann, auf eine angenehme und verantwortliche Art in die Welt zu bringen. Mit anderen Worten: Eine instrumentalpädagogische Berufskunde geht nach diesem Verständnis Hand in Hand mit einer persönlichen „Selbstkunde“.
Und nur in dieser Verbindung kann nach meiner Erfahrung langfristig und nach­haltig professionelles Handeln im instru­mentalpädagogischen Beruf gelingen. Nur dann ist es möglich, dass ein Instrumentalpädagoge sein künstlerisch-pädagogisches Ethos verwirklichen und seinen Lebensstandard halten oder vielleicht sogar verbessern kann. Dass er erfolgreich, zufrieden und gesund seinen Beruf ausüben und sich etwas leisten, sogar gönnen kann.
Gutes Selbstmanagement ist die Voraussetzung dafür, die Begeisterung für Musik leben zu können. Wenn wir selbst so unsere Potenziale entfalten, sind wir die besten Vorbilder für unsere SchülerInnen.

Ausblick

In den kommenden Ausgaben möchte ich Ihnen Ideen und Impulse zu einzelnen Aspekten des Selbstmanagements vorstellen. Dabei möchte ich Ihnen neben den Literatur- und Onlinetipps zu Methoden und Techniken, denen Sie je nach Grad Ihres Interesses selbst nachgehen können, in erster Linie Sichtweisen anbieten, die sich ergeben, wenn man wie oben beschrieben Imageethik mit Charakterethik verbindet. Hierzu werden dann beispielsweise Themen angesprochen wie: Was mache ich, wenn es trotzdem nicht funktioniert? Was ist die Quintessenz aus verschiedenen Kommunikationsmodellen? Welche übergeordneten Konzepte, Modelle, Prinzipien gibt es, die ich in verschiedenen Berufs­zusammenhängen anwenden kann? Und schließlich: In welcher Weise hängt mein Unterrichtsstil mit meinem Selbstmanagementstil zusammen?
Über Ihre Anregungen, Themenwünsche und Erfahrungsberichte hierzu freue ich mich.

1 Die folgenden Zitate stammen aus Stephen R. Covey: Die 7 Wege zur Effektivität. Prinzipien für persönlichen und beruflichen Erfolg, 11., vollständig überarbeitete Auflage, Offenbach am Main 1992, S. 14 ff.