Rapp, Maria

Der rote Faden meines Lebens

Hochschule der Künste Zürich: Präsentation des individuellen Profils als neues Prüfungsformat

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 6/2023 , Online-Beitrag 20

Paula setzt sich an den Flügel und gibt anhand von Beispielen Einblick in vier verschiedene Improvisationsansätze, die sie teils in ihrem ersten Klavierunterricht, teils im Studium kennengelernt und selbst weiterentwickelt hat. Für ihre Schülerinnen und Schüler hat sie Bausteine kreiert, die diese zum Improvisieren oder Komponieren verwenden. Von ihrer pädagogischen Tätigkeit ausgehend beschreibt sie anschließend, wie ihre beruflichen Perspektiven sich während des Studiums in Richtung Journalismus verändert haben. Sie wird nach dem Studium die Chance nutzen, bei einem angesehenen deutschen Verlagshaus eine Praktikantenstelle anzutreten. Ob ihre professionelle Zukunft etwas mit Musik zu tun haben wird, lässt sie noch offen.
Severin stellt sich in zwei Teilen vor, zuerst Severin „auf dem Papier“, dann Severin „im wirklichen Leben“, in dem er uns hinter die Kulissen seiner Ausbildungsstationen mitnimmt. Nach den negativen Erfahrungen, die er im Instrumentalunterricht gemacht hat, erstaunt es, dass er sich nicht von der Musik abgewandt hat. Doch waren es wiederum Lehrpersonen, die ihn ermutigt haben, den Weg weiter zu gehen. So hat er während seines Studiums gezielt angefangen, sein Profil zu entwickeln: Er hat sich mit Lampenfieber auseinandergesetzt, hat angefangen, Traversflöte zu lernen, spielt u. a. in einem Renaissance Consort, unterrichtet privat Schülerinnen und Schüler und kreiert performative Projekte. Dabei sind Flexibilität, Fairness und Großzügigkeit für ihn als Künstler und Pädagoge die fundamentalen Werte.
Lin erzählt anhand einer PowerPoint Präsentation eindrücklich ihren Weg von ihrer „Wettkampferziehung“ in China hin zur Künstlerin und Pädagogin, die gelernt hat, Negatives in Positives umzuwandeln. Vierzehn Jahre Studium in drei Sprachen in China und Europa haben ihre Persönlichkeit geprägt und ihre Überzeugung geformt, dass Wohlbefinden und Freude am Musizieren die wichtigsten Voraussetzungen zum Lernen sind. Sie möchte gerne in verschiedenen Formationen und stilistisch vielseitig konzertieren. Beim Unterrichten wird sie ihre Vision verfolgen, ihre eigene Lehrmethode zu verwirklichen.
Die drei Beispiele sind Ausschnitte von der „Präsentation des individuellen Profils“, die Instrumental- und Vokalpädagogik-Studierende der Zürcher Hochschule der Künste kurz vor ihrem Diplomsemester absolvieren. Ziel ist, über die eigenen künstlerischen und pädagogischen Tätigkeiten zu reflektieren und zu beschreiben, wie diese sich wechselseitig beeinflussen. Die Studierenden erzählen, wie sie im Rahmen des Studiums innerhalb und außerhalb der Hochschule ihr persönliches Profil entwickelt haben. Dabei werden manchmal auch spannende Querbezüge zu außermusikalischen Beschäftigungen wie z. B. Sport hergestellt.
In Form einer 20-minütigen mündlichen Präsentation bekommt die Jury einen Einblick in die künstlerisch-pädagogischen Aktivitäten und einen Ausblick auf berufliche Visionen für die Zeit nach dem Studium. Die Präsentationsform ist nicht festgelegt, sie soll der Person entsprechen, also authentisch sein. Eine kurze musikalische Visitenkarte ist möglich, auf dem Haupt- oder Nebeninstrument, mit einer Kammermusikgruppe oder einer Band. Auch Playback-Versionen mit selbst eingespielten Klavierbegleitungen werden dargeboten. Von der frei gesprochenen Präsentation ohne jegliche Hilfsmittel über kreative, z. B. gereimte oder gesungene Darbietungen bis hin zur aufwendigen PowerPoint-Präsentation mit Videosequenzen von Konzert- und/oder Unterrichtssituationen – die Formen sind so individuell wie die Studierenden.
Im Idealfall weiß die Jury nach Präsentation und Kolloquium, wo die Person momentan künstlerisch und pädagogisch steht, wie sie dorthin gekommen ist, welche Schwerpunkte sie hat und was ihre Zukunftspläne sind.
Seitdem diese Form der Standortbestimmung und Selbstreflexion eingeführt wurde, gibt es viele positive Rückmeldungen: Die Studierenden schätzen, dass sie im geschützten Rahmen üben können, sich zu präsentieren, und sind dankbar um das Feedback, das sie erhalten. Die Jurymitglieder kommen bereichert, berührt und begeistert aus diesen Darbietungen und haben ein ganzheitlicheres Bild von den Studierenden.
Wenn wir die Hinweise, die wir dort zur Ausbildung und zu den Berufsvorstellungen der Studierenden erhalten, ernst nehmen, ist es noch dazu ein wertvoller Beitrag zur Entwicklung des Curriculums.