Wüstehube, Bianka

Der Unterricht als Spiel-Raum

Das Spielen im Instrumentalunterricht als Qualitätsmerkmal – Teil II

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 6/2013 , Seite 42

“Lernst du noch oder spielst du schon?” hatten wir in der vergan­genen Ausgabe im ersten Teil von Bianka Wüstehubes Beitrag gefragt. Dort wurde beschrieben, wie in einer Unterrichtsstunde durch eine Insze­nierung Räume zum Spielen und Musizieren entstehen können. Doch wozu für Spielerei Zeit investieren, wenn die Inhalte und Ziele von instrumentalem Gruppenunterricht auch ohne Umwege erreicht werden können?

In einem seiner Stuttgarter Vorträge für angehende PädagogInnen sagte Rudolf Steiner: „Ins Künstlerische muss alle Methodik getaucht werden. Das Erziehen und Unterrichten muss zu einer wirklichen Kunst werden. Das Wissen darf auch da nur zugrunde liegen.“1 Was bedeutet dies im instrumentalpädagogischen Zusammenhang? Wir wollen untersuchen, welche zusätzlichen Erfahrungen für die Kinder möglich sind, wenn die Unterrichtsstunde durch eine dramaturgische Perspektive erweitert und, wie Steiner es nennt, zu einer „wirklichen Kunst“ wird.
Durch eine Inszenierung, ein Spiel – wie die Schiffsreise (vgl. Teil I in Ausgabe 5/2013) – tut sich eine weitere bedeutende Dimension auf. Denn auf dieser Reise übernehmen die Kinder eine Rolle in einem Spiel. Sie treten in dieser Rolle in einen musikalischen Spielraum hinein, sie sind quasi nicht mehr von dieser Welt. Der musikalisch verzauberte Spielraum ermöglicht ihnen, multisensorische Erfahrungen zu machen und kreativ tätig zu sein.
Dieter Baake schreibt in seinem Buch Die 6-12Jährigen zum Thema Kreativität: „Ein besonders wichtiger Faktor, der Kreativität eher behindert, ist die Trennung von Arbeit und Spiel, also gerade das, von dem wir meinen, das Kind solle es lernen. So sind wir spätestens beim Schulkind irritiert, wenn es versucht, seine Entdeckungen in spielerischer Weise zu machen. Wir fürchten dann, dass es dem ,Ernst des Lebens‘ nicht angemessen begegnen wird. Aber gerade die Spielsitua­tion hat Eigenschaften, die Kreativität gleichsam zu sich selbst kommen lässt.“2 (Ich ergänze zur Kreativität das künstlerische Tun.)
Das Spiel ist hier nicht als Vorbereitung auf den Ernst des Lebens, auch nicht als Spielerei gemeint. Es soll nichts spielerisch verpackt werden, sondern das Spiel soll als Erfahrungsspielraum mit Eigenwert erlebt werden. „Es verlangt eine eigene Art von ,Sachlichkeit‘ und ein ,Ernstnehmen‘ von einem selbst“, so formuliert es der bedeutende Spielforscher Hans Scheuerl.3

Phänomene des Spiels

Baacke beschreibt die Phänomene des Spiels mit Imagination, Verwandlung, emotionale Beteiligung und Störanfälligkeit. Im Folgenden wird die Schiffsreise in Bezug auf diese genannten Eigenschaften für das Spiel untersucht.

Imagination
Baacke schreibt: „Der Spielraum, obgleich in den sozial definierten Räumen funktionaler Zwecke, verwandelt sich in einen Bereich, in dem nur noch gilt, was die Spieler und Spielerinnen miteinander treiben – dies ist eine erhebliche Vorstellungsleistung.“4 In der beschriebenen Gruppenstunde steigen die Kinder in ein angedeutetes Schiff. In diesem Fall wird ein Seil zu einem Schiff, das bei hohem Wellengang schwankt; der Raum zu einer Insel, auf der es bestimmte Regeln gibt; ein Musikstück zur Waffe gegen Piraten. Die Kinder imaginieren selbst den Spielraum. Solche Vorstellungsleistungen brauchen Musiker und Musikerinnen ständig beim Musizieren, und daher arbeiten Instrumentallehrende ja auch gerne mit sprachlichen Bildern.

1 http://anthroposophie.byu.edu/vortraege/294.pdf, S. 6 (Stand: 11.7.2013).
2 Dieter Baacke: Die 6-12 Jährigen. Einführung in die Probleme des Kindesalters, Weinheim 1984, S. 147.
3 zit. in Peter Röbke: Vom Handwerk zur Kunst, Mainz 2000, S. 319.
4 Baacke, S. 147.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 6/2013.