Hadji, Nazfar / Andrea Welte
Die dritte Hand
Ein Projekt zu zeitgenössischer Klaviermusik mit zwölf SpielerInnen
Am Klavier ist man immer einsam: Muss das sein? Zwölf PianistInnen zugleich an einem Flügel: Kann das sein? “Die dritte Hand” zeigt eine kreative Möglichkeit, die “Einzelhaft am Klavier” (Grete Wehmeyer) zu durchbrechen, indem mehrere Personen an einem Flügel bzw. um einen Flügel herum gemeinsam musizieren.
Nazfar Hadji konzipierte und realisierte an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover ein instrumentalpädagogisches Projekt mit Jugendlichen und Studierenden zu zeitgenössischer Klaviermusik. Ihr Projekt „Die dritte Hand und Sonatina Cinetica von André Hajdu“ errang einen ersten Preis beim Hochschulwettbewerb Musikpädagogik 2013 der deutschen Hochschulrektorenkonferenz und wurde in der Kategorie „Best Practice: Partizipatives Konzert“ für den junge ohren preis 2013 nominiert.
Der israelische Komponist ungarischer Abstammung André Hajdu (geb. 1932) studierte bei Zoltán Kodály in Budapest sowie bei Darius Milhaud und Olivier Messiaen in Paris. Seit 1966 lebt er als Ethnologe, Komponist, Musiker, Improvisator und Lehrer in Israel. Gideon Lewensohn, einer seiner Kompositionsschüler in Jerusalem und inzwischen selbst Professor für Komposition, bezeichnet ihn als „eine Art Béla Bartók der chassidischen Musik“, da er unermüdlich chassidische Melodien sammelt und in seinen Werken verarbeitet.1 Bemerkenswert ist zudem Hajdus ausgeprägtes pädagogisches Interesse. Er engagiert sich sehr für ein innovatives, experimentelles Musiklernen und komponierte viele pädagogisch motivierte Werke, insbesondere für Klavier.2
Sein 2001 entstandenes Klavierwerk Die dritte Hand („12 Stücke für Handkreuzung“) umfasst zwölf Solostücke, die einzeln oder hintereinander gespielt werden können und speziell zum Training der Handkreuzung entwickelt wurden. Hajdu selbst schreibt: „The pieces may be played separately but the whole series or a large choice is preferable. The order written indicates the chronology of their composition. They can be played in this order but other orders are also possible.“3 Die kurzen, klanglich vielfältigen Stücke unterschiedlichen Schwierigkeitsgrades sind hervorragend geeignet, Neugier auf zeitgenössische Musik zu wecken. Durch die abwechslungsreichen Rhythmen wird ein präzises Rhythmusgefühl gefordert und gefördert. Einige der Stücke enthalten außerdem improvisatorische Teile. Als Einleitung oder Finale für seine Komposition Die dritte Hand komponierte Hajdu die Sonatina Cinetica.4 Die Besonderheit des Werks besteht zunächst in den Bewegungsaspekten, aber auch darin, dass es für zwölf SpielerInnen konzipiert wurde, die an nur einem Konzertflügel gemeinsam ein Stück zur Aufführung bringen.5
Die Sonatina endet aleatorisch nach folgenden Regeln: Alle spielen im Stehen, außer zwei SpielerInnen, die an den beiden äußeren Enden des Klaviers sitzen. Jeder hat ein kleines Repertoire an Motiven (persönliche „Signale“) erarbeitet, die er von Zeit zu Zeit zu platzieren versucht. Am Anfang der Coda sollen nur einige wenige zu hören sein; mit der Zeit entsteht dann jedoch ein „Wettstreit bzw. Kampf“, der sich immer mehr steigert, je mehr Personen spielen. Diese Konzeption eröffnet die Möglichkeit, eine neue Spielästhetik und ein lebendiges Gruppenerlebnis auf der Bühne zu schaffen: Die SpielerInnen bewegen sich um das Klavier herum und spielen gleichzeitig oder nacheinander.
1 vgl. www.nigun.info/haidu.html
2 Zu nennen sind hier z. B. sein Concerto for 100 fingers bzw. Concerto for 10 little pianists and grand orchestra (Israel Music Institute 1978), das am 29. Januar 2011 im Gewandhaus Leipzig seine deutsche Erstaufführung erlebte; die 1975 entstandene Einführung in das Klavierspiel The Milky Way (Die Milchstraße, 4 Bände, Sikorski 1996-1998); The Art of Piano Playing: 32 Pieces for the Young Artist (2 Bände, Or-Tav 1987); Book of Challenges. The Player as a partner (3 Bände, Israel Music Institute 1991-1999), vgl. www.andrehajdu.com/work-list/ piano-works.html
3 André Hajdu: Die dritte Hand. 12 Stücke für Handkreuzung, Privatdruck 2001, S. 2.
4 André Hajdu: Sonatina Cinetica, handschriftlich, 2001. Sonatina Cinetica kann auch als selbstständiges Werk gespielt werden.
5 Wird das Stück von weniger als zwölf Personen gespielt, übernimmt jede mehrere Rollen; drei SpielerInnen müssen mindestens mitwirken.
Lesen Sie weiter in Ausgabe 5/2014.