Spiekermann, Reinhild

Die Hälfte gehört immer dem König

Wie Berufsbild und Berufsbewusstsein von Instrumental­lehrkräften gestärkt werden können

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 6/2010 , Seite 08

Wie viel benötigt man eigentlich zum Leben? Wie viel muss man verdienen, um sich und vielleicht auch eine Familie ernähren zu können? Mit diesen Fragen beschäf­tigen sich Studierende im Bereich der Instru­mental- und Ge­sangspädagogik leider viel zu selten. Das Musiklehrer­netzwerk „MuLeFi.de“, entstanden aus einem Berufskunde-Seminar an der Detmolder Musikhoch­schule, möchte ein neues Standesbewusst­sein unter Instrumentallehrkräften etablieren und bietet die Chance eines Netzwerks für qualitativ hochwertigen Unterricht.

„Neben einem Wald kam ihnen ein Mann entgegen. ,Ich bin ein Beamter des Königs‘, sagte er. ,Und wie man gehört hat, habt ihr Geld. Die Hälfte von allem Geld gehört immer dem König. Das ist Gesetz. Dafür schützt der König euch vor dem Räuber Hablitzel und sorgt sich um euch in der Not.‘ Sie mussten die Hälfte abgeben und der Mann lief schnell einmal um den Wald herum und kam ihnen von vorn wieder entgegen. ,Ah, wir kennen uns‘, sagte er freundlich. ,Ihr habt Geld, wie wir schon wissen. Und die Hälfte vom Geld gehört immer dem König, genauso lautet das Gesetz. Dafür schützt er euch vor dem Räuber Hablitzel und so weiter.‘“1

Janoschs berühmte Protagonisten Tiger und Bär wirken auf mich in dieser Situation wie zwei junge, angehende Instrumentallehrer, die sich auf den Weg machen, die weite Welt – ihr Berufsfeld – zu erkunden. Auch wenn ­Tiger und Bär in dieser Geschichte ursprünglich ausziehen, um einen Schatz zu suchen und um schließlich festzustellen, dass man nicht dem vordergründigen Reichtum nachjagen solle (insofern sind die Situationen nicht ganz vergleichbar), machen sie doch in dieser Szene eine wichtige, auf unseren Bereich übertragbare Erfahrung: Die Hälfte von ihrem Geld scheint einem anderen zu gehören! Für den Berufsanfänger eine schwerwiegende Erkenntnis. Die Hälfte vom verdienten Geld gehört nicht ihm, sondern dem Staat, den sozialen Sicherungssystemen, den Versicherun­­­­­gen. Salopp formuliert: Man muss das Doppelte verdienen, um die Hälfte zu haben.
Was während des instrumentalpädagogischen Studiums vordergründig ein unschlagbarer Vorteil war, droht jetzt zum Problem zu werden. Der Studierende erteilt häufig schon weit vor Abschluss seiner Ausbildung Unterricht, er macht genau das, was er im späteren Berufsleben auch machen wird. Und er bekommt schon Geld dafür. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass das Problem nicht neu ist. Der Musiktheoretiker Johann Mattheson schreibt über instrumentalpädagogische Anfänger: „Die meisten gehen bey ihren Schülern in die Schule, und machen es wie die jungen unerfahrnen Aertzte, die, zum Versuch, ein paar Hundert Krancke in die Grube schicken, und sich dabey üben: auch noch dazu tüchtig bezahlen lassen.“2 Heute fährt der angehende Arzt (Jurist, Betriebswirt…) Taxi, um sein Studium zu finanzieren, die angehende Instrumentallehrerin jedoch unterrichtet. Sie verfügt also unter Umständen über recht ordentliche Nebeneinkünfte, was sie ab dem Tag nach ihrem Hochschulabschluss vor folgende Alternative stellt: Entweder sie verdoppelt bei gleicher Stundenzahl ihr Honorar oder sie verdoppelt bei gleichem Honorar ihre Stundenzahl. Oder?

Berufskunde an der Hochschule Detmold

Wenn alles so einfach wäre, würde man in der Ausbildung zum Instrumentalpädagogen bzw. zur -pädagogin diese Fragestellungen übergehen können. Das Gegenteil ist der Fall: Das Berufsfeld „Instrumentallehrer/in“ ist hochkomplex, Berufsbild und Berufsbewusstsein nicht minder. Zum Pflichtangebot aller instrumentalpädagogischen Studienrichtungen der Hochschule für Musik Detmold gehört deshalb schon seit etlichen Jahren ein einsemestriges, doppelstündiges Seminar Berufskunde, in dem grundlegende Informationen über den späteren Beruf vorgestellt und Zusammenhänge erarbeitet werden. Hierzu gehört zunächst der Arbeitsbereich öffentliche Musikschule: Struktur und Or­ganisation des Musikschulwesens, Grund­züge des Tarifvertrags im öffentlichen Dienst, Dienstvereinbarungen, Ferienüberhangsrege­lungen, Arbeitsplatzbeschreibungen sowie unterschiedliche Vertragsgestaltungen (auch für so genannte „freie Mitarbeiter“) sind nur einige Stichworte. Ergänzt wird dieses Themenfeld durch Informationen zu den Strukturen von Privatmusikschulen. Hinsichtlich der Perspektive einer selbstständigen Tätigkeit lernen die Studierenden berufsspezifische Management- und Marketingfragen kennen. Sie üben, ein persönliches Produktprofil zu entwerfen, beschäftigen sich mit angemessener Kundenwerbung in verschiedenen Medien und denken über ihre Selbstorganisation nach. Grundzüge der sie betreffenden Steuer-, Vertrags- und Versicherungsbereiche (Stichwort: Künstlersozialkasse) werden häu­fig als „harte Nüsse“ empfunden, gehören jedoch zum verpflichtenden Inhalt.

1 Janosch: Komm, wir finden einen Schatz, Weinheim 251996, o. S.
2 Johann Mattheson: Kleine General-Baß-Schule, Hamburg 1735, S. 49 ff., zit. nach Michael Roske: „Umrisse einer Sozialgeschichte der Instrumentalpädagogik“, in: Christoph Richter (Hg.): Instrumental- und Vokalpäda­gogik 1: Grundlagen (= Handbuch der Musikpädagogik, Bd. 2), Kassel 1993, S. 158-196.

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