Strack, Sandra Simone

Die Klavieretüde im 20. Jahrhundert

Virtuose "Fingerübung" für den Interpreten oder Kompo­nisten? – Analysen ausgewählter Beispiele

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Tectum, Marburg 2013
erschienen in: üben & musizieren 3/2014 , Seite 53

In ihrer Dissertation geht die Autorin zunächst kurz auf die musikalische Gattung als Klassifika­tionssystem ein. Sodann sucht sie die Gattung Etüde zu definieren und gibt einen historischen Überblick über die Klavieretüde in ihren verschiedenen Erscheinungsformen. Es folgt eine Beschäftigung mit dem Phänomen Virtuosität in seinen geschicht­lichen Ausprägungen sowie mit dem sich wandelnden Leistungsspektrum des Virtuosen.
Die Autorin erkennt, dass im 20. Jahrhundert die Etüde über die Vermittlung von spieltechnischen Neuerungen hinaus „auf experimentelle kompositionstechnische Studien ausgeweitet“ wird. Dem Rechnung tragend entwirft sie eine Reihe von Kriterien für die Analyse von Etüden insbesondere des 20. Jahrhunderts. Den Hauptteil des Buchs bilden analytische Untersuchungen von insgesamt 13 Klavieretüden von Skrjabin, Ives, Bartók, Messiaen, Wyschnegradsky, Cage, Kagel und Ligeti. Die ausgewählten Etüden werden zunächst individuell beschrieben und gewürdigt, sodann sucht die Autorin das Etüdenhafte und die jeweilige Art der Virtuosität mithilfe eines „Merkmal-Katalogs“ zu bestimmen.
In einem abschließenden umfangreichen „Fazit“ (S. 281-307)  sichtet Strack die besprochenen Etüden nach drei Aspekten und deren Untergliederungen: „Die Etüde“ (Form, Harmonik, Rhythmus, Themen), „Das Etüdenhafte“ (Klangdichte, Motive, Spielfiguren, Ausnutzen des Tonraums, Brillante Klänge, Akkorde, größere Zusammenhänge, spielerischer Charakter) sowie „Virtuosität“ (Besonderheiten und Neue­rungen, technische Schwierigkeit und Artistik, physische Schwierigkeiten, kompositorische Seite der Virtuosität).
In ihrer Erörterung der einzelnen Etüden gelingen der Autorin viele interessante Detailbeobachtungen, die die spezifische Virtuosität der betreffenden Werke verdeutlichen. So gewinnt man aufschlussreiche Einblicke in die Entwicklung der Etüdenkomposition im 20. Jahrhundert.
Unbefriedigend bleibt, dass der für die Gattung Etüde zentrale Begriff „Technik“ nicht gründlich reflektiert und bestimmt wird. Das zeigt sich dann, wenn Strack „Technik“ und „Ausdruck“ polarisiert (z. B. wenn „den technisch dominierten Teilen“ Partien gegenübergestellt werden, in denen „der Ausdruck im Sinne einer expressiven Stimmung im Zentrum steht“). Tatsächlich erfordert auch die Wiedergabe expressiver Strukturen „Technik“ und übt ein der Musik adäquates technisches Vermögen.
Zu monieren ist an vielen Stellen die sprachliche Darstellung. Verquere und unklare Formulierungen begegnen zuhauf. Zudem reiht die Autorin besonders zu Beginn fortwährend Bezugnahmen auf diverse Autoren, ohne das Ausgesagte angemessen zu reflektieren. Dabei werden oft unvermittelt Texte aus verschiedenen Epochen aufeinander bezogen, wodurch mitunter ein bizarres Stimmengewirr entsteht.
Ulrich Mahlert