© www.shutterstock.com_PintoArt

Feiner, Emmanuel

Die Lehrkraft als YouTube-Star?

Mediatheken mit Video-Tutorials bieten großes Potenzial für Musikschulen und Lehrpersonal

Rubrik: Digital
erschienen in: üben & musizieren 5/2021 , Seite 34

Spätestens seit der Covid-19-Pandemie reüssieren instrumentalpädagogische Video-Tutorials auf Plattformen wie YouTube im großen Stil. Das wirft die Frage auf, ob wir InstrumentalpädagogInnen nun auch zu YouTubern werden müssen …

„Hallo und herzlich willkommen zu diesem Video!“, „Hallo Leute, heute zeige ich euch…“. Diese und ähnliche Begrüßungsfloskeln sind hinlänglich bekannt und begegnen uns im Internet meist auf der Suche nach Backrezepten, neuen Ernährungstrends, atemberaubenden Lifehacks oder… „5 Tipps, wie du ohne Noten Gitarre spielen kannst“.
Tutorials auf YouTube zum Erlernen neuer Übungen oder Stücke, egal aus welchem Bereich, sind kaum noch wegzudenken. YouTube, das sich seit Jahren zum Video-Pendant der Suchmaschine Google entwickelt, bietet mittlerweile massenhaft erfolgreiche Videos mit Erläuterungen zum Verständnis von musiktheoretischen Begriffen, mit der Demonstration instrumentenspezifischer Abläufe wie zum Beispiel spezieller Fingersätze bei Streich- oder Tasteninstrumenten, bis hin zum Erlernen einzelner Stücke anhand von grafisch abgebildeten Tonfolgen in Form von bunt beleuchteten Klaviertasten. Wie erfolgreiche YouTuber zeigen, können grundsätzlich fast alle Bereiche der Instrumentalmusik in irgendeiner Form mit Videos abgebildet werden.
Die Frage, die man sich berechtigterweise stellen kann: Muss ich als Instrumentallehrkraft nun auch YouTuber werden? Um es vorwegzunehmen: natürlich nicht. Dennoch kann man aus einzelnen Ansätzen ­diverser YouTube-Videos Ideen für den eigenen Unterricht mitnehmen. Eines ist jedoch klar: Die Produktion von Videos geht mit einem erheblichen Zeitaufwand einher, denn das schnell nebenbei aufgenommene, fehlerfrei gespielte und auf visuellen Hochglanz polierte Video gibt es schlichtweg nicht. Daher ist eine genaue Planung vernünftig und bewahrt einen am Ende des Tages vor der Verzweiflung.

Eigenproduktion oder Verlinkung?

In welchem Umfang ergibt es überhaupt Sinn, sich selbst an die Produktion von Videos heranzutasten, und welchen Mehrwert bringt es mir bzw. meinen SchülerInnen? Bereiche, die sich in der vergangenen Zeit als besonders sinnvoll herauskristallisiert haben, sind auf jeden Fall Lösungsansätze für individuelle Herausforderungen einzelner SchülerInnen: z. B. Fingersätze oder Hinweise bzw. Höreindruck zur Interpretation von Passagen durch Demonst­ration einzelner Teile eines Stücks. Natürlich kann man heutzutage auf Aufnahmen in mannigfaltiger Form zurückgreifen; gerade hier kann die Lehrperson aber als Vorbild für ihre SchülerInnen wirken und sie motivationsfördernd unterstützen. Außerdem sind zwei Zeilen aus der Durchführung einer Flötensonate schneller selbst eingespielt, als die Audio-Datei am Computer zurechtzuschneiden.
Darüber hinaus können Themen wie Musiklehre, Notenkunde oder Gehörschulung nach und nach für die eigene Instrumentalklasse oder – insbesondere wenn die Inhalte instrumentenübergreifend relevant sind – für eine ganze Musikschule digital aufbereitet und zur Verfügung gestellt werden. Letzteres ist zeitökonomisch vertretbar und ermöglicht die Kontrolle über Qualität und dauerhafte Verfügbarkeit der Videos.
Inhaltlich eignen sich wiederkehrende Themen wie Tonleitern und Dreiklänge oder schwierige Passagen einzelner Stücke aus dem Werke-Kanon einer Instrumentalklasse zur digitalen und visuellen Aufbereitung in Videos. Diese können dann vielfach an die eigenen SchülerInnen weitergegeben werden, ohne jedes Mal wieder ganz von vorne beginnen zu müssen. Der Vorteil gegenüber bestehenden YouTube-Videos liegt darin, dass jede Lehrperson die Inhalte auf ihre eigene Zielgruppe zuschneiden kann, da bei manchen YouTube-Videos größere inhaltliche Abschnitte auf einmal erklärt werden und z. B. ein (zu) schnelles Tempo oder die Verwendung einer Fremdsprache sowie die Kombination mit musikalischen Fachtermini eine Barriere für den Lernprozess der SchülerInnen bilden können.

Praxistipps für ­Eigenproduktionen

Wer im vergangenen Jahr Videobotschaften und Übevideos erstellt hat, wird bemerkt haben, dass viele dieser zeitaufwändig erstellten Videos zwar den Zweck der Problemlösung für einen einzelnen Schüler oder eine einzelne Schülerin erfüllt haben, aber keinen wiederkehrenden Nutzen für die Lehrperson hatten – sei es aufgrund der Kombination unterschiedlicher Übungen in einem Video oder der zeitlich gebundenen und namentlich direkten Ansprache einer Schülerin oder eines Schülers wie beispielsweise: „Liebe XY, übe bitte diese Passage bis zum 10. Oktober“. So wird dieses Video ohne weitere Bearbeitung für den erneuten Einsatz – bei gleicher Prob­lemstellung, aber anderen SchülerInnen – unbrauchbar.
Ein wichtiger Schritt für eine effiziente Nutzung von Videos bzw. Tutorials ist also, die Ansprache allgemein zu halten und etwaige Aufgaben oder Fristen als Text zusätzlich zum Video über den bevorzugten Kommunikationskanal schriftlich mitzuschicken, um im Video den jeweiligen Inhalt zeitlich und persönlich ungebunden wiederverwenden zu können. Als Langzeit-Projekt kann man anhand der wachsenden Herausforderungen einzelner SchülerInnen im Optimalfall über mehrere Jahre hinweg Video-Tutorials zu Übungen, Stücken und musikalischen Themen produzieren, sammeln und als Video-Archiv zukünftigen SchülerInnen zur Verfügung stellen.
Auf diese Weise entsteht einer der großen Vorteile solcher Video-Mediatheken, da man beim zweiten Mal lediglich den Link des zuvor produzierten Videos verschicken muss, worauf sich ein Gefühl der Erleichterung einstellt, da man kein neues Video produzieren muss, sondern vom vorbereiteten Material profitieren kann. In diesem Zusammenhang gibt es bestimmt auch Potenzial für klassenübergreifende Kollaborationen, beginnend in der eigenen Fachgruppe, um den Workload auf mehrere KollegInnen aufzuteilen.
Wie viele Videos von einzelnen Lehrpersonen im Zeitraum eines Semesters oder eines Schuljahrs angefertigt werden können, hängt von vielen Faktoren ab. Um Inhalte und Videos zu planen, kann es sehr hilfreich sein, sich Redaktionspläne mit definierten Inhalten anzulegen, um im zweiten Schritt die Umsetzung der Videos in den Arbeitsalltag zeitlich leichter integrieren zu können.

Hardware und Apps

Über dem Bereich der Videoproduktion hängt immer das Damoklesschwert der „teuren Technik“ – die mittlerweile nicht nur erschwinglich, sondern vor allem auch ready-to-use auf dem Smartphone immer mit dabei ist. Als unmittelbar notwendiges Equipment empfehle ich lediglich eine Smartphone-Halterung als Aufsatz für ein Mikrofon-Stativ. Darüber hinaus kann man zur Steigerung der Audioqualität ein externes Mikrofon für das Smartphone kaufen, was zu Beginn jedoch nicht zwingend notwendig ist. Natürlich kann man die Qualität durch einen Recorder oder eine Kombination, bestehend aus Mikrofon, Interface und Computersoftware, steigern; dies allerdings optional. Viel wichtiger ist es aus meiner Sicht, sich selbst, seine Stimme und den Klang seines Instruments im Video kennen, lieben und akzeptieren zu lernen und sich erst danach um Optimierungsmöglichkeiten im Audio- oder Videobereich zu kümmern.
Wer bereits mit der Kamera-App seines Smartphones experimentiert hat, dem sei die kostenpflichtige App „FilMic-Pro“ ans Herz gelegt. Für ca. 15 Euro bekommt man die Möglichkeit, alle Video-Parameter wie Belichtung, Verschlusszeit und ISO manuell einzustellen. Und was gerade bei der Aufnahme von Musikinstrumenten große Bedeutung bekommt, ist die Möglichkeit zur manuellen Regelung des Audiopegels, sodass Instrumente nicht mehr übersteuern oder das Audiosignal durch automatische Pegelkorrekturen unschön verändert wird.
Zur Bearbeitung des Videos – zum Einfügen von Text oder Bildern wie beispielsweise kurzen Notenausschnitten – sei der Video-Editor „InShot“ für alle Smartphones empfohlen. Diese App ist als Freeware mit In-App-Werbung oder als Pay-Variante werbefrei erhältlich.

Fazit

Video-Tutorials haben spätestens seit Beginn der Covid-19-Pandemie auch im Bereich der Musikpädagogik an Bedeutung gewonnen. Sie können einen zusätzlichen Impuls zum produktiven Üben darstellen und dem persönlichen Fortschritt am Ins­t­rument dienlich sein, indem sie den SchülerInnen die Möglichkeit geben, neben der wöchentlichen Unterrichtseinheit auch zuhause on demand Inputs der Lehrperson in Videoform zu bekommen. Worauf jedoch abschließend bei der Erstellung und vor allem bei der Veröffentlichung von Videos hinzuweisen ist, ist die Wahrung des Urheberrechts von Bild und Ton. Diese Frage ist zum Beispiel zu klären, wenn mit Notenmaterial als visueller Einblendung im Video gearbeitet wird.

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 5/2021.