Arendt, Gerd

Die „Rolland-Methode“ – Praxiskonzept für den schulischen Alltag?

Auf dem Internationalen Kongress zum Streicherklassenunterricht in Trossingen vermitteln die Pioniere des Klassenmusizierens neue didaktische Ansätze

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 1/2010 , Seite 40

„Bei der Rolland-Methode stellen sich Erfolgserlebnisse des Instrumentenlernens durch das gemeinsame Spiel schneller ein als im Einzelunterricht.“ Wer sich an Aussagen wie dieser (aus dem Internet beispielhaft ausgewählten) orientiert, könnte meinen, es gäbe ein Konstrukt, welches das Gelingen inst­rumentalpädagogischen Wirkens im Klassenverband von vornherein impliziere wie auch belege. Dies ist ebenso unzutreffend wie die häufig zu lesende synonyme Verwendung von „Streicherklassenunterricht“ und „Rolland-Methode“, welche eine pauschale Einheit suggeriert, die sich im schulischen Alltag jedoch nicht nachhalten lässt.
Sicherlich: Die nach dem gebürtigen Ungarn benannte Pädagogik ist der momentan praktikabelste vorliegende Ansatz für die Arbeit in heterogenen Großgruppen – aber bei diesem handelt es sich lediglich um eine Basis, die individueller Nuancierung bedarf. Einige Fakten: Erstens ist die ursprüngliche Rolland-Methode für das angloamerikanische Schulsystem konzipiert und in ihrer „Ur-Form“ nicht mit den Erfordernissen hiesiger Lehrpläne in Einklang zu bringen. Sie setzt sich primär mit den Bewegungsabläufen beim Spiel auf Streichinstrumenten ausei­nander („He understood the human body as a violin playing machine“, so Peter Rolland über seinen Vater Paul Rolland) und hat in keiner Weise die Konzeption von Musikunterricht an allgemein bildenden Schulen in Deutschland zum Ziel. Zweitens wird der Einsatz von „Außer-Rolland-Techniken“, wie beispielsweise Solmisation oder der Einsatz der Stimme, bislang fast ausschließlich in Fortbildungen vermittelt und muss individuell gehandhabt werden. Auch das Team-Teaching ist nicht Teil der originären Rolland-Methodik. Und drittens gibt es kaum Unterrichtsliteratur, in der theoretischer Anspruch und „institutionelle Alltagstauglichkeit“ dergestalt mitei­nander verwoben würden, dass sich von nach­hal­ti­gen Konzeptionen sprechen ließe. Mit anderen Worten: Erfolgserlebnisse, wie im Eingangszitat angekündigt, sind keineswegs garantierbare Größe, sondern immer nur das Ergebnis persönlichen musikpädagogischen Wirkens.
An diesem Punkt setzt der Internationale Kongress zum Streicherklassenunterricht an: Die DozentInnen, die sich auf dem bislang größten Expertentreffen hierzulande versammeln, dürfen auf dem Gebiet des Streicherklassenunterrichts mit Sicherheit als besonders erfahren und didaktisch wegweisend bezeichnet werden. Regine Schultz-Greiner, Bernd Zingsem sowie Birgit und Peter Boch – um nur einige zu nennen – prägen seit bald zwanzig Jahren den Streicherklassenunterricht in Deutschland und geben ihrerseits ­Seminare für Musiklehrerinnen und -lehrer. „Fortbildungen, bei denen es gute Erfahrungen gibt, sollten bundesweit angeboten werden“: Analog zu den Worten Jürgen Terhags werden nun in Trossingen erstmalig alle methodologischen Erfahrungen für den Streicherklassenunterricht gebündelt. Das ist sinnvoll, lässt sich hier doch endlich einmal konzentriert von denjenigen Praktikern profitieren, die gleichzeitig einen längerfristigen theoretischen Überbau für das Klassenmusizieren erarbeitet haben. Birgit und Peter Boch bilden beispielsweise allein im Jahr 2010 fast 300 Schülerinnen und Schüler aus – verteilt auf sechs Streicherklassen sowie zwei Orchester – und haben aktuell zudem das ers­te Unterrichtswerk samt Lehrerband für den Streicherklassenunterricht vorgelegt, das die Rolland-Methode in den Musikunterricht in Deutschland adäquat einbindet.
Die dreitägige Veranstaltung richtet sich auch besonders an Kolleginnen und Kollegen, die im Rahmen von „JeKi“ tätig sind. Einige der bereits genannten „Streicherklassenpioniere“ werden sich zusätzlich ab diesem Jahr im Rahmen von JeKi-internen Fortbildungen und der Produktion von Lehrmaterial engagieren – angesichts der allseits diskutierten organisatorischen und inhaltlichen Probleme eine längst überfällige Maßnahme. Laut Evaluierungen liegt die Violine bei den Musikinstrument-Präferenzen auf dem zweiten Platz, es gibt also für geeignete Unterrichtsliteratur und gut ausgebildete musikpädagogische Kräfte einen dringenden Bedarf. „Die Musiklehrerinnen und -lehrer, die vor Monaten in die für sie neue Praxis geworfen wurden und strampeln müssen, lechzen geradezu nach Fortbildungen, Materialien und Rezepten“, analysiert Werner Rizzi die Situation. Weiterbildung ist also von allen Seiten erwünscht – umso erfreulicher wäre es daher, wenn sich der Streicherklassenkongress zukünftig als feste Institution etablieren könnte.
Dass darüber hinaus mit Peter Rolland nicht nur ein exzellenter Fiddle-Spieler nach Trossingen kommt, sondern somit auch für alle TeilnehmerInnen die Möglichkeit besteht, sich mit Fragen direkt an den kompetenten „Nachlassverwalter“ des väterlichen Erbes wenden zu können, dürfte eine einmalige Gelegenheit sein. Peter Rolland wird die stilistische Repertoire-Breite für den Streicherklassenunterricht um eine Art „Modern Folk“ erweitern. Seine irisch anmutende Spielweise besticht durch ein virtuoses Klangbild bei gleichzeitig lernbarer Technik und ist somit bestens geeignet, die didaktische Literatur für den Streicherklassenunterricht um eine Facette zu erweitern, die allen Beteiligten Spaß machen wird.

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