Buchmann, Bettina

Die Spieltechnik des Akkordeons

mit CD, deutsch/englisch

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2010
erschienen in: üben & musizieren 6/2010 , Seite 60

Unter dem Terminus „Spieltechnik“ lassen sich viele Blickwinkel und Inhalte subsumieren. So erschien von Joseph Macerollo bereits 1972 The Complete Technique Book for the Piano Accordion: Ein Buch mit nichts als Skalen und Akkorden für die Manuale 1 und 3. Bettina Buchmanns Die Spieltechnik des Akkordeons stellt dagegen im Wesentlichen eine Beschreibung der akkordeonistischen Klangmöglichkeiten dar, zum erheblichen Teil mit Beispielen aus originalen Akkordeonkompositionen belegt – von Klaus Huber über Luciano Berio und Mauricio Kagel bis Wolfgang Rihm. Die CD illustriert das Verbalisierte akustisch.
Das Hauptziel dieser deutsch-englischen Ausgabe ist es sicherlich, pontenzielle Akkordeonkomponisten über die Klangwelt des Instruments zu informieren. Mehr als die Hälfte des Buchs nimmt das Kapitel „Erweiterte Spieltechnik“ ein, unter dem sich verschiedene Ausdrucksformen mit dem Balg, Tonglissando, akustische Varianten mittels Luftklappe, Cluster und percussive Effekte vereinen. Der streuende Begriff „Spieltechnik“ lässt die Verfasserin des Öfteren ins methodisch-pädagogische Feld bis hin zu „Übetipps“ ausbüchsen. Insoweit stellt dieses Werk eine zeitgemäße Zusammenfassung fast aller Ausdrucksformen des Akkordeons dar und schließt damit eine klaffende Lücke.
Dennoch seien einige Ungenauigkeiten aufgelistet:
– Schade, dass angesichts der deutlichen Stimmplattenskizzen die Funktion der durchschlagenden Zunge nicht dargestellt ist.
– Die Ansprechzeit bei tiefen Tönen hat ihre wesentliche Ursache nicht in der größeren Länge der Stimmzunge, sondern im Gegenteil in der relativen Kürze, oft mit frequenzmindernden „Gewichten“ versehen, sodass das Antriebsmittel Luft weniger Angriffsfläche für schnelle Ansprache zur Verfügung hat. (Dementsprechend lässt die Bauweise des Bajan längere tiefe Stimmzungen und damit günstigere Ansprechzeiten zu.)
– Die Glissandierung bzw. Verstimmung eines Tons geschieht durch die verschiedenen Drücke innerhalb und außerhalb des Balgs sowie den entsprechenden Strömungsdruck bei gering geöffneter Tonklappe bzw. Registerschieberstellung, nicht durch „zu wenig Luft für die Stimmzunge“.
– Durch unterschiedliche Hubgeschwindigkeit der Taste können sehr wohl unterschiedliche Tonbegrenzungen erreicht werden. Entscheidend ist hier auch die bauliche Beachtung hinsichtlich des Klappenauftreffgeräuschs am Tonende und des Tastenandruckgeräuschs am Tonbeginn. (Es wäre ohnehin treffender, statt des Begriffs „Tastenanschlag“ „Tastenandruck oder -niederdruck“ zu verwenden.)
– Das Balgtremolo ist unvollständig behandelt: Außer einer genaueren Beschreibung des dreiteiligen fehlt das „vierteilige Balg-Ricochet“ (Friedrich Lips). (Lips gilt als Meister dieses rasch oszillierenden Tremolos.)
Generell jedoch geht Buchmann  die Materie sensibel und differenziert an. Daran gemessen fallen nicht wenige Klangbeispiele der CD ab. Ungenaue Balgtremoli und Balgrhythmen, Störungen wie z. B. Handriemenknarzen, stark uneinheitliche Schwebung oder Beeinträchtigung des Klangs im M 1 bei kurzen Akkorden im M 2 sind hierfür Beispiele.
Die Gelegenheit, in diesem Buch gleichberechtigt den anderen großen Akkordeontyp, das Pianoakkordeon, mitzubehandeln, wurde leider versäumt. Müßig, hier über Vor- und Nachteile der beiden Griffsysteme den Dialog zu führen; es kann angesichts der großen Zahl hervorragender AkkordeonistInnen mit dem Pianomodell nur als Machtakt verstanden werden, wenn unter „Akkordeon“ lediglich das Knopfgriff-Akkordeon gemeint und zentral behandelt wird. Hier hätte dem Verlag mehr Hintergrundwissen über die Akkordeonszene angestanden, um diesen Nebenabsichten Einhalt zu gebieten.
Maximilian Schnurrer