Ronez-Kubitschek, Marianne

Die Violintechnik im Wandel der Zeit

Die Entwicklung der Violintechnik in Quellenzitaten. Von den Anfängen bis Pierre Baillot 1835, mit CD, zwei Teilbände

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Lit, Münster 2012
erschienen in: üben & musizieren 4/2012 , Seite 54

Die Autorin und Herausgeberin dieser gewichtigen Bände erinnert in ihrem Vorwort an ein vergleichbares Werk: David Boydens 1971 erschienene Geschichte des Violinspiels von den Anfängen bis 1761. Sie betont ihren andersartigen Blickwinkel: Während Boyden sich an den Instrumenten, der Musik und den Überlieferungen zur vermutlichen Spielweise orientierte, gibt Rônez umfassenden Einblick in die Lehrwerke, die das Violin- und Violaspiel seit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts begleitet haben. Und anders als Boyden, dessen Darstellung mit dem Auftreten des Tourte-Bogens 1761 endet, bezieht sie die Violinschulen von Louis Spohr (1833) und Pierre Baillot (1835) ein. Besonders die Etüden und Konzerte des französischen Dreigestirns Kreutzer-Rode-Baillot und ihrer Zeitgenossen bilden bis heute ein unentbehrliches Fundament.
Dass im Titel von Violintechnik die Rede ist, nicht wie bei Boyden vom Violinspiel, lässt eine Präferenz der technischen gegenüber den künstlerischen Gesichtspunkten erkennen. Dies ergibt sich aus der Materie: Anders als später z. B. für Carl Flesch bei seiner Kunst des Violinspiels standen für die Verfasser der Violinschulen vom Frühbarock bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, auch der Vorworte und Begleittexte zu Etüden und Schulwerken, die technischen Voraussetzungen im Vordergrund. Denn in erster Linie sollten andere Lehrer profitieren.
Sicher hat Wolfgang Amadeus Mozart das Violinspiel nicht aus den „Hauptstücken“ der Gründlichen Violinschule seines Vaters Leopold erlernt, sondern von diesem direkt. Leopold war aber durch das Konzipieren und Formulieren gezwungen, begriffliche Grundlagen zu schaffen. Gerade der Umweg über das Wort, dessen Mühen den meisten Texten durchaus anzusehen sind, ermöglicht uns Heutigen den Einblick in die Spielpraxis der frühen Geigen-Jahrhunderte. Rônez zitiert Pierre Baillot: „Wenn man eine Kunst ergründen will, so muss man so viel wie möglich danach trachten, ihren Ursprung kennen zu lernen.“
Wer die Bände aufschlägt, wird mit einer atemberaubenden Materialfülle konfrontiert. Der Umgang mit der Menge der Zitate, Notenbeispiele und Abbildungen ist jedoch nur eine Frage der Systematik. In diesem Punkt ist höchstes Lob geboten: Das nach Themen wie Haltung und Bogenführung, Vib­rato oder Verzierungen sowie den zugehörigen Unterbegriffen gegliederte Inhaltsverzeichnis lässt die anfängliche Scheu bald schwinden. Die insgesamt sechzehn Kapitel, bestehend aus einer zusammenfassenden Einleitung und dem typografisch übersichtlich gestalteten Zitatenteil, erweisen sich als unerschöpfliches Kompen­dium. Ein Standardwerk und eine großartige editorische Leistung.
Reinhard Seiffert