Danner, Carolin
Digitale Revolution am Klavier?
Klavierlern-Apps aus fachdidaktischer Perspektive
Werden Apps und künstliche Intelligenz Klavierlehrkräfte eines Tages ersetzen können? Obwohl das noch nach Zukunftsmusik klingt, arbeiten Anbieter daran, Klavierunterricht rein digital anzubieten oder mit ergänzenden digitalen Materialien den Unterricht zu bereichern. Wie gut das schon gelingt, wird anhand von vier Klavierlern-Apps untersucht.
Die sechsjährige Klavierschülerin ist begeistert von der Idee, mit der App Skoove Klavier zu spielen. Die App verspricht eine Revolution des Klavierunterrichts durch digitalen Spielspaß – laufen doch Noten von rechts nach links über das Tablet und die App hört mit, ob das Kind die Töne in der richtigen Reihenfolge anschlägt. Richtige Noten färben sich grün ein, falsche rot, am Ende gibt es eine Beurteilung. Die Schülerin arbeitet konzentriert, fast gebannt und reagiert mit einem Lächeln auf das positive Feedback. Lernen mit Gamification-Elementen1 scheint sie zu motivieren.
Digitale Medien können allein durch ihr Format neue Möglichkeiten für das Musizierenlernen bereithalten. Eine fast unüberschaubare Zahl an Apps bietet sehr unterschiedliche Konzepte, z. B. gefilmte Hände auf der Tastatur zu durchlaufenden Notenbildern, Feedback durch mithörende KI-Assistenten, Falling Notes,2 Videoklavierschulen mit mehreren Kameraperspektiven oder sogar intelligente Übe-Assistenten in einer Keyboard-Tastatur. Was Klavierlern-Apps aus (fach-)didaktischer Sicht bieten, soll mithilfe von fünf Kriterien exemplarisch an vier Apps untersucht werden, die unterschiedliche technische und methodische Ansätze aufweisen.
Die Apps werden zunächst in Bezug auf ihre inhaltliche Vielfalt durch Zuordnung der Inhalte zu den Lernfeldern3 eines zeitgemäßen Instrumentalunterrichts betrachtet. Zudem wird untersucht, inwiefern die Konzeption der Lernwege für das Klavierlernen als methodisch geeignet anzusehen ist, sowie die Frage nach der Qualität der musikalischen Gestaltungsmittel bearbeitet: Inwiefern werden Dynamik, Tempo, Artikulation, Phrasierung und klangliche Gestaltung zur künstlerischen Ausdrucksgestaltung verwendet? Darüber hinaus werden Form und Qualität des Feedbacks betrachtet, besonders im Hinblick auf ihre mögliche Begleitung und Förderung selbstregulierter Lernaktivitäten,4 die zur Bewältigung der intellektuellen und motorischen Aufgaben beim Klavierlernen notwendig sind. Schließlich wird auf der Grundlage der Selbstbestimmungstheorie nach Edward Deci und Richard Ryan5 gefragt, inwiefern die Lehr-Lern-Settings so konzipiert sind, dass sie dazu beitragen, die intrinsische Motivation zum Musizierenlernen zu fördern.
Ausgewählte Apps
Die App Skoove wirbt damit „die umfassendste Klavierlern-App“ zu sein und will in über 500 Klavierlektionen „alles Wesentliche über das Klavierspiel vermitteln“.6 Die App hört Lernenden zu und „sagt Dir, was gut klingt oder wo Du Dich verbessern kannst“.7 Zahlreiche Kurse von „Einsteiger“ bis zu „Klassik für Experten“ führen Lernende Schritt für Schritt durch verschiedene Lektionen: Jede enthält gesprochene Anweisungen und durchlaufende Noten zum Abspielen, optionales Feedback und ein Looping-Werkzeug zum Wiederholen von einzelnen Stellen mit einstellbarer Geschwindigkeit, außerdem animierte Kurzvideos sowie Play-alongs zum Mitspielen.
Auf „eine ganzheitliche Weise“ verspricht die Videoklavierschule Pianistable den Unterricht anzugehen. In 30 Lektionen, die nach der Formel „Theorie + Technik = Spielen“8 angeordnet sind, gibt es neben Unterrichtsvideos mit eingeblendeten Noten und gefilmten Händen auf einer Tastatur zusätzlich schriftliche Noten und erläuternde Texte zum Download. Eine Interaktion mit der Lehrperson ist über einen Gruppen-Chat möglich.
„Music is about listening!“ stellt die Web-App Hörlabor als Motto über ihr Angebot, das vor allem auf Improvisation und Hörschulung basiert. Videos in direkter Ansprache animieren zum Improvisieren zu acht verschiedenen Play-alongs. Zwölf jeweils in verschiedenen Schwierigkeiten angebotene Stücke sollen außerdem nach dem Gehör gelernt werden, mithilfe von Audiodateien und Noten-Lückentexten zum Ergänzen. Zusätzlich gibt es zum Download schriftliche Erklärungen zum Konzept sowie Arbeitsblätter mit konkreten Hinweisen zum Verständnis der Stücke und zur Ausführung am Instrument.
Mit preisgekrönten Künstlern und einer lebendigen Gemeinschaft von Lernenden mit über 25000 Mitgliedern wirbt die amerikanische App tonebase. Über 500 aufwändig produzierte Videos bieten Notizfunktion, Kapitelanwahl, einblendbare Noten und Untertitel sowie eine einstellbare Abspielgeschwindigkeit. Teilweise namhafte PianistInnen besprechen ausführlich Werke bis zum Schwierigkeitsgrad von Schuberts Wandererfantasie, zusätzlich gibt es sogenannte Arbeitsbücher und Noten zum Download. In „live-workshops“ können Dozierenden Fragen über einen Chat gestellt werden.
Tabelle 2: Anwendung der Kriterien im Vergleich
1 „Gamification“ steht für die spielerische Gestaltung von Aktivitäten, die eigentlich weder Spielregeln noch eine Leistungsbewertung vorsehen.
2 Auch „Roll Notation“ oder „Piano Rolls“ genannt: Balken bewegen sich über den Bildschirm bis zu einer virtuellen Tastatur, ihr Erreichen markiert den Anschlagszeitpunkt.
3 vgl. Busch, Barbara/Metzger, Barbara: „Inhalte des Instrumentalunterrichts“, in: Busch, Barbara (Hg.): Grundwissen Instrumentalpädagogik, Wiesbaden 2016.
4 vgl. Mc Pherson, Gary: „Vom fremdgesteuerten Üben zu selbstgesteuerten Lernaktivitäten“, in: Kruse-Weber, Silke/Borovniak, Barbara (Hg.): Gesund und motiviert musizieren. Ein Leben lang, Mainz 2015, S. 138.
5 Deci, Edward L./Ryan, Richard M.: „Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik“, in: Zeitschrift für Pädagogik, 39, 1993.
6 www.skoove.com (Stand: 11.2.2025).
7 ebd.
8 www.pianistable.de (Stand: 11.2.2025).
Lesen Sie weiter in Ausgabe 3/2025.